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Der schwarze Block von Kurdistan

Die Internationale Freiheitsbrigade besteht aus europäischen Linksradikalen. Auf ihrem Stützpunkt in Nordsyrien bereiten sie sich auf eine mögliche türkische Invasion vor
US-Präsident Donald Trump hat die Kurden im Stich gelassen. Jetzt fürchten sie, dass ein Angriff aus der Türkei kurz bevorsteht. Sie trainieren in Camps für den Ernstfall – und hoffen auf die Hilfe linksradikaler Utopisten aus Europa.
Von Alfred Hackensberger
So sieht also die Hoffnung der Kurden in Nordsyrien aus. In einem Hof, der von einer Mauer umgeben ist, spielen ein Franzose und drei Dänen mit kleinen Hunden. „Eine der wenigen Abwechslungen“, sagt ein junger Mann, er kommt aus Paris. In Frankreich war er in anarchistischen Zirkeln aktiv. Auch die jungen Leute aus Dänemark sind Anarchisten. Ihre Mitstreiter aus der Türkei sind wiederum Marxisten.
Ihre Namen geben sie nicht preis. Fotografieren lassen sie sich nur vermummt, sie befürchten rechtliche Konsequenzen in ihren Heimatländern. Die Internationale Brigade ist ein Sammelbecken von Linksidealisten, die alle auf ihre Weise von einem sozialistischen Paradies träumen. Und das liegt für sie im Norden Syriens.
Doch dieses Paradies ist bedroht. Wer das Ausmaß verstehen will, der steigt am besten in das Auto von Cin Abdullah. „Sehen Sie, dort liegt eine türkische Militärbasis“, ruft er und zeigt durch das Wagenfenster auf einen Hügel in der Ferne. Außer zwei Wassertürmen, einigen Bäumen und wenigen Häusern ist jedoch nichts zu erkennen.
Was dagegen sofort ins Auge fällt, ist die türkische Grenzmauer. Ihre vier Meter hohen Betonblöcke heben sich vom Grün der Felder ab und ziehen sich wie ein schier endloser, hellgrauer Faden durch die Landschaft. „Hier im offenen Gelände kann die Türkei jederzeit ihre Invasion nach Nordsyrien starten“, sagt Cin Abdullah. „Aber sie soll nur kommen, wir sind vorbereitet.“ Er grinst dabei und streicht sich über seinen leicht grau melierten, ansonsten schwarzen Vollbart. „Die Türken werden sich wundern.“
Der Mann Ende 30 weiß, wovon er spricht. Er stammt ursprünglich aus dem Iran und schloss sich vor sechs Jahren der kurdischen YPG-Miliz in Nordsyrien an. Heute hat er eine besondere Aufgabe. Er organisiert die zivilen Selbstverteidigungseinheiten der Dorfbevölkerung entlang der türkischen Grenze. „In jedem Haus auf dem Land gibt es doch schon immer eine Waffe“, sagt Cin Abdullah, als seien diese Einheiten die Fortsetzung einer dörflichen Tradition. Tatsächlich geht es um mehr als Bauern, die Haus und Hof schützen. Es geht für die Menschen um die Frage, wer sie vor den Soldaten aus dem mächtigen Nachbarland beschützt.
Denn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht seit Monaten mit einer Invasion. Erdogan will einen kurdischen Staat an seiner Südostgrenze um jeden Preis verhindern – und mittelfristig die Region mit Erdogan-treuen Siedlern kolonisieren, fürchten die Kurden. Für sie geht es um ihre Existenz.

Bewohner wollen sich selbst verteidigen

Zumal sie jetzt ohne ihren mächtigsten Verbündeten dastehen, die USA: Schließlich hat Donald Trump im November den Abzug seiner Truppen aus Syrien angekündigt – zum Missfallen der meisten Beobachter. In Kürze werden nur noch 400 amerikanische Militärs in Nordsyrien präsent sein. Die werden nicht ausreichen, um Ankara von einer Invasion abzuhalten. Darauf, dass Russland, die ansonsten mächtigste Kraft im Nahen Osten, Erdogan Einhalt gebietet, wollen sie nicht vertrauen.
„Die Türkei ist völlig unberechenbar“, sagt Cin Abdullah, der eine traditionelle kurdische Pluderhose trägt. Er ist umringt von bewaffneten Frauen und Männern der Selbstverteidigungseinheit eines Dorfes, dessen Name aus Angst vor türkischen Vergeltungsschlägen nicht genannt werden soll. Es liegt irgendwo auf dem Land in der Nähe der Stadt Derek. Die Grenzmauer zur Türkei ist in Sichtweite.
40 Familien wohnen in diesem Dorf in bescheidenen Verhältnissen in lehmverputzten Häusern und leben vom Ertrag der Felder, von Hühnern, Schafen und Kühen. Rund 100 Bewohner sind in der Selbstverteidigungseinheit aktiv.
„Wir besitzen Waffen, haben Tunnel und Bunker gebaut“, sagt Mohammed Schaffer, ein Lehrer an der Grundschule des Orts und Vater von vier Kindern. „Fast alle Dörfer der Umgebung sind wie wir organisiert.“ Für den 40-Jährigen und alle anderen sei das Engagement eine Pflicht, wie er versichert. „Einige Bauern können ihr Land in Grenznähe nicht bestellen“, erzählt er, „weil die Türken immer wieder auf sie schießen.“
Nach und nach treffen die Mitglieder der Verteidigungseinheit auf dem Dorfplatz ein – Männer und Frauen zwischen 18 und 80 Jahren. An ihren sonnengegerbten Gesichtern und kräftigen Händen erkennt man die harte Arbeit auf den Feldern und im Stall. Die Stimmung ist ausgelassen. Besonders die Frauen scherzen untereinander und lachen viel. Die Einheit scheint eine willkommene Abwechslung zum Alltagsleben zu sein.
„Wir machen jede Woche Schusstraining und wissen uns zu verteidigen“, sagt Adiba, die selbstbewusste Kommandantin der Dorffrauen. Die 40-Jährige hat Kajal umrandete Augen und trägt zur allgemeinen Belustigung noch ihre plüschigen Hauspantoffeln. Adiba gibt dann Anweisung, auf einem Hausdach Position zu beziehen.







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