Am vergangenen Freitag konnten sich Regierung und Opposition im Libanon erneut auf keinen Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten einigen. Die Pattsituation zwischen Regierung und Opposition scheint unüberwindlich. 18.000 Soldaten der libanesischen Armee sind in Beirut stationiert, um gewalttätige Konfrontationen zu verhindern. Sowohl Regierung- und Oppositionsgruppen haben in den vergangenen Monaten militärisch aufgerüstet und Übungen durchgeführt.
Am Freitag um Mitternacht musste Emile Lahoud seine Sachen packen und nach neun Amtsjahren den Präsidentenpalast in Beirut räumen. Erfolgreich kann man seine Regierungsperiode nicht unbedingt nennen: vier seiner Militärs sitzen wegen einer angebliche Beteiligung am Attentat auf Rafik Hariri im Gefängnis. Insgesamt wurden 12 politische Anschläge begangen, von denen bisher keiner aufgeklärt ist. Das Land befindet sich in einer gefährlich gespannten politischen Situation, in der kein Nachfolgepräsident gewählt werden kann. Weder die Regierungskoalition unter Premierminister Fuad Siniora, noch das Oppositionsbündnis der christlichen Freien Patriotischen Front mit Michel Aoun und der schiitischen Hisbollah sind zu einem Kompromisskandidaten für das Präsidentschaftsamt bereit.
Der 71-jährige Lahoud übergab den Oberbefehl an die libanesische Armee weiter. „Außergewöhnliche Umstände und die Interessen des Landes“, hätten den Ex-Präsidenten dazu veranlasst. Die momentane Situation berge ein großes Risiko und könne zur Erklärung des Ausnahmezustands führen, sagte Rafik Shalala, der Sprecher Lahouds. Premierminister Siniora nannte den Schritt Lahouds als „verfassungswidrig“.
In den vergangenen Tagen und Wochen hatten internationale hochrangige Vermittler vergeblich versucht, die Regierung und Opposition zu einer Lösung zu bewegen. Darunter der UN- Generalsekretär Ban Ki-moon oder zuletzt auch der französischen Außenminister Bernard Kouchner. Der UNO-Chef Ban Ki-moon zeigte sich sehr besorgt über die fragile politische Lage im Libanon und rief alle Parteien auf, friedlich und demokratisch eine Lösung zu finden. Aber die ist noch lange nicht in Sicht. Die Regierungskoalition will unter keinen Umständen der Opposition ein Mitsprache-, geschweige denn ein Vetorecht im Kabinett geben. Nach fast einem Jahr von Protesten, Sit-ins, Demonstrationen und einem Zeltlager vor dem Palast des Premierministers Siniora möchte die Opposition nicht einfach klein beigeben. Sie fordert nach wie vor eine nationale Einheitsregierung und das Amt des Präsidenten, der laut Verfassung ein Christ sein muss. Seine Wahl wurde auf den 30. November verschoben.
In Beirut sind große Plakate angebracht worden, die einen finster drein blickenden Mann zeigen, der ein Maschinengewehr in der Hand hält. Darunter steht in Arabisch, als Anspielung auf den libanesischen Bürgerkrieg (1975-1990): „Bevor es sich wiederholt“. FOTO gibt’s hier:
Tatsächlich war der Libanon seit Ende des Bürgerkriegs 1990 noch nie so nahe an der Schwelle zu gewalttätigen Auseinadersetzungen wie heute.
Alle an der politischen Krise beteiligten Gruppen und Parteien haben sich bereits darauf eingestellt, dass es zu keiner „friedlichen und demokratischen Lösung“ kommt, wie es der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gefordert hat.
Im Libanon wird auf allen Seiten, wie im Jahr vor dem libanesischen Bürgerkrieg, wieder militärisch aufgerüstet.
Zwei Mitglieder der christlichen Freien Patriotischen Front von Ex-General Michel Aoun wurden im Oktober dieses Jahres verhaftet, weil sie andere Mitglieder militärisch ausgebildet hätten. Die libanesischen Sicherheitsbehörden veröffentlichten ein Foto von einem Christen, der eine Kalaschnikow in der Hand hielt. Die Partei Aouns erwiderte, „die Mitglieder wollten nur Spaß haben mit echten Waffen, aber niemand habe ein militärisches Training absolviert“.
Auch Saad Hariri, der Sohn des ermordeten libanesischen Ex-Premierministers Rafik Hariri, dementierte, er habe eine eigene Miliz ins Leben gerufen. Dabei wurden Anhänger von Saad Hariri und seiner Zukunftsbewegung im April dieses Jahres beobachtet, wie sie im damals umkämpften Palästinenserlager Nahr-el-Bared auf Al-Qaeda –Leute schossen. Die Hariri-Miliz soll 4500 Kämpfer umfassen und den Namen „Arabische Libanon Bewegung“ tragen.
Auch die Drusen unter Walid Jumblatt, dem Vorsitzenden der „Progressiven Sozialistischen Partei“, hielten im Januar 2007 militärische Übungen in den Chouf-Berger ab. Jumblatt gab sogar zu, dass Waffen gekauft wurden, aber von militärischem Training wollte er jedoch nichts wissen. „ Ich habe die Dörfer besucht“, sagte der Drusenführer, „und den Leuten gesagt, es sei unsinnig zu kämpfen. Gegen Hisbollah können wir nicht gewinnen, die sind einfach zu stark“.
Neben der Neubewaffnung und dem Training werden alte Strukturen reorganisiert. In christlichen und drusischen Dörfern in den Bergen werden Kommandanten ernannt, Einsatzzellen gegründet und Kommunikationsstrukturen ausgebaut.
Auch Hisbollah soll sich für einen möglichen neuen Bürgerkrieg rüsten. Seit dem Ende des 34-Tagekriegs mit Israel 2006 erfolgte eine intensive Rekrutierungswelle von neuen Soldaten. Sie sollen aber nicht an der Front eingesetzt werden, wo nur erfahrene und gut ausgebildete Guerillas kämpfen, sondern in den Städten und Dörfern hinter den Linien. Hisbollah soll ebenfalls eine große Anzahl kleinerer Waffen gekauft und an diese Reservisten weitergegeben haben, die nur im Strassen- und Nahkampf zu gebrauchen sind. Die Regierungskoalition unter Premierminister Fuad Siniora beschuldigte Hisbollah, Waffen an andere Gruppen der Opposition weitergeben zu haben.
Bei der erhöhten Nachfrage sind die Preise für Waffen auf dem Schwarzmarkt im Libanon deutlich gestiegen. Noch vor einem Jahr kostete eine AK-47 etwa 500 Dollar. Heute muss man dafür bereits 900 Dollar bezahlen. Eine nagelneue französische Famas kostet 3.700 Dollar.
Besonders auffallend sind allerdings Pistolen der Marke Glock, die wie aus dem Nichts plötzlich bei den Schwarzmarkthändlern zu haben ist. Für 1000 Dollar kann man eine dieser Qualitätswaffen erwerben.
Es ist zu vermuten, dass die Glock-Pistolen sowie andere Waffen im Libanon, aus dem Irak stammen. Das US-Militär hat dort rund 190.000 Gewehre und Pistolen ‚verloren’. Man hatte versäumt die Nummern der Waffen und die Namen der neuen Besitzer zu registrieren. Zu den verlorenen Gütern gehörten auch 125.000 Glock-Pistolen. Dass die Pistolen im Libanon landen, wäre wirklich keine Überraschung. Seit der US-Invasion bestehen Verbindungen zum Irak. Noch vor drei Jahren konnte man sich eine Fahrkarte für den Bus in den Irak kaufen, um dort gegen die USA zu kämpfen, versicherte mir ein Mann grinsend in Beirut, der natürlich seine Namen nicht preisgeben wollte. „Nachdem dies an die Öffentlichkeit kam, geht alles im Geheimen ab“, meinte der Informant. Eine ganze Reihe von Selbstmordattentätern, die im Irak starben, kam aus den libanesischen Städten Tripoli und Sidon. Einige der militanten palästinensischen Gruppen in den Flüchtlingslagern des Libanon unterhalten gute Beziehungen zu Al-Qaeda im Irak.
Es wäre wirklich kein Wunder, wenn die neu geschaffenen Milizen der Regierungs- und Oppositionsparteien mit Waffen aus US-Beständen auf einander schießen würden.
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