In Tanger gab es lange Gesichter, als das Abstimmungsergebnis des zweiten Wahlgangs aus dem Palais des Congres in Paris bekannt wurde. In der marokkanischen Hafenstadt hatte man sich auf ein großes Fest eingestellt. Enttäuscht saßen die Menschen in den Cafes vor den Fernsehern und die Taxifahrer hatten schlechte Laune. Tanger bekam nur 63 Stimmen der insgesamt 140 Mitgliedsländer des Internationalen Büros für Ausstellungen (BIE). Yeosu, der Konkurrent aus Südkorea, erreichte dagegen 77 und wird von Mai bis August 2012 die drei Monate dauernde Weltausstellung ausrichten. Die polnische Stadt Wroclaw war bereits in der ersten Runde mit nur 13 Stimmen ausgeschieden.
Das Thema der südkoreanischen Stadt lautet „Der lebende Ozean und die Küste: Vielfalt der Ressourcen und nachhaltige Aktivitäten“. Ein Umweltthema, über das in den letzten Monaten in Zusammenhang der Erderwärmung weltweit diskutiert wurde. „Die Expo 2012 in Yeosu wird Lösungen für die Probleme des Klimawandels und den Anstieg des Meeresspiegels finden“, erklärte der südkoreanische Premierminister Han Duck-soo. Die momentane Aktualität der Problematik gab sicherlich nicht den Ausschlag für die Wahl Südkoreas. In den letzten Wochen und Monaten tourten Vertreter der Expo aus Yeosu durch die Mitgliedsländer der BIE, um sie von der Bewerbung Südkoreas zu überzeugen. Dafür gab es „nationale Unterstützung auf allen Ebenen“, wie der Premier Han Duck-soo versicherte, der zur entscheidenden Wahl nach Paris mit einer 50-köpfigen Entourage angereist war, um quasi in letzter Minute noch Lobbyismus zu betreiben. Zu dieser Überzeugungsarbeit gehören großzügige Geschenke, Reisen, verschiedenste Projektförderungen oder Vergünstigungen bei Handelsabkommen. Das wirtschaftliche Potential Südkoreas ist bekannt und dem der Expo-Mitbewerber Marokko und Polen weitaus überlegen.
Für das asiatische Land und die Stadt Yeosu rentieren sich die Investitionen im Vorfeld der Expo, sollten sie auch in die Millionen gehen. Rund 90.000 neue Arbeitsplätze werden von der Weltausstellung erwartet, dazu acht Millionen Besucher und ein Gewinn für die Ökonomie von über einer Milliarde Euros.
Einen finanziellen Input, den man in Marokko und Tanger auch gerne gesehen hätte. Mit dem Thema „Wege der Kulturen“ dachte man den Nerv der Zeit zu treffen: Für eine bessere Verständigung zwischen dem Westen und dem Orient. Die Expo 2012 hätte gut zur wirtschaftlichen Neustrukturierung gepasst, die im nordafrikanischen Staat gerade vollzogen wird. Die legendäre Hafenstadt Tanger ist das Zentrum dieser Neugestaltung, die auf Tourismus und Industrie ausgerichtet ist. In der Nähe Tangers wurde im Juli einer der größten Containerhafen am Mittelmeer eröffnet. Der Renault-Nissan-Konzern baut eine Autofabrik, die jährlich 400.000 Wagen produzieren soll. An der Atlantikküste entstehen neue Luxus-Wohnkomplexe, zu einem Preis von je 400 Millionen Euro. Im nächsten Jahr soll mit dem Bau des Gibraltartunnels begonnen werden, der laut Plan 2025 in Betrieb geht und Afrika mit Europa verbindet. Im Schnellzug dauert dann die Fahrt von der südspanischen Stadt Sevilla in die marokkanische Hafenstadt eineinhalb Stunden.
Die Bewohner Tanger sehen die Expo-Niederlage in Paris mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Die finanziellen Vorzüge wären willkommen gewesen, nur die Preissteigerungen von Immobilien und Lebenshaltungskosten bei gleich bleibenden Gehältern sah man mit großer Skepsis, ja mit Furcht.
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