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Geschützt, verdrängt, geduldet

Jüdisches Leben in islamischen Ländern – eine gefährdete Tradition

Im jüdischen Kasino von Tanger scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Gut gekleidete Damen und Herren sitzen an mit grünem Filz belegten Tischen und spielen Karten. Mehrere Kronleuchter geben dem grossen Saal eine exklusive Atmosphäre. Wem nicht nach Kartenspiel zumute ist, der sitzt an der Bar und lässt sich einen Apéritif oder auch nur ein Bier servieren. Eine Abendgesellschaft im Klub, wie sie vor 50 oder 60 Jahren noch zum guten Lebensstil gehörte. «Früher war es hier jeden Abend voll», erzählt eine Dame im kurzärmligen rosa Seidenkleid. «Heute sind es noch wenige Alte, die regelmässig kommen.» Man sei eben nur mehr eine kleine Gemeinschaft von etwa 150, erklärt die Dame und fügt betonend «Hebräer» hinzu. Als Jude will hier niemand bezeichnet werden, das habe einen negativen Beigeschmack.

Exodus aus Spanien

In der marokkanischen Hafenstadt lebten einst bis zu 40 000 Hebräer, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Unabhängigkeit Marokkos 1956 langsam, aber stetig abwanderten. Es gab keine gut bezahlten Arbeitsstellen mehr, und das vormals dominant westliche Ambiente der Stadt verschwand zusehends. Der überwiegende Teil der Auswanderer ging nach Kanada, in die USA oder nach Südamerika. «Nur gerade die Ärmsten zog es nach Israel», erinnert sich Rachel Pimienta beim Gespräch im Restaurant Casa España. «Damals hiess das noch Palästina», fügt die 75-Jährige erklärend an, deren Nachname Pimienta (zu Deutsch «Pfeffer») auf die spanische Inquisition am Ende des 15. Jahrhunderts zurückgeht. Nach der Vertreibung der letzten Araber aus al-Andalus unter den Katholischen Königen, Isabella I. von Kastilien (1451–1504) und Ferdinand II. von Aragonien (1452–1516), wurde die jüdische Bevölkerung gezwungen, zum Christentum zu konvertieren. Um Verwechslungen mit katholischen Spaniern zu vermeiden, gab man Juden unübliche, prägnante Namen. Die Zwangskonversionen, die mit Folterungen und Mord einhergingen, verursachten 1492 einen Massenexodus. Zwischen 200 000 und 300 000 Juden verliessen Spanien Richtung Nordafrika, andere flohen in die Türkei oder nach Griechenland.

In Marokko genossen die Sephardim, wie die Flüchtlinge in Anlehnung an die hebräische Bezeichnung für die Iberische Halbinsel genannt wurden, den Status der Dhimmi, der Schutzbefohlenen. Man lebte unbehelligt in jüdischen Vierteln, den sogenannten Mellahs. Diskriminierungen oder Ausschreitungen hatten Seltenheitswert. «Bis heute lebt es sich gut in Marokko», bestätigt Rachel Pimienta. Antisemitismus habe sie nie erfahren, und Angst vor radikalen Islamisten, die erneut tödliche Anschläge wie 2003 in Casablanca gegen jüdische und spanische Einrichtungen begehen könnten, habe sie nicht. So etwas könne doch überall passieren. «Ausserdem leben wir unter dem Schutz des Königs», fügt die ehemalige Fahrlehrerin an.

Nach den Bombenattentaten in Casablanca hatte Mohammed VI. seine historische Pflicht bekräftigt, die Rechte der Juden seines Landes zu schützen. Verständlicherweise, muss man sagen, denn jüdische Mitbürger arbeiten als Ratgeber des Königs, sind Minister, hohe Militärs, Mitglieder des Parlaments, Richter und Botschafter. In Casablanca lebt die grösste jüdische Gemeinde mit mehr als 3000 Mitgliedern, die 10 Schulen unterhalten. In ganz Marokko sind etwa 30 Synagogen in Betrieb.

Marokko – die Ausnahme

Das nordafrikanische Königreich ist eine positive Ausnahme unter muslimischen Ländern, was die Integration und den staatlichen Schutz der jüdischen Bevölkerung betrifft. Im Nachbarland Algerien nahm die Regierung 1962 den Juden ihre ökonomischen Rechte, worauf 120 000 nach Frankreich emigrierten. Weitere Abwanderungen folgten im algerischen Bürgerkrieg, nachdem 1994 die Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) Anschläge gegen Juden angekündigt hatte. In Tunesien sind von den einst 40 000 tunesischen Juden nur mehr etwa 1300 übrig. Trotz staatlicher Protektion ereigneten sich immer wieder gewalttätige Übergriffe von Muslimen, die ihren Zorn über die Politik Israels an den heimischen Juden ausliessen.

In Syrien spielte der Nahostkonflikt ebenfalls eine entscheidende Rolle. Die Juden wurden in den 1960er und 1970er Jahren als politisches Risiko angesehen, deshalb überwacht und ständig kontrolliert. 1990 liess der damalige Präsident Hafez Asad nur auf Druck der USA 1200 Juden ausreisen, die in der Arabischen Republik nicht mehr leben wollten und konnten. Dabei ist auch die Geschichte Syriens seit Jahrhunderten mit jüdischer Kultur verbunden. Ende des 19. Jahrhunderts lebten dort rund 50 000 Juden, davon 10 000 in Aleppo. Heute sind in der im Norden Syriens gelegenen Stadt gerade noch 50 übrig. Im benachbarten Libanon wurde das jüdische Leben ebenfalls ein Opfer des politischen Konflikts mit Israel. Wo in den 1950er Jahren rund 7000 Juden wohnten, gibt es heute so gut wie keine mehr, und die wenigen wollen nicht als Juden erkannt werden. Die Synagoge im Zentrum Beiruts rottet vor sich hin, niemand wagt sie zu restaurieren, geschweige denn wieder in Betrieb zu nehmen.

Alte Wurzeln in Iran

Das Zuhause der grössten jüdischen Gemeinschaft (25 000) im Mittleren Osten ausserhalb Israels bleibt heute Iran – nach den antisemitischen Äusserungen von Präsident Mahmud Ahmadinejad würden dies wohl die wenigsten erwarten. Seit 3000 Jahren sind Juden in Iran ansässig. Heute unterhalten sie Synagogen, koschere Schlachtereien, Schulen und ein eigenes Krankenhaus in Teheran. Es ist eines von vier jüdischen Krankenhäusern weltweit und wird ausschliesslich von der jüdischen Diaspora finanziert: eine Besonderheit in Iran, wo lokale Hilfsorganisationen Probleme mit ausländischen Geldern haben, die sie in den Verdacht der Spionage bringen können. Patienten und Belegschaft des Hospitals sind überwiegend Muslime. Nur der Direktor, Ciamak Morsathegh, ist jüdischer Herkunft. «Antisemitismus ist kein östliches Phänomen», sagte er in einem Interview, «genauso wenig ein islamisches oder iranisches – Antisemitismus ist ein europäisches Phänomen.» Selbst in den schlechtesten Tagen in Iran hätten die Juden nie so gelitten wie in Europa.

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