Die Geschichte des jungen Liberianers Eric, der wie viele andere Afrikaner in der spanischen Exklave Ceuta vom Asyl in der EU träumt
Ceuta - Die Gegner fallen wie die Fliegen. Zuerst die da vorne erschießen, dann rechts alle niedermachen, bevor der Rest im Gebüsch erledigt wird. Kriegsspiele auf einem Parkplatz im Zentrum der spanischen Stadt Ceuta, von Eric, einem jungen Mann aus Liberia. Seine Waffe ein Regenschirm, mit dem er durch die parkenden Autos schleicht, auf die er aufpasst, um ein paar Cent von den Fahrern zu bekommen.
Eine etwas seltsame Situation, denn auf imaginäre Gegner zu schießen, passt wenig zu dem ausgewachsenen 19-Jährigen. Eher würde man von ihm erwarten, dass er aus Langeweile bei der Arbeit Verse vor sich hin rappt oder ein Buch liest. Nur bei Eric Christian Carr hat sich die Welt auf den Kopf gestellt. In der Zeit, in der andere Kinder mit Luftkugeln durch die Gegend ballern, trug er eine echte Waffe. "Eine AK-47, besser bekannt unter Kalaschnikow", sagt der Liberianer ein paar Tage später vor einem Teller Pommes mit Mayo in einer typisch spanischen Tapas-Bar. "Eine beliebte Waffe, weil sie von jedem leicht zu bedienen ist und so gut wie nie Ladehemmung hat. Man kann sich darauf verlassen."
Mit zehn Jahren begann Erics unfreiwillige Karriere als Kindersoldat. Mit seinem Vater war er nach Beginn des zweiten liberianischen Bürgerkriegs (1999-2003) auf der Flucht ins Nachbarland Guinea, wo sie bereits während des ersten Kriegs (1989-1997) Unterschlupf gefunden hatten. An einem Checkpoint im Norden Liberias wurden Vater und Sohn angehalten. "Sie haben die Leute nach Stammeszugehörigkeit aussortiert", erinnert sich Eric. "In unserer Gruppe waren sechs Krahn-Mitglieder, darunter auch mein Vater. Vor meinen Augen wurden alle sofort erschossen." Damit verlor der damals Neunjährige auch den letzten Elternteil, nachdem seine Mutter bereits bei der Geburt gestorben war.
Mit anderen Kindern wurde Eric auf Lkws verladen, sie bekamen ein Messer geschenkt und später ein Waffentraining im Busch. Von nun an galt es für die Rebellengruppe Lurd (Vereinigte Liberianer für Aussöhnung und Demokratie) zu kämpfen, die vorher den Namen Ulimo (Vereinigte Befreiungsbewegung von Liberia für Demokratie) hatte und für unzählige Grausamkeiten an Zivilisten bekannt war. Lurd kämpfte für die Absetzung Präsident Charles Taylors, der selbst durch Bürgerkrieg an die Macht gekommen war und dem heute wegen Kriegsverbrechen vor einem UN-Gericht in Sierra Leone der Prozess gemacht wird.
Die Lurd-Rebellen finanzierten sich durch Plünderungen und Diamanten, die gegen Waffen eingetauscht wurden. "Wir waren eine Gruppe von etwa 30 Leuten, die im Busch lebten, und hatten einfach alles", erzählt Eric schmunzelnd, als wäre das Ganze damals eine große Party gewesen. "Geld, Alkohol, Drogen und gut zu essen. Wir haben uns einfach genommen, was wir wollten." Sie zogen von Überfall zu Überfall, eine marodierende Bande, die nichts mit Politik zu tun hatte, von ihr nur missbraucht wurde. Die Hälfte der Truppe waren Kinder im gleichen Alter wie Eric, der Rest zwischen 15 und maximal 25. Darunter sein bester Freund Ibrahim, "der schon mit 22 oder 23 Jahren ein sehr tapferer Kerl war".
Alle Mitglieder der Bande glaubten, magische Kräfte zu besitzen, die sie unverwundbar machten. Drogen sorgten für Furchtlosigkeit. "Wir hatten Tabletten, die man mit ein bisschen Wasser auflöste und trank. Man fühlte sich rundherum stark und gut." Bei den Raubzügen töteten sie immer wieder Menschen, vergewaltigten und kidnappten Frauen. "Diejenigen, die sich weigerten, wurden erschossen, oder man schnitt ihnen die Brüste ab. Fand jemand aus der Gruppe an einem Mädchen Gefallen, hat er sie einfach mitgenommen. Sie kochte dann für uns und wurde ein Mitglied unserer Gemeinschaft", sagt Eric mit einem Ton, als sei es das Normalste der Welt, Sex- und Arbeitssklaven zu haben. Frauen zu besitzen gehörte in der Truppe offensichtlich zum guten Ton, eine Art Statussymbol eines erfolgreichen Kriegers. Selbst die Kindersoldaten wollten darauf nicht verzichten. "Wir Kleinen hatten auch unsere Frauen", berichtet Eric, "obwohl wir nicht das machen konnten, was die Großen taten. Wir fingerten eben an den Frauen herum und ließen sie sonst all das machen, was uns einfach in den Sinn kam."
Ihm sei nichts anderes übrig geblieben, erklärt er weiter. "Wer nicht mitmachte, den hat man sofort erschossen." Mit einem Gewehrlauf am Kopf würde jeder das tun, was man von ihm verlangte. Ob er jemand getötet habe, wisse er nicht. Er habe nur zur Selbstverteidigung geschossen, und das immer aus Entfernung, nie im Kampf Mann gegen Mann. "Was soll man schon tun, wenn die ATU angreift?" Eric meint damit die Antiterroreinheit, die aufseiten der Regierung von Präsident Charles Taylor kämpfte. Eine Einheit, die Gegner folterte, plünderte und ethnische Säuberungen vornahm.
Bei einem der Angriffe von Regierungssoldaten im Jahr 2002 konnte Eric, zusammen mit seinem Freund Ibrahim, schließlich flüchten. "Sie erschossen viele von uns, und alles ging drunter und drüber." Eine gute Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen, denn "man konnte sonst nicht einfach davonlaufen. Das war schwierig und lebensgefährlich". Mit Ibrahim schaffte er es nach Jekepa, einer Grenzstadt zu Guinea. Dort ordneten sie sich in die Warteschlangen der Flüchtlinge ein, erhielten Essen und Kleidung von UN-Hilfsorganisationen. Bis 2005 besuchte Eric eine christliche Flüchtlingsschule in der Stadt Siguiri am Niger-Fluss, bevor er sich endgültig von Guinea auf den Weg zu einem besseres Leben nach Europa aufmachte.
Zwei Jahre dauert seine Odyssee durch Mali, Algerien und Marokko bis er am 10. November 2007 in Ceuta ankommt, der spanischen Exklave im Norden von Marokko. Aus einer nahe gelegenen marokkanischen Kleinstadt geht es mitten in der Nacht durchs Meer in die spanische Hafenstadt auf marokkanischem Territorium. Da Eric nicht schwimmen kann, bindet man ihm eine Leine um den Bauch. "Ein Junge schwamm vor mir und zog mich mit meiner Schwimmweste durch das Wasser." Das Ganze kostete 300 Euro, eine Summe, die Eric in alter Kindersoldatenmanier erbeutet hatte. Zusammen mit Kollegen, erzählt er lapidar, habe man andere schwarzafrikanische Migranten in Marokko gekidnappt und für ihre Freilassung Lösegeld verlangt. Wer nicht bezahlen wollte, "bei dem wurde nachgeholfen".
Nun wohnt der 19-jährige Liberianer im Ceti (Zentrum für temporären Aufenthalt von Immigranten) von Ceuta und wartet darauf, dass seinem Antrag auf politisches Asyl in Spanien stattgegeben wird. "Ohne Eltern, ohne Familie, zudem ist mein Stamm nicht erwünscht, da kann mich niemand nach Liberia zurückschicken", behauptet der ehemalige Kindersoldat überzeugt. Ohne den festen Glauben an eine Zukunft würde er verrückt werden. Was er denn auf der iberischen Halbinsel tun möchte? "Ich bin ein ausgezeichneter Fußballspieler, der in der 2. Liga anfangen und dann in die erste wechseln könnte. Die andere Möglichkeit ist Hip-Hop, das kann ich auch sehr gut. Ich bin schon im lokalen Fernsehen von Ceuta aufgetreten", fügt er nicht ohne Stolz an. Wenn beides allerdings nicht klappen sollte, würde der Fan von Manchester United und Christiano Ronaldo auch jede andere erdenkliche Arbeit annehmen. "Ich kann alles machen. Ich weiß, wie man Geld macht."
Publiziert am 16.03.09 in der Welt
Ceuta - Die Gegner fallen wie die Fliegen. Zuerst die da vorne erschießen, dann rechts alle niedermachen, bevor der Rest im Gebüsch erledigt wird. Kriegsspiele auf einem Parkplatz im Zentrum der spanischen Stadt Ceuta, von Eric, einem jungen Mann aus Liberia. Seine Waffe ein Regenschirm, mit dem er durch die parkenden Autos schleicht, auf die er aufpasst, um ein paar Cent von den Fahrern zu bekommen.
Eine etwas seltsame Situation, denn auf imaginäre Gegner zu schießen, passt wenig zu dem ausgewachsenen 19-Jährigen. Eher würde man von ihm erwarten, dass er aus Langeweile bei der Arbeit Verse vor sich hin rappt oder ein Buch liest. Nur bei Eric Christian Carr hat sich die Welt auf den Kopf gestellt. In der Zeit, in der andere Kinder mit Luftkugeln durch die Gegend ballern, trug er eine echte Waffe. "Eine AK-47, besser bekannt unter Kalaschnikow", sagt der Liberianer ein paar Tage später vor einem Teller Pommes mit Mayo in einer typisch spanischen Tapas-Bar. "Eine beliebte Waffe, weil sie von jedem leicht zu bedienen ist und so gut wie nie Ladehemmung hat. Man kann sich darauf verlassen."
Mit zehn Jahren begann Erics unfreiwillige Karriere als Kindersoldat. Mit seinem Vater war er nach Beginn des zweiten liberianischen Bürgerkriegs (1999-2003) auf der Flucht ins Nachbarland Guinea, wo sie bereits während des ersten Kriegs (1989-1997) Unterschlupf gefunden hatten. An einem Checkpoint im Norden Liberias wurden Vater und Sohn angehalten. "Sie haben die Leute nach Stammeszugehörigkeit aussortiert", erinnert sich Eric. "In unserer Gruppe waren sechs Krahn-Mitglieder, darunter auch mein Vater. Vor meinen Augen wurden alle sofort erschossen." Damit verlor der damals Neunjährige auch den letzten Elternteil, nachdem seine Mutter bereits bei der Geburt gestorben war.
Mit anderen Kindern wurde Eric auf Lkws verladen, sie bekamen ein Messer geschenkt und später ein Waffentraining im Busch. Von nun an galt es für die Rebellengruppe Lurd (Vereinigte Liberianer für Aussöhnung und Demokratie) zu kämpfen, die vorher den Namen Ulimo (Vereinigte Befreiungsbewegung von Liberia für Demokratie) hatte und für unzählige Grausamkeiten an Zivilisten bekannt war. Lurd kämpfte für die Absetzung Präsident Charles Taylors, der selbst durch Bürgerkrieg an die Macht gekommen war und dem heute wegen Kriegsverbrechen vor einem UN-Gericht in Sierra Leone der Prozess gemacht wird.
Die Lurd-Rebellen finanzierten sich durch Plünderungen und Diamanten, die gegen Waffen eingetauscht wurden. "Wir waren eine Gruppe von etwa 30 Leuten, die im Busch lebten, und hatten einfach alles", erzählt Eric schmunzelnd, als wäre das Ganze damals eine große Party gewesen. "Geld, Alkohol, Drogen und gut zu essen. Wir haben uns einfach genommen, was wir wollten." Sie zogen von Überfall zu Überfall, eine marodierende Bande, die nichts mit Politik zu tun hatte, von ihr nur missbraucht wurde. Die Hälfte der Truppe waren Kinder im gleichen Alter wie Eric, der Rest zwischen 15 und maximal 25. Darunter sein bester Freund Ibrahim, "der schon mit 22 oder 23 Jahren ein sehr tapferer Kerl war".
Alle Mitglieder der Bande glaubten, magische Kräfte zu besitzen, die sie unverwundbar machten. Drogen sorgten für Furchtlosigkeit. "Wir hatten Tabletten, die man mit ein bisschen Wasser auflöste und trank. Man fühlte sich rundherum stark und gut." Bei den Raubzügen töteten sie immer wieder Menschen, vergewaltigten und kidnappten Frauen. "Diejenigen, die sich weigerten, wurden erschossen, oder man schnitt ihnen die Brüste ab. Fand jemand aus der Gruppe an einem Mädchen Gefallen, hat er sie einfach mitgenommen. Sie kochte dann für uns und wurde ein Mitglied unserer Gemeinschaft", sagt Eric mit einem Ton, als sei es das Normalste der Welt, Sex- und Arbeitssklaven zu haben. Frauen zu besitzen gehörte in der Truppe offensichtlich zum guten Ton, eine Art Statussymbol eines erfolgreichen Kriegers. Selbst die Kindersoldaten wollten darauf nicht verzichten. "Wir Kleinen hatten auch unsere Frauen", berichtet Eric, "obwohl wir nicht das machen konnten, was die Großen taten. Wir fingerten eben an den Frauen herum und ließen sie sonst all das machen, was uns einfach in den Sinn kam."
Ihm sei nichts anderes übrig geblieben, erklärt er weiter. "Wer nicht mitmachte, den hat man sofort erschossen." Mit einem Gewehrlauf am Kopf würde jeder das tun, was man von ihm verlangte. Ob er jemand getötet habe, wisse er nicht. Er habe nur zur Selbstverteidigung geschossen, und das immer aus Entfernung, nie im Kampf Mann gegen Mann. "Was soll man schon tun, wenn die ATU angreift?" Eric meint damit die Antiterroreinheit, die aufseiten der Regierung von Präsident Charles Taylor kämpfte. Eine Einheit, die Gegner folterte, plünderte und ethnische Säuberungen vornahm.
Bei einem der Angriffe von Regierungssoldaten im Jahr 2002 konnte Eric, zusammen mit seinem Freund Ibrahim, schließlich flüchten. "Sie erschossen viele von uns, und alles ging drunter und drüber." Eine gute Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen, denn "man konnte sonst nicht einfach davonlaufen. Das war schwierig und lebensgefährlich". Mit Ibrahim schaffte er es nach Jekepa, einer Grenzstadt zu Guinea. Dort ordneten sie sich in die Warteschlangen der Flüchtlinge ein, erhielten Essen und Kleidung von UN-Hilfsorganisationen. Bis 2005 besuchte Eric eine christliche Flüchtlingsschule in der Stadt Siguiri am Niger-Fluss, bevor er sich endgültig von Guinea auf den Weg zu einem besseres Leben nach Europa aufmachte.
Zwei Jahre dauert seine Odyssee durch Mali, Algerien und Marokko bis er am 10. November 2007 in Ceuta ankommt, der spanischen Exklave im Norden von Marokko. Aus einer nahe gelegenen marokkanischen Kleinstadt geht es mitten in der Nacht durchs Meer in die spanische Hafenstadt auf marokkanischem Territorium. Da Eric nicht schwimmen kann, bindet man ihm eine Leine um den Bauch. "Ein Junge schwamm vor mir und zog mich mit meiner Schwimmweste durch das Wasser." Das Ganze kostete 300 Euro, eine Summe, die Eric in alter Kindersoldatenmanier erbeutet hatte. Zusammen mit Kollegen, erzählt er lapidar, habe man andere schwarzafrikanische Migranten in Marokko gekidnappt und für ihre Freilassung Lösegeld verlangt. Wer nicht bezahlen wollte, "bei dem wurde nachgeholfen".
Nun wohnt der 19-jährige Liberianer im Ceti (Zentrum für temporären Aufenthalt von Immigranten) von Ceuta und wartet darauf, dass seinem Antrag auf politisches Asyl in Spanien stattgegeben wird. "Ohne Eltern, ohne Familie, zudem ist mein Stamm nicht erwünscht, da kann mich niemand nach Liberia zurückschicken", behauptet der ehemalige Kindersoldat überzeugt. Ohne den festen Glauben an eine Zukunft würde er verrückt werden. Was er denn auf der iberischen Halbinsel tun möchte? "Ich bin ein ausgezeichneter Fußballspieler, der in der 2. Liga anfangen und dann in die erste wechseln könnte. Die andere Möglichkeit ist Hip-Hop, das kann ich auch sehr gut. Ich bin schon im lokalen Fernsehen von Ceuta aufgetreten", fügt er nicht ohne Stolz an. Wenn beides allerdings nicht klappen sollte, würde der Fan von Manchester United und Christiano Ronaldo auch jede andere erdenkliche Arbeit annehmen. "Ich kann alles machen. Ich weiß, wie man Geld macht."
Publiziert am 16.03.09 in der Welt
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