Vor zehn Jahren wurde Mohammed VI. König von Marokko. Er gilt als reformfreudiger Bürgerkönig. Doch der Weg zu einer liberalen Gesellschaft ist noch weit
Zuletzt noch den Marmorboden shampooniert, den schmiedeeisernen Zaun in den Nationalfarben Grün-Rot verkleidet und draußen auf der Straße die Bordsteine neu gestrichen. Die pompösen Festzelte hatte man bereits vor über einer Woche aufgestellt. Wie immer muss zum "Fête du trone", alles perfekt sein, insbesondere zum 10. Jubiläum, das Mohammed VI. heute nicht in der Hauptstadt Rabat, sondern in seinem geliebten Tanger feiert. In einem relativ kleinen Palast im Stadtteil Marshan, von dem man die Meerenge von Gibraltar überblickt. Ganz in Weiß gekleidet, reitet dann der Herrscher der Alawiten auf einem Pferd - begleitet von einem Diener, der ihm einen Sonnenschirm über den Kopf hält - durch die Elite seiner Untertanen: eine Mischung aus islamischen Theologen, Ministern, Abgeordneten und Behördenbediensteten. Sich verbeugend, schwören sie ihrem König Gehorsam.
Altertümliche Traditionen, die eigentlich nicht zum öffentlichen Image von Mohammed VI. passen. Als er 1999, nach dem Tod seiner Vaters Hassan II., die Regentschaft übernahm, galt der damals 36-Jährige als "cooler King". Bekannt war sein Faible für Jetski, Sportwagen, Raï-Pop und die Freundschaft zu US-Rapper P. Diddy oder dem französischen Altrocker Johnny Hallyday. Ein Image, das sich der Monarch bis heute auch etwas kosten lässt. Alleine für den Unterhalt seines Fuhrparks, vornehmlich Ferraris und Mercedes, soll er jährlich sechs Millionen ausgeben, wie das marokkanische Wochenmagazin "Telquel" errechnete. Mohammed VI. kann sich das leisten, zählt er doch zu den 15 reichsten "Royals" der Welt. Das US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" setzte ihn 2008 auf Position sieben in der Rangliste, noch vor den Emiren aus Katar und Kuwait. Geschätztes Vermögen des marokkanischen Königs: 2,5 Milliarden Dollar. Fünf Mal so viel, wie ihm sein Vater Hassan II. vor zehn Jahren hinterlassen hatte.
Diesen unermesslichen Reichtum in einem Land, in dem laut CIA Factbook 15 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, nimmt ihm jedoch kaum jemand übel. "Selbst wenn es nicht gerecht ist", meint Said Naji, 34-jähriger Manager einer deutschen Firma in Marokko. "Das gehört zu einem König." Viel wichtiger sei es jedoch, dass im Vergleich zu früher alles wesentlich besser wurde. "Mit Mohammed VI. kam mehr Freiheit, und mit unserer Ökonomie geht es aufwärts."
Tatsächlich brachte der neue Regent, als er 1999 den Thron bestieg, Marokko auf Reformkurs. Als eine seiner ersten Amtshandlungen veranlasste er die Entlassung von Tausenden von politischen Gefangenen, bat im Exil Lebende persönlich zurückzukommen, und vertraute ihnen Aufgaben bei der Neugestaltung des Landes an. Zudem wurde eine "Wahrheits- und Versöhnungskommission" initiiert, die die Menschenrechtsverletzungen der "bleiernen Zeit" (1956-1999) unter Hassan II. aufarbeitete. Den Vorsitz bekam Driss Benzekri, ein ehemaliger kommunistischer Häftling. Die Anhörungen dieser Kommission wurden live im nationalen Fernsehen übertragen. "Im Vergleich zu anderen arabischen Ländern", meint Abdelhay Moudden, Politikwissenschaftler und ehemaliges Mitglied der Wahrheitskommission, "war das marokkanische Vorgehen ein unglaublicher Schritt. Keiner der Machthaber in Ägypten, Saudi-Arabien oder Syrien würde eine derartige Kommission bei sich dulden."
Ein weiterer Meilenstein war 2004 ein neues Familiengesetz (Moudawana), das der Frau wesentlich mehr Rechte als zuvor einräumt und für andere arabische Länder revolutionär ist. Für Prinzessin Lalla Salma, die Frau von Mohammed VI., "eine Grundvoraussetzung für die Bildung einer demokratischen Gesellschaft". 2002 hatte die damals 24-jährige studierte Informatikerin den marokkanischen Monarchen geheiratet. Als erste Ehefrau eines Königs in der Geschichte Marokkos wurde sie der Öffentlichkeit präsentiert - und das ohne Schleier und Kopftuch, versteht sich. Die Prinzessin engagiert sich für den Kampf gegen Krebs und Aids, spricht als Repräsentantin Marokkos in Paris vor der Unesco-Generalkonferenz oder bei einem Treffen der Arabischen Frauen-Organisation in Tunis. Ein deutliches Signal, wie sich das Königshaus eine moderne Frau in einem liberalen Marokko vorstellt.
Parallel zum politischen Reformkurs wurden die Infrastruktur Marokkos ausgebaut und wirtschaftliche Großprojekte gestartet. Heute verbindet ein 1500 Kilometer langes Autobahnnetz (unter Hassan II. waren es 100 Kilometer) alle größeren marokkanischen Städte. Eine Schnellzugverbindung mit französischen TGV-Lokomotiven ist in Planung. In der Nähe von Tanger entstand für über eine Milliarde Euro ein neuer Mittelmeerhafen. Dazu eine 500-Quadratkilometer-Industriezone, in der Renault ab 2013 jedes Jahr 200 000 neue Autos produzieren will.
"Die Veränderungen seit dem Beginn der Regentschaft von Mohammed VI. sind enorm", glaubt Khalid Amine, Professor an der Universität in Tetouan. "Sie beschränken sich nicht nur auf Politik und Ökonomie, sondern sind auch sozialer Natur." Damit meint er die Alphabetisierungsprogramme für die rund 40 Prozent Marokkaner, die nicht lesen und schreiben können, sowie die Einführung einer medizinischen Basisversorgung der armen Schichten, die sich keinen Arzt leisten können. Oder auch das Programm zur Beseitigung von Elendsvierteln. Bisher sind 30 Städte für "slumfrei" erklärt worden. Bis Ende 2009 sollen weitere 50 000 dieser Hüttendörfer verschwinden und deren Bewohner in Neubauten umgesiedelt werden. Die Maßnahmen in den urbanen Randgebieten haben allerdings nicht nur soziale Motive. Die Attentäter der Bombenanschläge in Casablanca vom Mai 2003, bei denen 43 Menschen starben, kamen aus derartigen urbanen Elendsquartieren. Mit dem Ende dieser Viertel will man den radikalen Islamisten eine Rekrutierungsbasis nehmen.
Die Bomben von Casablanca gelten als eine Zäsur auf dem Weg der Liberalisierung Marokkos. Nur elf Tage nach den Anschlägen in Casablanca wurde vom Parlament eine Verschärfung des Anti-Terror-Gesetzes verabschiedet. Menschenrechtsorganisationen protestierten scharf gegen die Gesetzesänderung, die Terrorismus wesentlich weiter fasst und die Todesstrafe für eine größere Anzahl von Delikten vorschreibt. Bis heute enttarnten die marokkanischen Behörden über 50 angebliche Terrornetze militanter Islamisten, die Attentate im In- und Ausland geplant haben sollen. Unter Hassan II. bevölkerten Kommunisten als Systemgegner marokkanische Gefängnisse, heute sind es die Islamisten.
In den letzten Jahren gab es auch immer wieder Verhaftungen und Verurteilungen von Journalisten. Sogar ein Jugendlicher, der "Gott, Nation und FC Barcelona (statt König)" an die Schultafel geschrieben hatte, war von den Behörden in Gewahrsam genommen worden. "Mit insgesamt 25 Jahren Haft und zwei Millionen Euro Geldstrafe sind Journalisten in den letzten zehn Jahren in Marokko bestraft worden", heißt es in einem Bericht von Reporter ohne Grenzen. Wobei allerdings nicht gesagt wird, dass einige Strafen in zweiter Instanz entscheidend reduziert oder sogar aufgehoben wurden.
Nach 38 Jahren Diktatur unter Hassan II. haben einige seiner Anhänger noch nicht begriffen, dass diese rigide Ära vorbei ist. "Natürlich ist Marokko noch keine Demokratie, aber es befindet sich auf dem Weg dazu, obwohl dies einige immer wieder zu verhindern versuchen", erklärt Abdelhay Moudden. "Die Gruppe der Liberalisierungsgegner, die hinter den Kulissen sabotiert, ist sehr heterogen. Dazu gehören konservative Monarchisten im Justizwesen oder in anderen Teilen der Staatsbürokratie. Aber auch Industrielle und säkulare Militärs, die den althergebrachten Status quo verteidigen." Man brauche mehr Reformen, vor allen Dingen eine Überarbeitung des Strafgesetzbuchs, damit keine Verstöße gegen die Meinungsfreiheit mehr möglich sind. "Aber nach wie vor", fügt Moudden schmunzelnd hinzu, "kann man sich als Marokkaner, im Vergleich zu anderen arabischen Ländern, immer noch ziemlich gut fühlen."
Zuletzt noch den Marmorboden shampooniert, den schmiedeeisernen Zaun in den Nationalfarben Grün-Rot verkleidet und draußen auf der Straße die Bordsteine neu gestrichen. Die pompösen Festzelte hatte man bereits vor über einer Woche aufgestellt. Wie immer muss zum "Fête du trone", alles perfekt sein, insbesondere zum 10. Jubiläum, das Mohammed VI. heute nicht in der Hauptstadt Rabat, sondern in seinem geliebten Tanger feiert. In einem relativ kleinen Palast im Stadtteil Marshan, von dem man die Meerenge von Gibraltar überblickt. Ganz in Weiß gekleidet, reitet dann der Herrscher der Alawiten auf einem Pferd - begleitet von einem Diener, der ihm einen Sonnenschirm über den Kopf hält - durch die Elite seiner Untertanen: eine Mischung aus islamischen Theologen, Ministern, Abgeordneten und Behördenbediensteten. Sich verbeugend, schwören sie ihrem König Gehorsam.
Altertümliche Traditionen, die eigentlich nicht zum öffentlichen Image von Mohammed VI. passen. Als er 1999, nach dem Tod seiner Vaters Hassan II., die Regentschaft übernahm, galt der damals 36-Jährige als "cooler King". Bekannt war sein Faible für Jetski, Sportwagen, Raï-Pop und die Freundschaft zu US-Rapper P. Diddy oder dem französischen Altrocker Johnny Hallyday. Ein Image, das sich der Monarch bis heute auch etwas kosten lässt. Alleine für den Unterhalt seines Fuhrparks, vornehmlich Ferraris und Mercedes, soll er jährlich sechs Millionen ausgeben, wie das marokkanische Wochenmagazin "Telquel" errechnete. Mohammed VI. kann sich das leisten, zählt er doch zu den 15 reichsten "Royals" der Welt. Das US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" setzte ihn 2008 auf Position sieben in der Rangliste, noch vor den Emiren aus Katar und Kuwait. Geschätztes Vermögen des marokkanischen Königs: 2,5 Milliarden Dollar. Fünf Mal so viel, wie ihm sein Vater Hassan II. vor zehn Jahren hinterlassen hatte.
Diesen unermesslichen Reichtum in einem Land, in dem laut CIA Factbook 15 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, nimmt ihm jedoch kaum jemand übel. "Selbst wenn es nicht gerecht ist", meint Said Naji, 34-jähriger Manager einer deutschen Firma in Marokko. "Das gehört zu einem König." Viel wichtiger sei es jedoch, dass im Vergleich zu früher alles wesentlich besser wurde. "Mit Mohammed VI. kam mehr Freiheit, und mit unserer Ökonomie geht es aufwärts."
Tatsächlich brachte der neue Regent, als er 1999 den Thron bestieg, Marokko auf Reformkurs. Als eine seiner ersten Amtshandlungen veranlasste er die Entlassung von Tausenden von politischen Gefangenen, bat im Exil Lebende persönlich zurückzukommen, und vertraute ihnen Aufgaben bei der Neugestaltung des Landes an. Zudem wurde eine "Wahrheits- und Versöhnungskommission" initiiert, die die Menschenrechtsverletzungen der "bleiernen Zeit" (1956-1999) unter Hassan II. aufarbeitete. Den Vorsitz bekam Driss Benzekri, ein ehemaliger kommunistischer Häftling. Die Anhörungen dieser Kommission wurden live im nationalen Fernsehen übertragen. "Im Vergleich zu anderen arabischen Ländern", meint Abdelhay Moudden, Politikwissenschaftler und ehemaliges Mitglied der Wahrheitskommission, "war das marokkanische Vorgehen ein unglaublicher Schritt. Keiner der Machthaber in Ägypten, Saudi-Arabien oder Syrien würde eine derartige Kommission bei sich dulden."
Ein weiterer Meilenstein war 2004 ein neues Familiengesetz (Moudawana), das der Frau wesentlich mehr Rechte als zuvor einräumt und für andere arabische Länder revolutionär ist. Für Prinzessin Lalla Salma, die Frau von Mohammed VI., "eine Grundvoraussetzung für die Bildung einer demokratischen Gesellschaft". 2002 hatte die damals 24-jährige studierte Informatikerin den marokkanischen Monarchen geheiratet. Als erste Ehefrau eines Königs in der Geschichte Marokkos wurde sie der Öffentlichkeit präsentiert - und das ohne Schleier und Kopftuch, versteht sich. Die Prinzessin engagiert sich für den Kampf gegen Krebs und Aids, spricht als Repräsentantin Marokkos in Paris vor der Unesco-Generalkonferenz oder bei einem Treffen der Arabischen Frauen-Organisation in Tunis. Ein deutliches Signal, wie sich das Königshaus eine moderne Frau in einem liberalen Marokko vorstellt.
Parallel zum politischen Reformkurs wurden die Infrastruktur Marokkos ausgebaut und wirtschaftliche Großprojekte gestartet. Heute verbindet ein 1500 Kilometer langes Autobahnnetz (unter Hassan II. waren es 100 Kilometer) alle größeren marokkanischen Städte. Eine Schnellzugverbindung mit französischen TGV-Lokomotiven ist in Planung. In der Nähe von Tanger entstand für über eine Milliarde Euro ein neuer Mittelmeerhafen. Dazu eine 500-Quadratkilometer-Industriezone, in der Renault ab 2013 jedes Jahr 200 000 neue Autos produzieren will.
"Die Veränderungen seit dem Beginn der Regentschaft von Mohammed VI. sind enorm", glaubt Khalid Amine, Professor an der Universität in Tetouan. "Sie beschränken sich nicht nur auf Politik und Ökonomie, sondern sind auch sozialer Natur." Damit meint er die Alphabetisierungsprogramme für die rund 40 Prozent Marokkaner, die nicht lesen und schreiben können, sowie die Einführung einer medizinischen Basisversorgung der armen Schichten, die sich keinen Arzt leisten können. Oder auch das Programm zur Beseitigung von Elendsvierteln. Bisher sind 30 Städte für "slumfrei" erklärt worden. Bis Ende 2009 sollen weitere 50 000 dieser Hüttendörfer verschwinden und deren Bewohner in Neubauten umgesiedelt werden. Die Maßnahmen in den urbanen Randgebieten haben allerdings nicht nur soziale Motive. Die Attentäter der Bombenanschläge in Casablanca vom Mai 2003, bei denen 43 Menschen starben, kamen aus derartigen urbanen Elendsquartieren. Mit dem Ende dieser Viertel will man den radikalen Islamisten eine Rekrutierungsbasis nehmen.
Die Bomben von Casablanca gelten als eine Zäsur auf dem Weg der Liberalisierung Marokkos. Nur elf Tage nach den Anschlägen in Casablanca wurde vom Parlament eine Verschärfung des Anti-Terror-Gesetzes verabschiedet. Menschenrechtsorganisationen protestierten scharf gegen die Gesetzesänderung, die Terrorismus wesentlich weiter fasst und die Todesstrafe für eine größere Anzahl von Delikten vorschreibt. Bis heute enttarnten die marokkanischen Behörden über 50 angebliche Terrornetze militanter Islamisten, die Attentate im In- und Ausland geplant haben sollen. Unter Hassan II. bevölkerten Kommunisten als Systemgegner marokkanische Gefängnisse, heute sind es die Islamisten.
In den letzten Jahren gab es auch immer wieder Verhaftungen und Verurteilungen von Journalisten. Sogar ein Jugendlicher, der "Gott, Nation und FC Barcelona (statt König)" an die Schultafel geschrieben hatte, war von den Behörden in Gewahrsam genommen worden. "Mit insgesamt 25 Jahren Haft und zwei Millionen Euro Geldstrafe sind Journalisten in den letzten zehn Jahren in Marokko bestraft worden", heißt es in einem Bericht von Reporter ohne Grenzen. Wobei allerdings nicht gesagt wird, dass einige Strafen in zweiter Instanz entscheidend reduziert oder sogar aufgehoben wurden.
Nach 38 Jahren Diktatur unter Hassan II. haben einige seiner Anhänger noch nicht begriffen, dass diese rigide Ära vorbei ist. "Natürlich ist Marokko noch keine Demokratie, aber es befindet sich auf dem Weg dazu, obwohl dies einige immer wieder zu verhindern versuchen", erklärt Abdelhay Moudden. "Die Gruppe der Liberalisierungsgegner, die hinter den Kulissen sabotiert, ist sehr heterogen. Dazu gehören konservative Monarchisten im Justizwesen oder in anderen Teilen der Staatsbürokratie. Aber auch Industrielle und säkulare Militärs, die den althergebrachten Status quo verteidigen." Man brauche mehr Reformen, vor allen Dingen eine Überarbeitung des Strafgesetzbuchs, damit keine Verstöße gegen die Meinungsfreiheit mehr möglich sind. "Aber nach wie vor", fügt Moudden schmunzelnd hinzu, "kann man sich als Marokkaner, im Vergleich zu anderen arabischen Ländern, immer noch ziemlich gut fühlen."
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