In der syrischen Stadt Aleppo tragen Rebellen und Regimetruppen die
"Mutter aller Schlachten" aus. Als erster Journalist für ein deutsches
Medium begleitet Alfred Hackensberger die Truppen.
"Wir kommen von der anderen
Seite", sagt der Pilot im Cockpit und deutet auf die Landebahn in der
Ferne. Er will einen Flug über die von den Rebellen kontrollierten
Stadtgebiete von Aleppo vermeiden. "Sehen Sie, da in den Olivenhainen
sind sie versteckt. Sie haben Duschkas und mit diesen Geschützen könnten
sie unsere Maschine, die wie eine behäbige Kuh durch die Luft fliegt,
leicht erwischen."
Wenige Minuten später landet der Pilot die Maschine sicher auf dem Internationalen Flughafen von Aleppo, der größten Stadt Syriens
im Norden des Landes. Dort wird seit zwei Monaten die "Mutter aller
Schlachten" zwischen Regimetruppen und Rebellen der Freien Syrischen
Armee (FSA) ausgetragen.
Verfolgt,
eingekreist und getötet. Am Vortag waren es 41, heute sind es mehr als
200 Tote. Auf den Bildern des Militärfotografen sieht man einige der
Leichen am Boden liegen. "Mit den Terroristen geht es zu Ende", erklärt
ein Major im Sicherheitszentrum von Aleppo triumphierend.
In seinem Büro
hängen eine Maria-Ikone und ein Rosenkranz am Bild von Hafis al-Assad,
dem Vater des amtierenden Präsidenten Baschar al-Assad. "Terroristen"
ist der offizielle Terminus für die FSA. "Sehen Sie, was ich hier habe",
meint der Offizier und legt eine Handgranate auf den roten Glastisch.
"Das ist eine
Granate aus Schweizer Produktion, die wir in einem Haus der Terroristen
fanden." Das ist keine Ausnahme betont der Major aus Aleppo, der weder
seinen Namen nennen noch sich fotografieren lassen will. "Wir haben
Waffen aus aller Herren Länder konfisziert", erklärt er aufgebracht.
"Darunter auch Gewehre, die Nato-Truppen benutzen."
Verschwörungstheorien kursieren
Der Bürgerkrieg
in Syrien ist für den jungen Major ein Produkt einer internationalen
Verschwörung. Zu dieser Legende gehören auch extremistische Islamisten
aus dem Ausland. "Unter den Getöteten befanden sich wieder einmal
Ausländer", versichert der Offizier aufgebracht. "Wir wissen, dass sie
aus Afghanistan, Libyen oder der Türkei kommen, um sich mit syrischen
Dschihadisten zu verbinden."
Der Major hat
damit nicht ganz unrecht: Der Kampf der Rebellen gegen die Regierung
Assads bekommt zunehmend einen extremeren religiösen Ton. Mehr und mehr
ausländische Dschihadisten reisen ein. Aber das Aufbegehren des
syrischen Volkes für demokratische Reformen völlig darauf zu reduzieren,
ist vollkommen abwegig.
"Selbst bei den
Demonstrationen wisse man nicht so recht, wer sie tatsächlich
angestachelt und wer auf wen geschossen hat", erklärt der
syrisch-orthodoxe Erzbischof von Aleppo in seiner Residenz. Zwischen den
Zeilen bestätigt er damit die offizielle Regierungsversion: Die
Proteste und die Toten bei den Demonstrationen sind ein Ergebnis von
"Provokateuren".
Erzbischof Mar
Gregorios ist ein kluger Mann der Kirche, der Reformen vom Regime
einklagt und für eine friedliche Verhandlungslösung des Konflikts ist.
Aber vor Verschwörungstheorien scheint er dennoch nicht gefeit zu sein.
Ein Grund dafür sind wohl seine schlechten Erfahrungen mit den Rebellen.
"Sechs Mitglieder unserer Gemeinde wurden von ihnen entführt und
mussten für die Freilassung Lösegeld bezahlen", sagt er.
Mehrfach befand
sich der Erzbischof auf Reisen in den USA. Dort, wo die Fäden der Macht
zusammenliefen. Von hochrangigen politischen Vertretern wisse
Gregorios, dass Regime, Partei und Militär Syriens bestehen bleiben
soll. Als Garant für Stabilität und Ordnung. Nur Präsident Assad und
sein Familie müssten gehen. Die ägyptische Lösung: Der Präsident geht,
das Militär regiert und alte Machtstrukturen bleiben bestehen.
Gewalt gegen protestierende Studenten
Über
"Provokateure" kann ein Deutscher, der seit vielen Jahren in Aleppo
lebt, nur müde lächeln. "Ich konnte es genau beobachten", erzählt der
Mann. "Mit brutaler Gewalt hat das Regime die protestierenden Studenten
der örtlichen Universität zusammengetreten und geschlagen. Natürlich
auch auf sie geschossen." Damals habe es mindestens sieben Tote unter
den Studenten gegeben.
"An anderen
Universitäten ist es zu ähnlichen Vorfälle zu Semesterschluss gekommen",
sagt der Mann. Die meisten Menschen in Syrien hatten am Anfang gehofft,
es könnte besser werden, meint der Deutsche weiter. Aus
Sicherheitsgründen kann man seinen Namen nicht nennen. "Aber nun,
angesichts des schrecklichen Bürgerkriegs, wären viele froh, die
Proteste hätten nie angefangen."
Im
Militärhauptquartier von Aleppo zieht der diensthabende General, der
ebenfalls ungenannt bleiben will, einen türkischen Ausweis aus der
Brusttasche seiner Uniform. Der Name auf dem Ausweis lautet Metin
Ekinici, geboren am 1. Juli 1974. Nachweislich ein militanter Islamist.
Sein Bruder gehörte zu al-Qaida. Ekinici war Anfang August in Aleppo
getötet worden, wie der General bestätigt. Ekinicis Ausweis und seine
Beerdigung hatte bereits das syrische Staatsfernsehen gezeigt.
"Die
Terroristen sind extreme Islamisten und Kriminelle", fügt der General
an. Neben ihm auf einer goldfarbenen Plüschcouch liegen ein Funkgerät,
ein iPad und Google Earth-Aufnahmen von Aleppo, auf denen Stadtviertel
mit rotem Filzstift markiert sind. Vor ihm auf einem Glastisch frische
Pfirsiche und Weintrauben.
Das
Kommandozentrum ist etwas versteckt in einem Hinterhof in einer
Privatwohnung untergebracht. "Der Besitzer hat sie uns zur Verfügung
gestellt, nachdem wir das Viertel vor drei Tagen von den Terroristen
befreiten." Der General wirkt sichtlich abgespannt. Krieg macht müde.
General streitet Gewalt gegen Zivilisten ab
Von Vorwürfen,
dass die syrische Armee keine Rücksicht auf Zivilisten nimmt, will er
nichts hören. Den kürzlich veröffentlichen Report der Vereinten
Nationen, der Syrien beschuldigt, die Zivilbevölkerung rücksichtslos zu
bombardieren, hält er für falsch. "Im Gegenteil, wir achten auf das
Leben der Zivilisten, sonst wäre die ganze Operation in Aleppo schon
längst zu Ende." Die Armee würde nur einen Bruchteil ihres wahren
Potenzials einsetzten, um Blutvergießen zu vermeiden.
Nach
militärischen Gesichtspunkten sicherlich richtig. Nur zehn
MIG-Kampfflugzeuge, von denen Syrien mehrere Hundert haben dürfte, sind
am Flughafen von Aleppo zu sehen. Von den Tausenden von Raketen in den
Arsenalen wurde noch nichts verwendet. Trotzdem: Die Bilanz von über
25.000 Toten spricht Bände.
Erneut knallen
in unmittelbarer Nähe des Hauptquartiers Schüsse. "Sie schießen mit
einer M16 auf uns", meint der General scheinbar ungerührt und fügt an:
"Das Gewehr stammt aus den USA." Die Feinde Syriens sind hier leicht
ausgemacht.
Auch für die
Soldaten, die das Hauptquartier bewachen. Sie kommen aus den Städten
Tartous, Lattakia und Homs. Freundliche junge Männer, die untereinander
scherzen und offensichtlich guten Mutes sind. Man trinkt Tee und raucht
eine Zigarette nach der anderen. "Viele meiner Kameraden sind von der
sogenannten Freien Armee getötet worden", sagt einer der Soldaten mit
Helm und schusssicherer Weste.
Grausame Geschichten
"Die
Terroristen kennen kein Erbarmen. Man kennt das doch, wie sie Köpfe
abschneiden." Er meint damit die grausamen Tötungsvideos, die im
Internet kursieren und radikal-islamistische FSA-Kämpfer zeigen, die
unter "Gott ist groß"-Rufen Anhänger des syrischen Regimes enthaupten.
"Da ist keine
freie Armee, sondern eine der Eselchen", ruft einer der Soldaten
dazwischen und alle lachen. Kameraden, die zu den Rebellen übergelaufen
sind, bezeichnet man als "Verräter und Feiglinge". "Ich habe meine
Familie über ein Jahr nicht gesehen", meint ein rauchender Soldat mit
Schutzweste und Helm. "Aber ich mache das gerne für unser Land und
unsere Freiheit. Wir wollen keine Islamisten in Syrien."
In Aleppo sind
24 Stunden lang die Explosionen von Panzergranaten zu hören. Nachts
sieht man die Leuchtspuren der Scharfschützen, die von hohen Gebäuden
irgendwo ins Häusermeer hineinfeuern. Maschinengewehrfeuer ist
allgegenwärtig.
Wer gedacht
hatte, der Fall von Präsident Assad und seinem Regimes sei durch den
Bürgerkrieg nur eine Frage der Zeit, wird eines Besseren belehrt.
Militär- und Sicherheitsapparat scheinen noch bestens zu funktionieren.
An Hunderten von Straßensperren erledigen Soldaten ihren Dienst. Leicht
könnten sie desertieren. Stattdessen kontrollieren sie beflissen die
passierenden Wagen und die Personalausweise ihrer Insassen.
Manches Mal
wird dabei vorsichtshalber die Kalaschnikow durchgeladen. An jeder
Busstation, auf allen öffentlichen Plätzen oder selbst im Büro der
syrischen Fluggesellschaft sind Sicherheitsleute in zivil postiert, die
für das "Rechte" sorgen. Das Feindbild der "islamistischen Terroristen
und Kriminellen", die den Krieg ins Land gebracht haben, treibt an.
Vertreibung, Entführungen und Misshandlungen
Die Flüchtlinge
aus dem von den Rebellen besetzten Teil Aleppos berichten von
Vertreibung, Kidnapping, Misshandlungen, von ihren Häusern, die
abgebrannt und ihren Autos, die gestohlen wurden. "Hier mein Junge, der
von einem Scharfschützen der FSA angeschossen wurde", ruft ein Vater
erzürnt im Gang einer zum Flüchtlingslager umfunktionierten Schule. Der
Junge trägt nach einer Operation einen Gips am Fuß und Metallgestänge im
Knochen.
"Uns haben sie
aus dem Haus geworfen, weil wir unseren Sohn nicht zum Kämpfen schicken
wollten", meint eine ältere Frau. "An Checkpoints kontrollierten sie
Handys nach verdächtigen Fotos und Nachrichten", erzählt ein junger
Mann. "Wenn sie etwas finden, wird man geschlagen, manche sogar
erschossen." Erzählungen, die sich ins kollektive Gedächtnis einprägen.
Laut Auskunft
des Leiters der Schule sollen sich insgesamt etwa eine Million
Flüchtlinge aus dem anderen, von Rebellen besetzten Teil der Stadt und
Region Aleppo, unter dem Schutz der syrischen Armee befinden.
In Salaheddine, dem ersten hart umkämpften Stadtteil der Industriemetropole,
herrscht Totenstille. Zu sehen sind verwüstete Straßenzüge, in denen
ganze Häuser eingestürzt sind. Nach der "Befreiung" durch Elitetruppen
patrouillieren hier einfache Soldaten der syrischen Armee. "Hin und
wieder gibt es Probleme mit Scharfschützen", meint der diensthabende
Offizier. "Er schießt sein Magazin leer und verschwindet wieder."
Schmunzelnd fügt er an: "Er will uns einfach ärgern."
Nur sehr wenige
Familien leben noch hier. "Die Armee hat wieder Elektrizität und Wasser
angeschlossen", erklärt ein Familienvater, während seine beiden Kinder
lachend auf den Schultern von Soldaten reiten. Die Mutter sagt: "Während
der Kämpfe haben wir uns in unserer Wohnung verbarrikadiert und
gewartet bis alles zu Ende ist."
Botschaften der Rebellen an den Wänden
Nach der
Vertreibung der FSA aus Salaheddine ist sie in den angrenzenden
Stadtteil Seif El Dauwla geflüchtet. An den Wänden und Geschäftsmarkisen
zweier völlig zerstörten Einkaufszentren, die als Basis der Rebellen
dienten, kann man noch ihre Botschaften lesen. "Ja, zur Herrschaft des
Korans" oder "Islam Erwachen". Nachrichten zweier islamistischer
Gruppen: "Eure Brüder der Al-Nusra-Front" und "Faschir al-Islam."
Eine wahrlich
geisterhafte Totenstille herrscht auch hier inmitten der
unbeschreiblichen Verwüstung. Völlig zerschossene Glasfassaden,
ausgebrannte Wohnungen sind zu sehen, Decken und ganze Stockwerke, die
weggebrochen sind. "Alles von Terroristen gereinigt", heißt es von
Seiten der Armee. Aber weit gehen, kann man in diesem zum militärischen
Sperrbezirk erklärten Stadtteil nicht. Der Schuss eines Scharfschützen
macht klar, warum.
Unmittelbar
nach dem Abheben zieht der Flugkapitän die Maschine scharf nach links
oben in den Himmel. Schwer wiegt das Flugzeug in der Kurve. "Nein, nein,
da wollen wir nicht hin", meint der Pilot lachend und deutet erneut auf
das Ende der Landbahn. Dort ist das Grün von Olivenhainen zu erkennen,
in denen Stellungen der Rebellen verborgen sind. Als die Maschine nach
Damaskus endlich Flughöhe erreicht hat, zündet sich der Kapitän
zufrieden eine Zigarette an. "Diese dummen Idioten würden sogar auf eine
Passagiermaschine schießen", sagt er dann. "Dabei haben sie schon das
ganze Land ruiniert."
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