Nirgendwo sterben derzeit so viele Journalisten wie in Syrien. Die
Reporter können sich im Bürgerkrieg nur schwer schützen. Weil sie nie
wissen, wer Freund und wer Feind ist Von Alfred Hackensberger
Im Hotel Istanbul stinken die Zimmer muffig. Die Toiletten sind ungeputzt und im
Bettlaken kann man noch die Haare des Vorgängers finden. Die Nacht
kostet nur 10 Euro, das drahtlose Internet funktioniert gut und mit dem
Taxi sind es nur zehn Minuten zum türkisch-syrischen Grenzübergang
Bab-Al-Salam. Grund genug, diese Absteige in der Stadt Killis zu einem
Treffpunkt internationaler Journalisten zu machen. Es sind meist freie
Journalisten, die abends in der Hotellobby Erfahrungen austauschen. Das
miese Hotel Istanbul ist nichts im Vergleich zu dem, was sie in Syrien
erwartet. Wenn sie am nächsten Tag frühmorgens nach Aleppo aufbrechen,
in die seit sechs Monaten umkämpfte syrische Industriemetropole,
riskieren die Reporter und Fotografen ihr Leben und ihre Freiheit.
Syrien ist zurzeit der
gefährlichste Ort der Welt für Journalisten. Mindestens 35 von ihnen
wurden in dem seit fast zwei Jahren andauernden Bürgerkrieg getötet. Die
bekanntesten Opfer sind die US-Journalisten Marie Colvin und der
französische Fotograf Remie Ochlik. Beide starben durch Mörsergranaten
am 22. Februar 2011 in Bab Amr, einem damals von der syrischen Armee
belagerten Stadtteil von Homs. Unter den getöteten Medienvertretern ist
auch eine Reihe von syrischen Journalisten. Sie starben durch
Bombenanschläge der Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) oder
wurden gezielt hingerichtet.
Eine ganz neue
Gefahrendimension sind mittlerweile Entführungen. Mindesten vier
Journalisten wurden von Milizen der FSA gekidnappt oder vom Regime
verhaftet. Offizielle Einreisegenehmigungen vergibt das syrische
Informationsministerium nur an eine beschränkte Zahl von internationalen
Journalisten. Alle anderen, die mehrfach vergeblich Visaanträge
stellten, gehen mit Hilfe von Schmugglern illegal über die Grenze oder
reisen in die von den Rebellen kontrollierten Gebiete ein. Nur so ist
eine Berichterstattung möglich.
Einer von ihnen
ist Austin Tice. Er war monatelang mit der FSA unterwegs. Der 31-jährige
Ex-Marine hatte noch nie zuvor einen Artikel veröffentlicht. Nun aber
schrieb er für angesehene US-Zeitungen wie die Washington Post oder
McClatchy. Tice ist ein Beispiel für viele junge, angehende
Journalisten, die nach Syrien gingen, um eine Karriere zu starten. Sie
haben wenig Berufserfahrung und waren noch nie in Krisengebieten
unterwegs. Aber Syrien ist kein Krieg für Anfänger. Ständig kann man aus
der Luft angegriffen werden, Mörsergranaten fallen wahllos und die
Frontlinien können sich ständig verändern.
Als im Juli die
Rebellen in Damaskus eine Offensive starteten, dachte Tice, der Sturz
des Regimes von Präsident Bashar Assad sei nahe. "Er wollte unbedingt in
die Hauptstadt, um als einziger Journalist dabei zu sein", erinnert
sich einer seiner ehemaligen FSA-Begleiter, der sich heute Vorwürfe
macht. "Wir waren fast vier Wochen gemeinsam unterwegs, haben viele
Kämpfe durchgestanden, sind Freunde geworden. Natürlich riet ich ihm
mehrfach ab." Aber Tice ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen.
Er schaffte es bis nach Daraya, einem Vorort von Damaskus. Nachdem dort
im August ein Massaker an weit mehr als 100 Menschen gemeldet wird,
verliert sich die Spur des US-Journalisten. Einen Monat später, am 26.
September, ist er in einem Internetvideo als Gefangener von Islamisten
zu sehen. Mit einem schwarzen Tuch um die Augen gebunden wird der junge
Mann an einer langen Kette an den Händen durch gebirgiges Gelände
gezerrt. "Oh mein Gott, oh mein Gott", hört man ihn immer wieder sagen.
Erschütternde
Bilder, die aber zumindest zeigten, dass Tice noch am Leben war. Das
Video scheint jedoch eine Inszenierung gewesen zu sein. Die Kleidung der
vermeintlichen Islamisten erinnert an afghanische Taliban, ist viel zu
neu und viel zu sauber. Die Kidnapper rufen obendrein völlig
übermotiviert und unaufhörlich "Allahu Akbar", Gott ist groß, den für
Rebellen so bezeichnenden Ausruf. Es wird vermutet, das Tice von
Regierungstruppen verhaftet wurde. Das Video sollte die FSA als
Entführer und Islamisten denunzieren.
In den Händen
von Rebellenbrigaden befinden sich seit geraumer Zeit Anhar Kochneva,
eine Journalistin aus der Ukraine und Baschar Fami, ein
jordanisch-palästinensischer Kollege. Aus welchen Gründen sie entführt
wurden und wo sie gefangen gehalten werden, ist ungewiss. Vorwürfe, ein
Spion für das Assad-Regime zu sein, sind schnell gemacht und können
abrupt die Freiheit kosten.
Gerade in einem
Bürgerkrieg, in dem die Fronten nicht klar verlaufen. Das Fernsehteam
des amerikanischen Fernsehsenders NBC war im vergangenen Dezember von
einer Pro-Assad-Miliz gefangen genommen worden. Wenige Tage nach dem
Kidnapping wurden die Entführer von einer Straßensperre der FSA
überrascht. Nach einem kurzen Schusswechsel kam die TV-Crew völlig
unerwartet wieder frei. Weniger Glück hatte James Foley, ein
US-Videojournalist, der für Agence France Press (AFP) arbeitete. Er
wurde am 22. November entführt. Vier bewaffnete Männer stoppten sein
Auto in der Nähe des Taftanaz-Flughafens, im Nordwesten Syriens, unweit
der Stadt Idlib. Sie schossen mit ihren Kalaschnikows in die Luft.
Fahrer und Übersetzer ließ man frei und Foley wurde mitgenommen.
Mehr als vier
Wochen lang war über diesen Vorfall nichts bekannt geworden. Nun
beschlossen die Eltern des 39-Jährigen, die Mediensperre aufzuheben. Die
Suche nach ihrem Sohn unter Ausschluss der Öffentlichkeit brachte
offensichtlich keinerlei Resultate. "Wir wissen einfach nichts", sagte
Mutter Diane Foley bei einer Pressekonferenz im Haus der Familie in New
Hampshire. "Wir wissen nicht, wer ihn gefangen hält." Vater John Foley
bat "die Leute, die James haben, zu sagen, wo er ist, und seine
Freilassung zu gewährleisten." Eine Bitte, die bisher noch ungehört
blieb.
Die Region um
Idlib, in der James gekidnappt wurde, ist bekannt für Milizen, die auf
eigene Rechnung arbeiten. Zum Teil sind es kriminelle Banden, die je
nach Vorteilslage mal zu dieser und mal zu jener Seite neigen. Sie
kontrollieren ein bestimmtes Gebiet, ein Dorf, eine Kleinstadt oder nur
ein Viertel einer Stadt. Dort können sie machen, was sie wollen. Sollte
sich jemand einmischen, benutzt man Gewalt. Offiziell wird die FSA von
einem erst im Dezember gewählten Militärrat unter der Führung von Salim
Idris geleitet. In Wirklichkeit gibt es keinen Oberbefehl. In ganz
Syrien entscheiden letztendlich alle Führer von Kampfverbänden, was sie
für sich und ihre Truppe für das Beste halten. Niemand kann die
Freilassung von James Foley oder der anderen entführten Journalisten
anordnen.
Die
Bereitschaft, sie mit Waffengewalt zu erzwingen – ganz abgesehen von den
möglichen tödlichen Konsequenzen für die Gefangenen – ist bei der FSA
sehr gering. Schließlich hat man andere, viel größere Sorgen. Man kämpft
gegen das übermächtige Assad-Regime. Soll man da auf eigene Genossen
schießen, nur um einigen Journalisten zu helfen? "Jeden Tag sterben
Hunderte von Syrern", sagt ein Rebell, der anonym bleiben will. "Wozu
sich um zwei, drei Journalisten kümmern, wenn das eigene Volk stirbt?"
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