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Zwischen den Fronten

Nirgendwo sterben derzeit so viele Journalisten wie in Syrien. Die Reporter können sich im Bürgerkrieg nur schwer schützen. Weil sie nie wissen, wer Freund und wer Feind ist Von

Im Hotel Istanbul stinken die Zimmer muffig. Die Toiletten sind ungeputzt und im Bettlaken kann man noch die Haare des Vorgängers finden. Die Nacht kostet nur 10 Euro, das drahtlose Internet funktioniert gut und mit dem Taxi sind es nur zehn Minuten zum türkisch-syrischen Grenzübergang Bab-Al-Salam. Grund genug, diese Absteige in der Stadt Killis zu einem Treffpunkt internationaler Journalisten zu machen. Es sind meist freie Journalisten, die abends in der Hotellobby Erfahrungen austauschen. Das miese Hotel Istanbul ist nichts im Vergleich zu dem, was sie in Syrien erwartet. Wenn sie am nächsten Tag frühmorgens nach Aleppo aufbrechen, in die seit sechs Monaten umkämpfte syrische Industriemetropole, riskieren die Reporter und Fotografen ihr Leben und ihre Freiheit.
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Syrien ist zurzeit der gefährlichste Ort der Welt für Journalisten. Mindestens 35 von ihnen wurden in dem seit fast zwei Jahren andauernden Bürgerkrieg getötet. Die bekanntesten Opfer sind die US-Journalisten Marie Colvin und der französische Fotograf Remie Ochlik. Beide starben durch Mörsergranaten am 22. Februar 2011 in Bab Amr, einem damals von der syrischen Armee belagerten Stadtteil von Homs. Unter den getöteten Medienvertretern ist auch eine Reihe von syrischen Journalisten. Sie starben durch Bombenanschläge der Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) oder wurden gezielt hingerichtet.
Eine ganz neue Gefahrendimension sind mittlerweile Entführungen. Mindesten vier Journalisten wurden von Milizen der FSA gekidnappt oder vom Regime verhaftet. Offizielle Einreisegenehmigungen vergibt das syrische Informationsministerium nur an eine beschränkte Zahl von internationalen Journalisten. Alle anderen, die mehrfach vergeblich Visaanträge stellten, gehen mit Hilfe von Schmugglern illegal über die Grenze oder reisen in die von den Rebellen kontrollierten Gebiete ein. Nur so ist eine Berichterstattung möglich.
Einer von ihnen ist Austin Tice. Er war monatelang mit der FSA unterwegs. Der 31-jährige Ex-Marine hatte noch nie zuvor einen Artikel veröffentlicht. Nun aber schrieb er für angesehene US-Zeitungen wie die Washington Post oder McClatchy. Tice ist ein Beispiel für viele junge, angehende Journalisten, die nach Syrien gingen, um eine Karriere zu starten. Sie haben wenig Berufserfahrung und waren noch nie in Krisengebieten unterwegs. Aber Syrien ist kein Krieg für Anfänger. Ständig kann man aus der Luft angegriffen werden, Mörsergranaten fallen wahllos und die Frontlinien können sich ständig verändern.
Als im Juli die Rebellen in Damaskus eine Offensive starteten, dachte Tice, der Sturz des Regimes von Präsident Bashar Assad sei nahe. "Er wollte unbedingt in die Hauptstadt, um als einziger Journalist dabei zu sein", erinnert sich einer seiner ehemaligen FSA-Begleiter, der sich heute Vorwürfe macht. "Wir waren fast vier Wochen gemeinsam unterwegs, haben viele Kämpfe durchgestanden, sind Freunde geworden. Natürlich riet ich ihm mehrfach ab." Aber Tice ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen. Er schaffte es bis nach Daraya, einem Vorort von Damaskus. Nachdem dort im August ein Massaker an weit mehr als 100 Menschen gemeldet wird, verliert sich die Spur des US-Journalisten. Einen Monat später, am 26. September, ist er in einem Internetvideo als Gefangener von Islamisten zu sehen. Mit einem schwarzen Tuch um die Augen gebunden wird der junge Mann an einer langen Kette an den Händen durch gebirgiges Gelände gezerrt. "Oh mein Gott, oh mein Gott", hört man ihn immer wieder sagen.
Erschütternde Bilder, die aber zumindest zeigten, dass Tice noch am Leben war. Das Video scheint jedoch eine Inszenierung gewesen zu sein. Die Kleidung der vermeintlichen Islamisten erinnert an afghanische Taliban, ist viel zu neu und viel zu sauber. Die Kidnapper rufen obendrein völlig übermotiviert und unaufhörlich "Allahu Akbar", Gott ist groß, den für Rebellen so bezeichnenden Ausruf. Es wird vermutet, das Tice von Regierungstruppen verhaftet wurde. Das Video sollte die FSA als Entführer und Islamisten denunzieren.
In den Händen von Rebellenbrigaden befinden sich seit geraumer Zeit Anhar Kochneva, eine Journalistin aus der Ukraine und Baschar Fami, ein jordanisch-palästinensischer Kollege. Aus welchen Gründen sie entführt wurden und wo sie gefangen gehalten werden, ist ungewiss. Vorwürfe, ein Spion für das Assad-Regime zu sein, sind schnell gemacht und können abrupt die Freiheit kosten.
Gerade in einem Bürgerkrieg, in dem die Fronten nicht klar verlaufen. Das Fernsehteam des amerikanischen Fernsehsenders NBC war im vergangenen Dezember von einer Pro-Assad-Miliz gefangen genommen worden. Wenige Tage nach dem Kidnapping wurden die Entführer von einer Straßensperre der FSA überrascht. Nach einem kurzen Schusswechsel kam die TV-Crew völlig unerwartet wieder frei. Weniger Glück hatte James Foley, ein US-Videojournalist, der für Agence France Press (AFP) arbeitete. Er wurde am 22. November entführt. Vier bewaffnete Männer stoppten sein Auto in der Nähe des Taftanaz-Flughafens, im Nordwesten Syriens, unweit der Stadt Idlib. Sie schossen mit ihren Kalaschnikows in die Luft. Fahrer und Übersetzer ließ man frei und Foley wurde mitgenommen.
Mehr als vier Wochen lang war über diesen Vorfall nichts bekannt geworden. Nun beschlossen die Eltern des 39-Jährigen, die Mediensperre aufzuheben. Die Suche nach ihrem Sohn unter Ausschluss der Öffentlichkeit brachte offensichtlich keinerlei Resultate. "Wir wissen einfach nichts", sagte Mutter Diane Foley bei einer Pressekonferenz im Haus der Familie in New Hampshire. "Wir wissen nicht, wer ihn gefangen hält." Vater John Foley bat "die Leute, die James haben, zu sagen, wo er ist, und seine Freilassung zu gewährleisten." Eine Bitte, die bisher noch ungehört blieb.
Die Region um Idlib, in der James gekidnappt wurde, ist bekannt für Milizen, die auf eigene Rechnung arbeiten. Zum Teil sind es kriminelle Banden, die je nach Vorteilslage mal zu dieser und mal zu jener Seite neigen. Sie kontrollieren ein bestimmtes Gebiet, ein Dorf, eine Kleinstadt oder nur ein Viertel einer Stadt. Dort können sie machen, was sie wollen. Sollte sich jemand einmischen, benutzt man Gewalt. Offiziell wird die FSA von einem erst im Dezember gewählten Militärrat unter der Führung von Salim Idris geleitet. In Wirklichkeit gibt es keinen Oberbefehl. In ganz Syrien entscheiden letztendlich alle Führer von Kampfverbänden, was sie für sich und ihre Truppe für das Beste halten. Niemand kann die Freilassung von James Foley oder der anderen entführten Journalisten anordnen.
Die Bereitschaft, sie mit Waffengewalt zu erzwingen – ganz abgesehen von den möglichen tödlichen Konsequenzen für die Gefangenen – ist bei der FSA sehr gering. Schließlich hat man andere, viel größere Sorgen. Man kämpft gegen das übermächtige Assad-Regime. Soll man da auf eigene Genossen schießen, nur um einigen Journalisten zu helfen? "Jeden Tag sterben Hunderte von Syrern", sagt ein Rebell, der anonym bleiben will. "Wozu sich um zwei, drei Journalisten kümmern, wenn das eigene Volk stirbt?"

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