Von Bahrain über Marokko bis nach Nigeria - die islamische Welt fürchtet eine schiitische Infiltration durch den Iran
Brennende Autoreifen, Maskierte, die Steine und Molotowcocktails auf Polizisten werfen: Eine Straßenkampfszene, die man aus Berlin oder London kennt, aber nicht aus einem reichen Ölland wie Bahrain. Seit Wochen kommt der kleine Golfstaat nicht mehr zur Ruhe, nachdem die Polizei vergangenen Monat 23 Oppositionelle, darunter auch populäre schiitische Geistliche, verhaftete. "Nein zur Unterdrückung der Freiheit", fordert in der Hauptstadt Manama ein Graffito, das schiitische Demonstranten an einer Wand hinterließen. Sie fühlen sich von der sunnitischen Elite des Landes diskriminiert, obwohl Schiiten 70 Prozent der Bevölkerung der insgesamt 530 000 Bahrainer ausmachen.
Gewalttätige Proteste und Forderung nach Gleichberechtigung sind für die ansonsten ruhige Golfregion neu und lösten bei arabischen Staatsmännern Alarm aus. Insbesondere nach den Bemerkungen von Ali Akbar Nateq-Nouri anlässlich des 30. Jahrestags der iranischen Revolution. Der Berater von Staatsoberhaupt Ayatollah Chamenei sprach von Bahrain als "14. Provinz" des Iran, die der ehemalige Schah Reza Pahlavi 1970 einfach aufgegeben hätte. Obwohl Nateq-Nouri kurz darauf betonte, nur historische Fakten referiert zu haben und keineswegs die Souveränität Bahrains infrage stellen wollte, war die Entrüstung groß. König Abdullah von Jordanien und der ägyptische Präsident Hosni Mubarak statteten Solidaritätsbesuche beim bahrainischen Regenten al-Khalifa ab. Saudi-Arabien nannte die Worte aus dem Iran "feindlich gesinnt und unverantwortlich". Marokkos König Mohammed VI. sprach nicht nur von einem "verachtenswerten" Statement und einer "Drohung", er brach kurzerhand die diplomatischen Beziehungen zur Islamischen Republik ab. "Die Reaktionen waren überzogen", sagt Adnan Abu-Odeh, Ex-Berater des jordanischen Königs. "Aber mit Berechnung".
Der marokkanische Außenminister Taleb Fassi-Fihri offenbarte wenige Tage nach den Ereignissen den wahren Grund, der von Nordafrika bis in den rund 5000 Kilometer entfernten Nahen Osten Besorgnis erregt: Die islamische Welt fürchtet eine kulturelle Infiltration durch den Iran. Man habe "schiitischen Aktivismus festgestellt", so der Außenminister, "insbesondere in der diplomatischen Vertretung in Rabat", die sich gegen "fundamentale religiöse Werte Marokkos" richtete und "den sunnitischen Maliki-Glauben bedrohen". Auch Innenminister Chakib Benmoussa bestätigte, Iraner missionierten im Königreich seit 2004, und zwar über kulturelle Zentren und mittels Verbreitung von Publikationen. Zudem studierten junge Marokkaner im Iran gratis, ganz auf Kosten der Islamischen Republik.
Laut der Zeitung "Al Jarida Al Aoula" wurden daraufhin Ende März Dutzende von Menschen in verschiedenen Städten Marokkos verhaftet, die mit dem schiitischen Islam sympathisierten. Bücher und Zeitschriften, die meisten im Libanon produziert, sollen beschlagnahmt worden sein. In Rabat schloss man die Irakische Schule mit der Begründung, "das Erziehungssystem ist gegen die Bestimmungen von Privatschulen". Die Direktorin der Schule habe "bestimmte religiöse Praktiken propagiert", womit natürlich schiitische Lehren gemeint sind.
Auch in Saudi-Arabien, wo der schiitische Bevölkerungsanteil bei zehn Prozent liegt, erfolgten diese Woche Razzien, 35 Personen wurden verhaftet. Der schiitische Scheich Nimr al-Nimr war allerdings nicht dabei, er tauchte vorsorglich unter. Im Februar hatte der Geistliche beim Freitagsgebet zur Abspaltung vom saudischen Königreich aufgefordert, nachdem es in der heiligen Stadt Medina zu heftigen Ausschreitungen zwischen schiitischen Pilgern und der Polizei gekommen war.
Vor der schiitischen Missionierung durch den Iran warnte Scheich Yusuf al-Qaradawi bereits 2008. Der von seiner Sendung "Scharia und Leben" auf al-Dschasira bekannte ägyptische Islam-Gelehrte hat innerhalb der vergangenen beiden Jahre beobachtet, "dass sunnitische Gesellschaften von einer organisierten schiitischen Missionarsarbeit heimgesucht sind". In Ägypten habe es noch vor 20 Jahren keinen einzigen Schiiten gegeben, aber sie hätten es geschafft, das Land zu infiltrieren. "Sie haben Leute, die in der Presse schreiben, Bücher publizieren, und sie haben ein Publikum." Das Gleiche sei im Sudan, in Tunesien, Algerien, Marokko und auch in nicht arabischen Ländern wie Malaysia, Indonesien, Nigeria und dem Senegal passiert. Realität oder die Verschwörungstheorie eines sunnitischen Geistlichen, der mit 82 Jahren bereits in die Jahre gekommen ist?
Tatsächlich gibt es Anzeichen einer schiitischen Mission. 2006 wurden auf der Buchmesse in Sudans Hauptstadt Khartoum Bücher beschlagnahmt, die sich über sunnitische Glaubensinhalte, den Propheten Mohammed und seine Familie lustig machen. Bücher, die über diplomatisches Gepäck der iranischen Botschaft ins Land gekommen waren. In Jordanien beklagten sich Parlamentarier, Schiiten würden versuchen, arme sunnitische Familien zu konvertieren. Und in Algerien berichtete die Zeitung "Echourok" von besorgten Eltern, die einen Brief an die Behörden schrieben, nachdem ihre Kinder in der Schule mit schiitischen Inhalten gefüttert worden waren.
Weit schwerwiegender ist dagegen die Enttarnung des Belliradsch-Terrornetzwerks in Marokko 2008. Ein Teil der Mitglieder soll in Ausbildungslagern der schiitischen Hisbollah im Libanon trainiert worden sein. Unter den 35 Verhafteten war - neben dem Führer einer verbotenen sunnitisch-islamistischen Gruppe und einem Mitglied der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung - der Korrespondent des Hisbollah-Senders al-Manar. Für Marokko, aber auch für andere sunnitische Staaten eine erschreckende Kombination. Sunnitische Islamisten erhalten finanzielle Hilfe, militärische Ausrüstung und Training von vom Iran gesponserten schiitischen Militanten.
Bekanntestes Beispiel für eine derartige Kooperation ist die palästinensische Hamas, die von der Hisbollah logistisch, vom Iran finanziell und angeblich auch militärisch unterstützt wird. Ein Bündnis, das dem Iran und der Hisbollah bei den rund 1,5 Milliarden Muslimen große Pluspunkte bringt. Hassan Nasrallah, der Hisbollah-Generalsekretär, gilt als einer der beliebtesten und vertrauenswürdigsten Politiker der Region.
Die bedingungslose Unterstützung der Hamas bis zum "Kollaps Israels", wie Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad gern beteuert, ist mit einer der Gründe für die Spaltung des arabischen Lagers. Zu dem Gipfeltreffen der Arabischen Liga im März in Doha wurde der iranische Präsident zuerst ein- und später wieder ausgeladen. "Wir brauchen eine gemeinsame Vision für die arabische Sicherheit und wie wir mit der iranischen Herausforderung umgehen", forderte der Außenminister Saudi-Arabiens, Prinz Saud al-Faisal. Daraus spricht die Sorge über eine Atombombe des Irans, welche die Führungsrolle der Islamischen Republik in der Region ein für alle Mal festschreiben würde.
Eine arabische Einheitsfront gegen den Iran wird es jedoch nicht geben, solange Syrien und Qatar mit dem Iran gute Beziehungen pflegen und auch aktiv die Hamas unterstützen. Sorgenvoll betrachtet man in Saudi-Arabien, Jordanien oder auch in Ägypten die Gesprächsbereitschaft von US-Präsident Barack Obama mit dem Iran. "Die USA denken, eine Einigung mit dem Iran sei der Schlüssel für die Probleme der Region", sagte Musafa Alani, Sicherheitsexperte in Dubai. "Aber das beängstigt uns. So etwas könnte zu großen Zugeständnissen führen und unsere Sicherheit untergraben."
Brennende Autoreifen, Maskierte, die Steine und Molotowcocktails auf Polizisten werfen: Eine Straßenkampfszene, die man aus Berlin oder London kennt, aber nicht aus einem reichen Ölland wie Bahrain. Seit Wochen kommt der kleine Golfstaat nicht mehr zur Ruhe, nachdem die Polizei vergangenen Monat 23 Oppositionelle, darunter auch populäre schiitische Geistliche, verhaftete. "Nein zur Unterdrückung der Freiheit", fordert in der Hauptstadt Manama ein Graffito, das schiitische Demonstranten an einer Wand hinterließen. Sie fühlen sich von der sunnitischen Elite des Landes diskriminiert, obwohl Schiiten 70 Prozent der Bevölkerung der insgesamt 530 000 Bahrainer ausmachen.
Gewalttätige Proteste und Forderung nach Gleichberechtigung sind für die ansonsten ruhige Golfregion neu und lösten bei arabischen Staatsmännern Alarm aus. Insbesondere nach den Bemerkungen von Ali Akbar Nateq-Nouri anlässlich des 30. Jahrestags der iranischen Revolution. Der Berater von Staatsoberhaupt Ayatollah Chamenei sprach von Bahrain als "14. Provinz" des Iran, die der ehemalige Schah Reza Pahlavi 1970 einfach aufgegeben hätte. Obwohl Nateq-Nouri kurz darauf betonte, nur historische Fakten referiert zu haben und keineswegs die Souveränität Bahrains infrage stellen wollte, war die Entrüstung groß. König Abdullah von Jordanien und der ägyptische Präsident Hosni Mubarak statteten Solidaritätsbesuche beim bahrainischen Regenten al-Khalifa ab. Saudi-Arabien nannte die Worte aus dem Iran "feindlich gesinnt und unverantwortlich". Marokkos König Mohammed VI. sprach nicht nur von einem "verachtenswerten" Statement und einer "Drohung", er brach kurzerhand die diplomatischen Beziehungen zur Islamischen Republik ab. "Die Reaktionen waren überzogen", sagt Adnan Abu-Odeh, Ex-Berater des jordanischen Königs. "Aber mit Berechnung".
Der marokkanische Außenminister Taleb Fassi-Fihri offenbarte wenige Tage nach den Ereignissen den wahren Grund, der von Nordafrika bis in den rund 5000 Kilometer entfernten Nahen Osten Besorgnis erregt: Die islamische Welt fürchtet eine kulturelle Infiltration durch den Iran. Man habe "schiitischen Aktivismus festgestellt", so der Außenminister, "insbesondere in der diplomatischen Vertretung in Rabat", die sich gegen "fundamentale religiöse Werte Marokkos" richtete und "den sunnitischen Maliki-Glauben bedrohen". Auch Innenminister Chakib Benmoussa bestätigte, Iraner missionierten im Königreich seit 2004, und zwar über kulturelle Zentren und mittels Verbreitung von Publikationen. Zudem studierten junge Marokkaner im Iran gratis, ganz auf Kosten der Islamischen Republik.
Laut der Zeitung "Al Jarida Al Aoula" wurden daraufhin Ende März Dutzende von Menschen in verschiedenen Städten Marokkos verhaftet, die mit dem schiitischen Islam sympathisierten. Bücher und Zeitschriften, die meisten im Libanon produziert, sollen beschlagnahmt worden sein. In Rabat schloss man die Irakische Schule mit der Begründung, "das Erziehungssystem ist gegen die Bestimmungen von Privatschulen". Die Direktorin der Schule habe "bestimmte religiöse Praktiken propagiert", womit natürlich schiitische Lehren gemeint sind.
Auch in Saudi-Arabien, wo der schiitische Bevölkerungsanteil bei zehn Prozent liegt, erfolgten diese Woche Razzien, 35 Personen wurden verhaftet. Der schiitische Scheich Nimr al-Nimr war allerdings nicht dabei, er tauchte vorsorglich unter. Im Februar hatte der Geistliche beim Freitagsgebet zur Abspaltung vom saudischen Königreich aufgefordert, nachdem es in der heiligen Stadt Medina zu heftigen Ausschreitungen zwischen schiitischen Pilgern und der Polizei gekommen war.
Vor der schiitischen Missionierung durch den Iran warnte Scheich Yusuf al-Qaradawi bereits 2008. Der von seiner Sendung "Scharia und Leben" auf al-Dschasira bekannte ägyptische Islam-Gelehrte hat innerhalb der vergangenen beiden Jahre beobachtet, "dass sunnitische Gesellschaften von einer organisierten schiitischen Missionarsarbeit heimgesucht sind". In Ägypten habe es noch vor 20 Jahren keinen einzigen Schiiten gegeben, aber sie hätten es geschafft, das Land zu infiltrieren. "Sie haben Leute, die in der Presse schreiben, Bücher publizieren, und sie haben ein Publikum." Das Gleiche sei im Sudan, in Tunesien, Algerien, Marokko und auch in nicht arabischen Ländern wie Malaysia, Indonesien, Nigeria und dem Senegal passiert. Realität oder die Verschwörungstheorie eines sunnitischen Geistlichen, der mit 82 Jahren bereits in die Jahre gekommen ist?
Tatsächlich gibt es Anzeichen einer schiitischen Mission. 2006 wurden auf der Buchmesse in Sudans Hauptstadt Khartoum Bücher beschlagnahmt, die sich über sunnitische Glaubensinhalte, den Propheten Mohammed und seine Familie lustig machen. Bücher, die über diplomatisches Gepäck der iranischen Botschaft ins Land gekommen waren. In Jordanien beklagten sich Parlamentarier, Schiiten würden versuchen, arme sunnitische Familien zu konvertieren. Und in Algerien berichtete die Zeitung "Echourok" von besorgten Eltern, die einen Brief an die Behörden schrieben, nachdem ihre Kinder in der Schule mit schiitischen Inhalten gefüttert worden waren.
Weit schwerwiegender ist dagegen die Enttarnung des Belliradsch-Terrornetzwerks in Marokko 2008. Ein Teil der Mitglieder soll in Ausbildungslagern der schiitischen Hisbollah im Libanon trainiert worden sein. Unter den 35 Verhafteten war - neben dem Führer einer verbotenen sunnitisch-islamistischen Gruppe und einem Mitglied der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung - der Korrespondent des Hisbollah-Senders al-Manar. Für Marokko, aber auch für andere sunnitische Staaten eine erschreckende Kombination. Sunnitische Islamisten erhalten finanzielle Hilfe, militärische Ausrüstung und Training von vom Iran gesponserten schiitischen Militanten.
Bekanntestes Beispiel für eine derartige Kooperation ist die palästinensische Hamas, die von der Hisbollah logistisch, vom Iran finanziell und angeblich auch militärisch unterstützt wird. Ein Bündnis, das dem Iran und der Hisbollah bei den rund 1,5 Milliarden Muslimen große Pluspunkte bringt. Hassan Nasrallah, der Hisbollah-Generalsekretär, gilt als einer der beliebtesten und vertrauenswürdigsten Politiker der Region.
Die bedingungslose Unterstützung der Hamas bis zum "Kollaps Israels", wie Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad gern beteuert, ist mit einer der Gründe für die Spaltung des arabischen Lagers. Zu dem Gipfeltreffen der Arabischen Liga im März in Doha wurde der iranische Präsident zuerst ein- und später wieder ausgeladen. "Wir brauchen eine gemeinsame Vision für die arabische Sicherheit und wie wir mit der iranischen Herausforderung umgehen", forderte der Außenminister Saudi-Arabiens, Prinz Saud al-Faisal. Daraus spricht die Sorge über eine Atombombe des Irans, welche die Führungsrolle der Islamischen Republik in der Region ein für alle Mal festschreiben würde.
Eine arabische Einheitsfront gegen den Iran wird es jedoch nicht geben, solange Syrien und Qatar mit dem Iran gute Beziehungen pflegen und auch aktiv die Hamas unterstützen. Sorgenvoll betrachtet man in Saudi-Arabien, Jordanien oder auch in Ägypten die Gesprächsbereitschaft von US-Präsident Barack Obama mit dem Iran. "Die USA denken, eine Einigung mit dem Iran sei der Schlüssel für die Probleme der Region", sagte Musafa Alani, Sicherheitsexperte in Dubai. "Aber das beängstigt uns. So etwas könnte zu großen Zugeständnissen führen und unsere Sicherheit untergraben."
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