In Aleppo kämpfen viele kurdische Rebellen gegen das Assad-Regime. Auch
Deutsche finden sich unter den Aufständischen, das von der Bundeswehr
benutzte G3-Gewehr ist beliebt. Eine Frontreportage. Von Peter Steinbach
wehr ist beliebt. Eine Frontreportage. Von Peter Steinbach
wehr ist beliebt. Eine Frontreportage. Von Peter Steinbach
Foto: VICTOR BREINER
Dichte Wolken, Regen
und nur fünf Grad Celsius. Aleppo zeigt sich grau, trostlos und kalt.
Bewohner sitzen vor offenen Feuerstellen und improvisierten Öfen im
Freien. Verbrannt wird, was nur irgendwie Wärme bringt. Das schlechte
Wetter würde man unter normalen Umständen verdammen. Jetzt bedeutet es
für den von der Freien Syrischen Armee (FSA) kontrollierten Teil von
Aleppo eine Erleichterung.
Die tief
hängende Wolkendecke über der Industriemetropole im Norden Syriens
schränkt den Einsatz von Kampfflugzeugen und Hubschraubern des syrischen
Regimes ein. "Jetzt ist einmal Ruhe mit den Luftangriffen", sagt
Mahmoud, ein junger Englischlehrer aus Aleppo, und lacht zufrieden.
Geblieben ist
jedoch das tiefe Dröhnen vom Abschuss von Mörsern und Panzergeschützen,
das Tag und Nacht in der Stadt zu hören ist.
"Allee der Scharfschützen" markiert die Grenze
Abu Ahmed (18)
und Abu Kahled (25) haben neues Holz geholt und legen es auf die Glut in
einen großen Blechtopf. Sofort züngeln die Flammen, und die jungen
Rebellen strecken ihre kalten Hände der Wärme entgegen. Die beiden
gehören zur Wachmannschaft einer Stellung der FSA, die in einer kleinen
Wohnstraße im Viertel Karm al-Schebal liegt. Gleich um die Ecke, direkt
hinter der Häuserfront, liegt die "Allee der Scharfschützen".
Sie markiert die
Grenzlinie zum Territorium der Regimetruppen von Präsident Baschar
al-Assad, das unmittelbar dahinter beginnt. Auf beiden Seiten der Allee
haben die Bewohner ihre Wohnungen längst verlassen. An den Wänden sind
Einschläge von Kugeln zu sehen, die meisten Fensterscheiben sind
zerschossen.
Nach einer Weile
ertönt der trockene Knall eines Scharfschützen. Darauf folgt noch ein
Schuss. In der kleinen Seitenstraße bei Abu Ahmed und Abu Khaled ist man
jedoch sicher.
Kurden im Syrien-Krieg gespalten
Es dauert fast
eine Stunde, bis ein Mitglied der Liwa Salaheddin kommt, der zum
Kommandanten dieser Brigade führen soll. Diese rekrutiert sich
ausschließlich aus Kurden. Die Kurden sind die größte ethnische
Minderheit in der Region. Zwei Millionen von ihnen leben in Syrien, sie
machen zehn Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Ihre Haltung zur
syrischen Revolution ist gespalten.
Die Kurdische
Demokratische Unionspartei (PYD) gilt als syrischer Ableger der
Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die in der Türkei seit mehr als drei
Jahrzehnten für einen unabhängigen Staat kämpft. Die PYD will sich im
syrischen Bürgerkrieg offiziell neutral verhalten. Man wirft ihr aber
vor, Präsident Assad zu unterstützen.
In den letzten
beiden Monaten war es zwischen FSA und den Milizen der PYD mehrfach zu
bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen. Der im Oktober 2011
gegründete Kurdische Nationalrat (KNC) dagegen macht keinen Hehl aus
seiner Sympathie für die syrischen Revolutionäre.
Stadtviertel seit Monaten verlassen
Der Weg führt
durch die vom Krieg völlig zerstörten und leeren Straßen von Karm
al-Schebal. Dächer sind durch den Beschuss eingestürzt, Mauern
eingerissen, ganze Fassaden fehlen, Trümmer, Möbel und Kleider liegen
überall verstreut.
Die einzigen
Menschen, die man hier noch antrifft: ein älteres Ehepaar, das im Schutt
seiner Wohnung nach Habseligkeiten wühlt. Etwas weiter versuchen Vater
und Sohn mit Schleifmaschine und Schweißgerät ihre Haustür zu
reparieren, die aus den Angeln hängt. Der Soldat der Liwa Salaheddin
führt in einen Hauseingang.
Danach geht es
durch ein in die Wand geschlagenes Loch ins angrenzende Haus und von da
ins nächste. Man marschiert durch fremde Wohnzimmer, mal mit barocken
Plüschsofas, mal mit spartanischer Einrichtung.
Über
Hinterhöfe, kleine Gärten, in denen noch die Wäsche an der Leine hängt.
In Kühlschränken stehen Wasser und verfaultes Essen. Die Bewohner haben
bereits vor Monaten das Stadtviertel verlassen.
Scharfschützen lauern Aufständischen auf
Es ist wie ein
Marsch durch ein Labyrinth, in dem man sich nie allein zurechtfinden
würde. Er ist notwendig, denn im Freien wäre man ein leichtes Ziel der
Scharfschützen der syrischen Armee, deren Schüsse draußen immer wieder
zu hören sind.
In einer
Textilfabrik, die man durchquert, sind die Fadenspulen noch eingelegt.
Die Maschine stammt von der deutschen Firma Groz Beckert aus Albstadt.
Noch einmal
geht es über eine Leiter und einige Treppen, und man muss sich durch
weitere kleine Wandlöcher zwängen, bis man den Posten der Liwa
Salaheddin an der Frontlinie von Aleppo erreicht.
"Nach den Massakern konnte ich nicht anders"
Der Kommandeur,
Bewar Mustafa, ist ein desertierter Hauptmann der Regimetruppen und war
in einer Panzerschule in Homs stationiert. "Ich bin am 1. Mai dieses
Jahres zu den Rebellen übergelaufen", sagt er mit sichtlichem Stolz.
Als Soldat war
er ohne Telefon, Fernsehen und Internet völlig von der Außenwelt
abgeschlossen. "Im Urlaub habe ich von meiner Familie von den
schrecklichen Massakern in Hula und Chaldieh gehört. Da konnte ich nicht
anders."
Etwa 2000
Revolutionäre folgen heute seinem Befehl. Mit der Gründung einer
ausschließlich aus Kurden bestehenden Brigade wollte der 32-Jährige ein
Zeichen setzen. Nach dem Fall Assads werde es ein freies, demokratisches
Syrien geben, in dem es nicht mehr wichtig sei, zu welcher ethnischen
Bevölkerungsgruppe man gehört.
"Die Kurden werden ihre Rechte bekommen wie alle anderen auch. Wir brauchen keinen unabhängigen Staat", meint Mustafa überzeugt.
Tödliche Gewalt zwischen FSA und PYD
Auf die PYD,
die den Stadtteil Aschrafieh in Aleppo und zahlreiche Dörfer und Städte
auf dem Land unter Kontrolle hält, ist Mustafa nicht gut zu sprechen.
Sie duldet keine FSA-Präsenz in ihrem Hoheitsgebiet.
"PYD ist nur
ein anderer Name für die PKK, die eine korrupte Mafia ist, Schutzgelder
von ihren eigenen Leuten erpresst und wie ein Diktator herrscht." Am
muslimischen Feiertag des Eid al-Adha war die FSA nach Aschrafieh
eingedrungen. "Um militärisch wichtige Ziele zu zerstören", wie der
Hauptmann bestimmend erklärt und dabei Tee servieren lässt.
Es kam sofort
zu Schießereien mit der PYD. Seinen Angaben zufolge wurden 16
FSA-Rebellen und 30 Männer der rivalisierenden Kurdenmiliz getötet.
Beide Seiten nahmen im Rahmen des Konflikts Geiseln.
Nach Assad-Sturz keine Rücksicht mehr
Bewar Mustafa erzählt: "Ich habe mit der PKK vier Tage lang verhandelt, dann kamen alle Gefangenen wieder frei."
Einen Konflikt
zwischen Kurden und Kurden oder auch zwischen Kurden und Arabern dürfe
es unter keinen Umständen geben, meint der Kommandeur. "Das ist jetzt
eine rote Linie, die nie überschritten werden darf."
Nach dem Sturz
Assads allerdings werde man keine Rücksicht mehr auf die PKK nehmen.
"Sie haben zwar mehr als 3000 Bewaffnete, aber wir werden sie nicht
bekämpfen müssen. Diese Kriminellen flüchten einfach aus dem Land."
Neues Gericht folgt auf Scharia-Räte
In
unmittelbarer Nähe einer anderen Frontlinie in Aleppo geht es nicht um
militärische Belange, sondern um zivile Angelegenheiten.
In Saif
al-Dawla befindet sich das neue Gericht der Stadt. Es ist in einem
ehemaligen Appartementhaus der Regierung untergebracht. Es ist eine
Initiative von 50 Anwälten und Richtern, die es vor zwei Monaten
gründeten. Sie lösten damit ein informelles System von Scharia-Räten ab,
die auf der Basis des islamischen Rechts urteilten.
In vielen Landesteilen Syriens wird nach dieser Methode noch immer Recht gesprochen.
"Der Gerechtigkeit entkommt niemand"
In den
vergangenen Tagen fanden in der Umgebung des Gerichts heftige Kämpfe
statt. Der Lärm von Mörserabschüssen wollte kein Ende nehmen. Heute ist
es verhältnismäßig ruhig.
"Wir bemühen
uns, eine unabhängige Rechtsprechung durchzuführen", sagt Abdullah
Karam, der Untersuchungsrichter. "Keine korruptes System mehr wie unter
Assad." Man sei keiner Gruppe zugehörig und würde keinerlei Einfluss
dulden. Zum Beweis hält er eine Akte hoch, in der es um ein Verfahren
gegen einen Kommandeur der FSA geht. "Diebstahl", erklärt der Richter.
"Wir kennen bei niemandem Pardon."
Natürlich sei
es während des Kriegs schwierig, gerade FSA-Leute vor Gericht zu
zitieren, aber die Verfahren würde man nicht einstellen. "Der Betroffene
wird eben in Friedenszeiten zur Verantwortung gezogen", meint Karam.
"Unsere Botschaft lautet: Der Gerechtigkeit entkommt niemand."
Scharia wird nur beim Familienrecht angewandt
In Aleppo gibt
es Gerichthöfe für Zivil-, Straf und Militärrecht. Jeder Bürger kann
eine Anzeige machen, die ein Staatsanwalt prüft, bevor sie an den
Untersuchungsrichter weitergeben wird.
Nach einem
Untersuchungsverfahren entscheiden drei Richter das Urteil. Verhandelt
wird bei Kaffee und Tee in einem der kleinen Zimmer der Appartements des
zum Gerichtsgebäude umfunktionierten Wohnhauses.
"Als rechtliche
Grundlage dient die Gesetzesvorlage zur Zivilgesellschaft der
Arabischen Liga", erläutert Untersuchungsrichter Karam. "Nur beim
Familienrecht wird die Scharia, das islamische Recht, angewandt. Da sind
wir keine Ausnahme zu anderen arabischen Staaten."
Kriegsverbrechen der Assad-Gegner kein Thema
Täglich gibt es
zwischen 25 und 30 neue Verfahren. Bedauerlicherweise hätten die
Delikte im Bürgerkrieg zugenommen. "Es ist Krieg, Waffen sind überall
gegenwärtig und nicht jeder nutzt sie für einen guten Zweck", sagt Karam
mit einem bedauernden Blick.
Trotz aller
Probleme sei er ein neuer Mensch durch die Revolution geworden. Endlich
könne er eigenständig arbeiten und mitgestalten. "Man kann machen, was
man will. Das ist Freiheit."
Die
Kriegsverbrechen der Rebellen, die nach der Eroberung Aleppos zahlreiche
Gefangene brutal exekutierten, sind für das Gericht erst mal kein
Thema. "Zumindest können wir heute die bewaffneten Gruppen zur
Verantwortung ziehen und das Recht der Zivilisten stärken", meint Karam
abschließend.
Warum kämpfen Deutsche in Syrien?
Auf der
gegenüberliegenden Seite des Gerichts hat die Liwa al-Shabah ihr Büro.
Einer ihrer Kommandanten und Pressesprecher ist Abu Yassin. Er stammt
aus Reutlingen, ist Deutscher mit syrischen Wurzeln.
Im September
hat er sich nach der Geburt seiner Tochter der Revolution angeschlossen.
"Wir haben noch einige andere Deutsche in unseren Reihen", sagt er und
fügt an: "Ganz echte sogar." Sie kämpften in Syrien, weil sie dem
Abschlachten der Zivilbevölkerung durch Regierungstruppen nicht mehr
tatenlos zusehen wollten.
Die Frage
stellt sich aber, ob sie nicht einen islamistischen Hintergrund haben.
Aus reinem, menschlichem Mitgefühl reist niemand nach Syrien, um die
Waffe in die Hand zu nehmen. Eher schon, um seinen bedrohten
Glaubensbrüdern zu helfen.
Das G3 der Bundeswehr ist beliebt
Mit seiner
Brigade nahm Yassin an zahlreichen Gefechten teil. Am Sonntag waren sie
zuletzt bei der Eroberung der Militärschule in der Nähe von Aleppo
dabei.
"Dort haben wir
viele Waffen erbeutet", versichert der 32-Jährige. "Ich darf Ihnen
leider nicht sagen, was wir alles gefunden haben." Die meisten Waffen
stammten aus russischer Produktion, aber auch rund 60 G3-Gewehre seien
erbeutet worden. Waffen, die auch die Bundeswehr benutzt.
Yassin schwärmt: "Das ist mein Lieblingsgewehr, schießt wunderbar, und man kann es als Scharfschütze verwenden."
Waffenkontrolle mit "deutscher Gründlichkeit"
1300 Mann
gehören zu seiner Brigade. "Mit deutscher Gründlichkeit" werde jede
Waffe der Kämpfer registriert. Wer die Truppe verlasse, müsse sie wieder
abgeben. Damit wolle man sicherstellen, dass man nach dem Ende des
Bürgerkriegs die Kontrolle über die Waffen behält.
"Registriert
wurde sogar meine Pistole", behauptet Abu Yassin und nimmt die noch aus
der Tschechoslowakei stammende CZ 82 aus dem Halfter am Oberschenkel.
"Bald ist es mit Assad vorbei", meint er euphorisch. "In den nächsten
Tagen erobern wir den Flughafen von Aleppo und danach die ganze Stadt."
Dann sei der
Weg frei nach Damaskus. Abu Yassin geht zurück in das kleine Büro der
Brigade und setzt sich an den warmen Ofen. Das Essen wird serviert: Reis
mit grünen Erbsen und einer Joghurtsoße.
Peter Steinbach
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