Von Alfred Hackensberger aus Beirut
Kurz ist das Rauschen von 
Hubschrauberrotoren zu hören. Dann folgt das Donnern vom Einschlag 
mehrerer Raketen. Es ist der erste Angriff auf das Stadtzentrum von 
Arsal, einem Ort im Nordlibanon, der nur zehn Kilometer von der 
syrischen Grenze entfernt liegt. Wie durch ein Wunder wird niemand 
verletzt. "Gott hat uns beigestanden", sagt Hamza, dessen Haus von einer
 Rakete knapp verfehlt wurde. Der 39-Jährige ist Leiter einer 
islamischen Hilfsorganisation, die sich um die Versorgung syrischer 
Flüchtlinge kümmert. Gleichzeitig schmuggelt Hamza Waffen sowie Kämpfer 
nach Syrien und bringt von dort Verwundete nach Arsal. Der Krieg im 
Nachbarland ist längst auf den Libanon übergesprungen. Mit dem 
Engagement der schiitischen Hisbollah aus dem Libanon aufseiten der 
syrischen Armee haben sich die Konfliktlinien auch hier verschärft.
In der Grenzstadt Arsal sind
 fast alle der 35.000 Einwohner Sunniten und unterstützen, wie die 
meisten ihrer libanesischen Glaubensbrüder, den Kampf der syrischen 
Opposition gegen das Regime von Baschar al-Assad. 27.000 Flüchtlinge 
leben mittlerweile in Arsal in Notunterkünften. Die syrischen Rebellen 
benutzen den Ort als Rückzugsbasis. Nach dem Fall von Kusair, das nur 35
 Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Grenze liegt, sollen sich 
rund 1000 Kämpfer in Arsal aufhalten.
"Wir mussten uns
 dem Druck beugen", erinnert sich Ali Hadsch an die Kämpfe um Kusair. 
Der 27-Jährige gehört zur Habaschi-Brigade, die bis zuletzt dort 
ausharrte. "Wir wollten alle durch einen Wassertunnel verschwinden", 
sagt er. "Aber nur wenige haben es geschafft." Flugzeuge hätten den 
Fluchtweg bombardiert und zum Grab Hunderter Menschen gemacht. Besonders
 aufgebracht sind Hadsch und seine Brigadekameraden über die Beteiligung
 der schiitischen Hisbollah aus dem Libanon an der Eroberung von Kusair.
 "Sie kämpfen gegen uns, weil wir Sunniten sind", sagt er. Für Hadsch 
und die anderen ist der Einsatz der Miliz nichts anderes, als ein 
Angriff auf ihre Religion. In diesem Glauben werden sie von namhaften 
sunnitischen Scheichs im Libanon, aber auch aus anderen arabischen 
Ländern bestärkt.
Im Libanon 
bezeichnete Scheich Dia al-Islam Schaal, Gründer der nationalen 
salafistischen Bewegung, Hisbollah als einen "Haufen von Lügnern und 
Mördern von Frauen und Kindern". Er ist fest davon überzeugt, dass die 
schiitische Organisation einen Glaubenskrieg gegen die Sunniten plant. 
"Es ist eine Verschwörung gegen uns", meint er in seiner Wohnung in 
Tripolis. Die Stadt im Norden des Libanon ist ein Zentrum radikaler 
Islamisten. Seit über einem Jahr gibt es dort schwere Gefechte zwischen 
sunnitischen und alawitischen Stadtteilen. Die Alawiten sind eine 
schiitische Sekte des Islams, zu der auch Präsident Assad gehört.
"Wir wissen", 
meint Scheich Schaal, wie man sich gegen das "Projekt von Hisbollah 
wehren muss". Er gibt zu, dass man sich für einen bewaffneten Konflikt 
im Libanon gerüstet habe. "Aber wir wollen keinen Krieg mit den 
Schiiten. Nur wenn uns keine andere Wahl bleibt, sind wir bereit dazu." 
Zuerst habe man die Opposition in Syrien nur mit humanitärer Hilfe 
unterstützt, erklärt der Scheich. "Aber Hisbollahs Eintritt in den Kampf
 um Kusair hat alles verändert." Schaal will nicht weiter darauf 
eingehen, jedoch ist klar, Waffen werden an die Rebellen geliefert. 
"Muslime aus der ganzen Welt sollten in diesem Sommer Urlaub in Syrien 
machen und den Dschihad kämpfen", sagt der Scheich abschließend. Seinen 
20-jährigen Sohn hatte er nach Kusair geschickt, um dort die Stadt gegen
 Hisbollah und die syrische Armee zu verteidigen. Mit ihm seien über 200
 weitere Libanesen dort hingegangen, sagt Said.
Aus Rache für 
den Einsatz der Hisbollah an der Seite Assads beschießen Rebellen im 
Libanon schiitische Wohngebiete. "Seit der Einnahme von Kusair wurden 
wir mit 70 Raketen beschossen", sagt Hadsch Ghassan, ein 
Hisbollah-Funktionär, vor einem zerstörten Haus in Hermel. Er zeigt auf 
die Arid-Berge, die das Bekaa-Tal einrahmen. "Nicht aus Syrien, sondern 
von dort sollen die Raketen kommen", sagt er. Die Rebellen würden aus 
Arsal dort hinfahren und Raketen abfeuern.
Aber der 
Hisbollah-Mann wurde von seinem Generalsekretär eines Besseren belehrt. 
Die Raketen seien von syrischem Territorium abgeschossen worden, 
erklärte Hassan Nasrallah bei einer Rede am Freitagabend in Beirut. 
Nasrallah versuchte, die gespannte Lage im Libanon zu entschärfen, und 
ermahnte seine Anhänger, Ruhe zu bewahren. Eine Eskalation im 
Zedernstaat kann Hisbollah schlecht gebrauchen, während sie in Syrien 
eingebunden ist. "Wir kämpfen ganz gewiss keinen Glaubenskrieg gegen 
Sunniten", betonte Nasrallah. Doch auch nach dem Sieg in Kusair werde 
man weitermachen. Für Sunniten in aller Welt ist dies förmlich eine 
Aufforderung, zum Heiligen Krieg nach Syrien zu reisen.
Kommentare