Demonstranten ziehen durch Tripolis und fordern den
Rückzug der Milizen. Plötzlich eröffnen bewaffnete Freischärler
willkürlich das Feuer auf die Menge, 32 Menschen sterben. Von
Alfred Hackensberger, Tripolis
"Wir marschieren
friedlich und ohne Waffen", rief der Sprecher auf dem Podium den etwa
zweitausend Menschen zu. Sie hatten sich nach dem Freitagsgebet vor der
Al-Quds-Moschee in Tripolis versammelt, um gegen die Willkür der Milizen
zu demonstrieren.
Der lokale Rat
der libyschen Hauptstadt (TLC) hatte zu den Protesten aufgerufen,
nachdem es letzte Woche erneut zu Schießereien zwischen rivalisierenden
Milizen gekommen war. Auch der Großmufti von Libyen hatte seine
Unterstützung bekannt gegeben. "Wir wollen endlich Recht und Ordnung",
sagte ein ältere Herr am Rande der Demonstration.
"Die Milizen
wollen nur Geld machen", ruft ein anderer Teilnehmer dazwischen. "Sie
entführen Kinder reicher Leute, um Lösegeld zu kassieren, und verkaufen
Häuser und Grundstücke, die sie von der ehemaligen Regierung
beschlagnahmt haben". Ziel des Demonstrationszugs ist der Stadtteil
Gargur.
Dort hat das
Schild Libyens, die Miliz aus der Hafenstadt Misrata, ihre Basis in
einem Villenviertel eingerichtet. Aus den 2000 Menschen werden auf dem
Weg mehr als doppelt so viele. Ein Autokorso von Hunderten von Wagen
folgt ihnen. "Milizen raus", skandieren die Protestanten vor einem
Checkpoint des Stützpunkts. Die Miliz schießt mit Luftabwehrgeschützen
Warnschüsse in die Luft.
Schüsse auf unbewaffneten Demonstranten
Einer der
Demonstranten breitet die Hände weit auseinander, um zu zeigen, dass er
unbewaffnet ist und in friedlicher Absicht kommt. Er wird kaltblütig mit
einem Bauchschuss niedergestreckt. Dann eröffnen die Milizionäre
willkürlich das Feuer auf die Menge, in der auch viele Kinder sind. Sie
fangen hilflos an zu weinen, als nur wenige Meter von ihnen entfernt ein
Mörsergranate mit lautem Krachen einschlägt. In Panik suchen die
flüchtenden Demonstranten Schutz hinter Häuserwänden.
Bei Schießereien
und gewaltsamen Protesten gegen bewaffnete Milizen sind nach Angaben
des Gesundheitsministeriums mindestens 32 Menschen getötet und knapp 400
verletzt worden.
"Diese Milizen
sind Kriminelle", ruft ein Ingenieur aufgebracht, der aus Großbritannien
nach Libyen zurückgekommen ist, um seine Heimat nach der Revolution
wieder aufzubauen. "Sie schießen auf friedliche Demonstranten und machen
damit nichts anderes, als Muammar Gaddafi getan hat." Die Umstehenden
nicken zustimmend.
"Sie haben sogar unseren Premierminister entführt"
Der Schweiß
läuft über ihre Gesichter und der Zorn hat ihren Schrecken verdrängt.
"Diese Milizen zerstören unser Land", sagt der Ingenieur resignierend.
"Sie machen, was sie wollen und haben sogar unseren Premierminister
entführt." Er hält sein Schild hoch und liest laut vor: "Wir haben den
Diktator gestürzt und wollen keine neuen." Im letzten Monat war
Regierungschef Ali Zeidan aus seinem Hotelzimmer entführt worden und
erst nach langwierigen Verhandlungen wieder freigekommen.
Seit dem Sturz
Gaddafis 2011 haben die Milizen in Libyen das Sagen. Die Regierung hat
keinerlei Autorität, ihre Gesetze und Anweisungen durchzusetzen. Vor
wenigen Tagen wurde im Osten des Landes, das sich als autonome Region
erklärt hat, eine eigene Ölfirma gegründet. Sie macht der staatlichen
Organisation Konkurrenz und will auf eigene Rechnung Erdöl auf dem
internationalen Markt verkaufen.
Die libysche
Gasleitung nach Italien und einige Ölraffinerien wurden blockiert. Ein
Tanker mit 60.000 Barrel Rohöl hinderte man am Auslaufen. Die Regierung
in Tripolis hat ein Ultimatum gestellt, sie wieder zu öffnen. Bisher hat
der libysche Staat 4,5 Milliarden Euro verloren. Am frühen Abend war in
Tripolis noch der Lärm von schweren Gefechten zu hören. Kampfjets
flogen über die Stadt.
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