Stundenlang hingen sie in Handschellen an den Armen
aufgehängt, wurden mit Elektroschocks an Hinterkopf und Genitalien
gefoltert. Überlebende berichten, was sie in Assads Folterkammern
durchmachten. Von
Alfred Hackensberger, Gaziantep (Türkei)
Foto: Victor Breiner
"Es ist alles noch
viel schlimmer", sagt Mohammed Dschabri. "Die Opfer auf den Fotos sind
als Märtyrer ins Paradies eingegangen. Tausende befinden sich aber noch
lebend in der Hölle. Ich weiß, welche schrecklichen Leiden sie erdulden
müssen." Der 25-Jährige saß 67 Tage im berüchtigten Foltergefängnis des
syrischen politischen Geheimdienstes in al-Maisad, einem Stadtteil von
Damaskus.
Nur mit viel Glück hat er die unmenschlichen Verhältnisse und wochenlange Folter überlebt. Mit "Fotos" meint Jabri die erschreckenden Bilder, die weltweit für Entsetzen sorgten.
Sie zeigen mit Blut befleckte Leichen, deren Oberkörper mit tiefen,
roten Striemen übersät sind und Strangulierungsmerkmale am Hals
aufweisen. Insgesamt sind es 55.000 Fotos von 11.000 Opfern, die das
syrische Regime auf dem Gewissen haben soll.
Ein Deserteur will das Material aus Syrien
herausgeschmuggelt haben. Es wurde von einer Untersuchungskommission
auf seine Echtheit überprüft. Ihr Vorsitzender, Sir Desmond de Silva,
ehemaliger Chefankläger am Spezialgerichtshof in Sierra Leone,
behauptete: "Wir sind überzeugt, dass diese Dokumente echt sind und
jedem Gericht standhalten." Wenige Tage nach der Veröffentlichung des
Materials, das Syrien der systematischen Folter und Ermordung von
Gefangenen bezichtigt, waren jedoch Zweifel an seiner Authentizität
aufgekommen.
Die Londoner
Anwaltskanzlei Carter-Ruck und Co., die als Erste die Dokumente sichten
konnte und die Untersuchung initiierte, wurde von Katar dafür bezahlt.
Das Emirat vom Golf ist, neben Saudi-Arabien und Kuwait, einer der
wichtigsten Financiers der syrischen Opposition.
Zu den Klienten von Carter-Ruck und Co. sollen der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan,
die Islamische Hilfsorganisation (IHH) sowie einige konservative
Geistliche aus den Golfstaaten gehören. Sie alle sind Fürsprecher der
syrischen Rebellen. "Nein, nein! Man kann sagen, was man will", ruft
Dschabri aufgebracht. "Die Fotos sind echt und könnten im Gefängnis von
al-Meisad aufgenommen worden sein, in dem ich war."
Der 25-jährige
Kommunikationsingenieur war im November 2012 an der
syrisch-libanesischen Grenze verhaftet worden. Ein Freund hatte ihn
unter der Folter des syrischen Geheimdienstes als Oppositionellen
verraten. Schon bei seiner ersten Verhaftung nach einer Demonstration
2011 hatte Dschabri Bekanntschaft mit der Brutalität des Regimes
gemacht.
"Wir haben Terroristen gefangen"
Gleich zu
Anfang, bei der Überstellung ins Gefängnis, packte man jeden Häftling
bei den Haaren und schlug den Kopf gegen die Metallleisten ihrer Sitze.
"Wir haben Terroristen gefangen", soll ein Polizist ins Mikrofon seiner
Kamera gerufen haben, mit der er alles filmte. "Sie zeichnen alles auf",
erklärt Dschabri, "damit sie einen Beweis für ihre Vorgesetzten haben,
etwas gegen uns Terroristen getan zu haben." Nach ein paar Tagen und
einigen Prügeln war er damals freigekommen. Was aber nach seiner
erneuten Verhaftung an der Grenze passierte, wird Dschabri nie
vergessen.
"Wir waren 35
Leute in einer neun Quadratmeter großen Zelle", berichtet der
Ex-Häftling. "Zum Schlafen musste man sich abwechseln. Acht legten sich
neben den Eingang, fünf neben die Toilette. Das war der unangenehmste
Platz." Urin und Kot sei ausgelaufen, und wer Verletzungen von der
Folter hatte, holte sich schwere Wundinfektionen. "Es war so heiß in der
Zelle, dass wir alle nur unsere Unterwäsche trugen."
Man habe aber
seine Kleider immer in der Hand behalten, denn man konnte jeden
Augenblick in die Folterkammer gerufen werden. Und Schläge auf die
Kleider seien leichter zu ertragen als Schläge auf die nackte Haut. An
die Zellenwand hatte ein früherer Gefangener den Satz geschrieben: "Wir
sind nicht gestorben, aber wir haben gesehen, wer hier gestorben ist."
"Als ich das
gelesen habe", sagt Dschabri, und man sieht einen Moment Tränen in
seinen Augen, "dachte ich wirklich, hier werde ich sterben."
Ständig mit Kabel oder Stock geprügelt
Sitzen kann
Jabri jetzt nicht mehr. Aufgeregt zeichnet er einen Plan seiner
ehemaligen Zelle und des gesamten Trakts auf ein Blatt Papier. "Ich
werde bei diesen Erinnerungen viel zu nervös", sagt er und zeichnet
hektisch Strich für Strich. "Hier ist meine Zelle, da hinten 18 weitere
und winzige Einzelzellen, in denen Ratten das Essen und dich selbst
anknabbern."
Dann zeichnet
er einen Durchgang und sagt: "Hier ist der Metallrahmen, an dem bis zu
fünf Häftlinge mit Handschellen an den Armen aufgehängt wurden."
Dschabri hing dort mit verbundenen Augen einmal zwölf Stunden, dann 16
Stunden, einmal zwei Tage und noch einmal fünf Tage lang. "Man wird
ständig mit einem Kabel oder Stock geprügelt." Einmal sei er mit dem
Stock vergewaltigt worden, und man habe ihm anschließend den Stock in
den Mund gesteckt. "Na, schmeckt's?", habe der Offizier gefragt.
Ein Aufseher
schlief immer im Trakt. Wenn er von Schmerzensschreien aufgeweckt wurde,
habe es Extraschläge gegeben. "Ein Offizier war besonders schlimm",
stellt Dschabri fest. "Sein Name ist Saleh Ali. Er glaubte, er sei
Gott."
Elektroschocks an Hinterkopf und Genitalien
Wenn Jabri
nicht am Metallbalken hängen musste, bekam er Elektroschocks am
Hinterkopf und an den Genitalien. "Alte oder schwache Personen konnten
das nicht aushalten", meint Jabri. Irgendwann habe man ihre Schreie
leise verstummen hören. Sie seien dann wohl gestorben.
"Besonders
beliebt waren unter den Aufsehern Schläge auf die Fingernägel. Dann sind
die Finger so angeschwollen, dass man nicht mehr essen konnte, wenn wir
etwas Essbares bekamen." Meistens gab es eine Platte mit Olivenöl für
alle. Ausnahme sei Linsensuppe gewesen, die aber so viel Wasser
enthalten habe, dass keine Spur mehr von Linsen geblieben sei. "Es war
nie genug für alle. Und wie will man ohne Löffel oder Brot essen", fragt
Jabri. "Wer länger einsitzen muss, verhungert unweigerlich."
In Dschabris
Trakt habe es auch zehn besetzte Zellen für Frauen gegeben. Die
Insassinnen, zwischen 16 und 24 Jahre alt, seien von den Wächtern obszön
beleidigt und erniedrigt worden. Ob sie, wie andere ehemalige weibliche
Gefangene berichteten, vergewaltigt wurden, konnte Dschabri nicht
sagen.
Alles reine Willkür
Er erinnert
sich noch an einen 13-Jährigen, der in seiner Zelle war. Den Jungen
hatte man des Mordes an 15 Polizisten angeklagt. Außerdem sollte er ein
Maschinengewehr gestohlen und damit weitere fünf Ordnungshüter
erschossen haben. "Als der Junge sagte, er sei viel zu schwach, ein
Maschinengewehr zu bedienen, wurde einfach sein Onkel dafür
verantwortlich gemacht, der ebenfalls im Gefängnis saß." Alles sei ein
System der reinen Willkür.
Dschabri musste
sein 15-seitiges Vernehmungsprotokoll mit verbundenen Augen
unterschreiben und seine Fingerabdrücke hinterlassen. "Das war bei allen
so. Niemand wusste, was die Beamten da reingeschrieben hatten."
Wie durch ein
Wunder kam er nach mehr als zwei Monaten Horror wieder in Freiheit.
Dschabri gehörte zu den 2250 Häftlingen, die das Regime von Präsident
Baschar al-Assad im Austausch für 48 Iraner freiließ, die von syrischen
Rebellen gekidnappt worden waren. Heute arbeitet Dschabri für das
syrische Revolutionsradio Hawa Smart in der türkisch-syrischen
Grenzstadt Gaziantep.
Ein alter Freund war der Folterer
Ahmed Primo,
ein anderer Oppositioneller, der sich wie Dschabri friedlich für
Freiheit und Demokratie einsetzte, musste ebenfalls dafür einen hohen
Preis bezahlen. "Allerdings war ich im Gefängnis Aleppo", sagt der
28-Jährige. "Dort ist es nicht ganz so schlimm wie in Damaskus, aber
auch ich wurde systematisch gefoltert. Wie alle anderen in meinem
Gefängnis."
Ahmed ist nicht so
gesprächig wie Jabri. Er scheint noch traumatisiert zu sein. Der
Medienaktivist ist erst am 9. Januar freigekommen. Er hatte einen Monat
in den Kerkern des Regimes überlebt, war aber dann von der
Rebellengruppe des Islamischen Staats im Irak und der Levante (Isil)
gekidnappt worden. Die Al-Qaida-Gruppe hatte ihn wegen seiner Kritik an
der radikalen Organisation 53 Tage festgehalten.
"Sie haben mich
gefoltert wie das Regime, mit Elektroschocks unter der Zunge und an den
Genitalien. Und aufgehängt wurde ich auch tagelang." Besonders tragisch
für ihn war, dass ein alter Freund einer seiner Folterer war. "Wir
hatten in den ersten Tagen der Revolution noch miteinander gegen Assad
demonstriert. Später ging er dann zu Isil, sagt Ahmed nachdenklich und
sichtlich deprimiert.
Keine Rachegefühle
Das
Isil-Gefängnis befand sich in einem Kinderkrankenhaus im Stadtteil Kadi
Asker in Aleppo. Ahmed hatte großes Glück. Während seiner Haftzeit
brachen Kämpfe zwischen der Al-Qaida-Gruppe und Brigaden der Freien
Syrischen Armee (FSA) aus. Ahmeds Name stand schon auf der Liste der
Gefangenen, die exekutiert werden sollten. Seine Peiniger hatten bereits
angekündigt, dass er sterben müsse. Aber es kam alles ganz anders.
Die FSA griff
das Kinderkrankenhaus an, Isil musste sich in aller Eile zurückziehen
und hatte keine Zeit mehr, ihre Gefangenen zu erschießen. Ahmed wurde
gemeinsam mit knapp 200 Mithäftlingen befreit. Er ist heute ebenfalls in
Gaziantep. Rachegefühle hegt er weder gegen das Regime noch gegen
seinen Freund, der ihn folterte.
"Ich bin kein
Soldat und halte auch nicht viel von Waffen. Ich bin auf der Suche nach
einer Arbeit, mit der ich mit friedlichen Mitteln für die Revolution
kämpfen kann." Zum Abschluss zeigt er seine großen Narben von der Folter
an den Händen und Knien. So viel Schmerz, so viel Brutalität. Die
Berichte der beiden Männer machen es schwer zu glauben, dass es eines
Tages Versöhnung geben könne in einem neuen Syrien.
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