Luftangriffe, Fassbomben, Hungersnot: Die Rebellen
in der syrischen Stadt Aleppo werden von Assad-Truppen heftig bedrängt.
Eine Reise zu den Menschen, die in der Hölle des Bürgerkriegs ausharren.
Von
Alfred Hackensberger, Aleppo
Es ist ein
unangenehmes Gefühl: Ständig kreisen Kampfflugzeuge über der Stadt. Ihr
Dröhnen ist laut zu hören. Die Hubschrauber, die Fassbomben abwerfen,
fliegen nahezu lautlos in hoher Höhe. Jeden Augenblick kann eine dieser mit Sprengstoff, Benzin und Nägeln gefüllten Bomben niedergehen. Mehrfach passiert man Häuser, die vor wenigen Minuten zerstört worden sind.
Verzweifelt
suchen Menschen mit bloßen Händen nach Überlebenden und brauchbaren
Dingen. Funktionierende Bagger und Raupenfahrzeuge gibt es schon lange
nicht mehr in Aleppo. Die Menschen an den Explosionsstellen riskieren
ihr Leben, denn seit dem Beginn der Bombenoffensive im Dezember zielt
die syrische Luftwaffe nach dem ersten Beschuss oft mit einer weiteren
mit Sprengstoff gefüllten Tonne auf die herangeeilten Helfer.
"Bis zu 50
Fassbomben können an einem Tag fallen", erklärt Doktor Osman al-Hadsch
Osman, der als Arzt des Dar al-Shifa Krankenhauses bekannt wurde, da er
nie ein Blatt vor den Mund nahm. Osman sprach über Kriegsverbrechen des
Regimes, aber auch offen über die Verfehlungen der Rebellen. An seiner
Einstellung hat sich bis heute nichts geändert. "Das Regime macht das
Leben der Zivilisten in Aleppo unmöglich", erklärt Osman. "Der
überwiegende Teil der Bevölkerung musste die Stadt verlassen."
USA werfen Assad Einsatz von Giftgas vor
Die meisten
Straßen Aleppos sind menschenleer. Nur die Ärmsten der Armen bleiben und
diejenigen, die keine Familie außerhalb haben. Laut der internationalen
Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) sind seit dem
ersten November 2013 insgesamt 2401 Menschen dem Bombardement in Aleppo
zum Opfer gefallen.
Nun gehen nach Frankreich auch die USA Vorwürfen einer neuen Chemiewaffenattacke
im syrischen Bürgerkrieg nach. Das Außenministerium in Washington
teilte mit, es gebe "Hinweise" auf den Einsatz einer "giftigen
Industriechemikalie, wahrscheinlich Chlor". Eine Vernichtung von
Chlorgas, das in der Regel für industrielle Zwecke eingesetzt wird, ist
zwischen der Weltgemeinschaft und der syrischen Führung nicht
vereinbart.
Selbst
Krankenhäuser werden beschossen und aus der Luft bombardiert. "Alle
medizinischen Einrichtungen wurden in den letzten Monaten angegriffen",
erklärt Osman. "Auch bei uns gab es Tote und Verwundete." Seitdem werde
mehr im Keller und im Erdgeschoss gearbeitet. Für den 34-jährigen
Mediziner steht fest: "Die Vertreibung der Zivilisten gehört zur
Militärstrategie des Regimes. Man will die Stadt einkreisen und die
verbliebenen Menschen aushungern."
Syrische Armee steht 19 Kilometer vor Aleppo
Eine Methode,
die das Regime bereits in Homs und Damaskus erfolgreich angewandt hat.
Die Eingeschlossenen mussten nach Monaten aufgeben, sonst wären sie
verhungert. In Aleppo ist die Syrische Armee seit Oktober letzten Jahres
auf dem Vormarsch. Es fehlen nur noch 19 Kilometer bis die Hochburg der
Opposition im Norden des Landes völlig eingekreist ist.
Osman steht mit
den radikalen Islamisten auf Kriegsfuß. Im Dar al-Shifa Krankenhaus
hatte er die Flagge der al-Qaida Gruppe Jabhat al-Nusra vom Dach
entfernt und war dafür zwei Wochen eingesperrt worden. Als letztes Jahr
der noch extremistischere und brutalere Islamische Staat im Irak und in der Levante (Isil)
einen Großteil Aleppos unter Kontrolle brachte, musste Osman fliehen.
"Sie sagten mir: jetzt haben wir keine Zeit dich zu töten, aber wir
versprechen dir, wir machen das später." Zum Glück wurde Isil im Januar
aus der Stadt vertrieben. Nun kann sich der liberale Arzt wieder um
seine Patienten in Aleppo kümmern.
Draußen auf der
Straße vor dem Krankenhaus ist erneut eine kreisende Militärmaschine am
Himmel zu sehen. Wartende Taxifahrer haben bereits vorsorglich ihren
Wagen verlassen und suchen Deckung. Zur Erleichterung aller dreht das
Kampfflugzeug ab.
Kampf um Zugang zum internationalen Flughafen
Die erste
Rebellenbrigade, die den Kampf mit Isil in Aleppo begann, ist Dschaisch
al-Mudschahedin. Sie soll extra für diesen Zweck aus neun Gruppen
gegründet worden sein. "Man konnte nicht mehr dulden, dass sie Hunderte
von Leuten verhafteten, sie systematisch folterten und ermordeten",
erklärt Mudschahedin-Führer Abu Kutaiba im Hauptquartier, nachdem er das
Mittagsgebet abgeschlossen hat. Ihn scheint das deutlich zu vernehmende
Surren der Kampfflieger nicht zu stören. Eine Mörsergranate, die mit
einem lauten Krachen in der Nähe seiner Basis einschlägt, ist sowieso
keine Regung wert.
"Nun ist Isil
aus Aleppo vertrieben", fährt Abu Kutaiba fort, "jetzt können wir uns
ganz auf das Regime konzentrieren." Die Armee der Mudschahedin begann
Anfang April eine Offensive gegen Regimestellungen. Die Rebellen wollen
den Stadtteil Ramusi (Ramouseh) erobert haben. Damit wäre der
Nachschubweg des Regimes zwischen internationalem Flughafen und einer
Militärbasis mit Waffenfabrik abgeschnitten. "Wir warten doch nicht bis
uns das Regime einkreist", betont Abu Kutaiba schmunzelnd. "Mit der
Offensive haben wir ihm eine Überraschung bereitet", fügt er schmunzelnd
hinzu. "So ist eben der Krieg. Das sollten sie mittlerweile wissen."
Die Dschaisch al-Mudschahedin gehören zur Freien Syrischen Armee
(FSA), die vom überwiegenden Teil islamistischer Fraktionen abgelehnt
wird. Die FSA gilt als Anhänger von Demokratie, Wahlen und Parlament.
Das sind Dinge, die für Islamisten verwerflich sind. Für sie zählt nur
eins: der "Wille Allahs" und die von ihm gesandte Scharia, das
islamische Rechtssystem. "Wir brauchen keine von Menschen fabrizierten
Gesetze", sagt ein Anhänger Dschabhat al-Nusras. "Wir haben ihn", fügt
der Mann an und deutet mit dem Zeigefinger zum Himmel.
Auf die Islamistenverbände will niemand verzichten
Jamal Maaruf,
der Führer der Syrischen Revolutionären Front (SNF), ist eine der
schillerndsten Figuren des mittlerweile über drei Jahre andauernden
Bürgerkriegs. Er soll ein goldenes iPhone, mehrere Luxuslimousinen und
viele Millionen Euro besitzen. Reich soll er hauptsächlich aus dem
Verkauf der von den USA und Saudi-Arabien gelieferten Waffen geworden
sein. Dazu soll er ein Vermögen mit dem Benzinschmuggel gemacht haben.
Dieser schlechte Ruf wurde jedoch deutlich aufpoliert, seit die SNF eine
Führungsrolle unter den FSA-Verbänden einnahm und die Extremisten von
Isil aus der Provinz Idlib vertrieb.
Wir suchen
Maaruf in seinem Heimatdorf in der Nähe von Idlib. Aber gut drei Stunden
Fahrt über holprige Pisten und durch unzählige Kontrollen an
Checkpoints sind umsonst. Maaruf ist kurz zuvor zu einem Militärtreffen
in die Türkei abgereist. Wir treffen ihn also in seiner Wohnung in
Antakya, einer türkischen Grenzstadt zu Syrien. Seine Leibwächter lassen
uns im Treppenhaus neben Mülltüten der letzten Tage warten. "Er betet
noch", sagt ein kräftiger, großgewachsener Mann.
Von einem
goldenem iPhone keine Spur, es ist ein billiges Nokia, mit dem Maaruf
Gespräche führt. Auch sonst wirkt der einfache Arbeiter, der zum
Revolutionär wurde, unprätentiös und bescheiden. Zu seinem schlechten
Ruf will Maaruf nicht Stellung nehmen. "Ach, sprechen wir über
Wichtigeres", sagt der Chef der SNF, die als eine der wenigen, wirklich
moderaten Gruppen unter den Rebellen gilt. Auf Wahlen und Demokratie
will sich Maaruf nicht festnageln lassen. Denn mit einem öffentlichen
Bekenntnis zum demokratischen System könnte er es sich mit der
Islamischen Front und Dschabhat al-Nusra verscherzen. Die SNF kooperiert
mit beiden im Kampf gegen Isil wie auch gegen das Regime. Man kann auf
die großen Islamistenverbände nicht verzichten, sonst wäre der
Bürgerkrieg längst verloren.
Finanzielle Unterstützung von den USA
"Nach dem Sturz
Assads muss das syrische Volk entscheiden, was es will", sagt Maaruf
vage, aber betont gleichzeitig: "Wir werden jeden bekämpfen, der mit
Gewalt versucht seinen Willen anderen überzustülpen." Es ist kein
Geheimnis, dass es zwischen Dschabhat al-Nusra, der Islamischen Front
und Isil nur wenige ideologische Unterschiede gibt. Alle wollen die
Scharia als einzige Rechtsgrundlage. Politische Partizipation oder freie
Meinungsbildung gelten als westliches Teufelswerk. Eine Konfrontation
mit Dschabhat al-Nusra und anderen Islamisten ist nur eine Frage der
Zeit. Maaruf will sich darüber nur ungern äußern. "Über die Zukunft
können wir uns momentan keine Gedanken machen", meint der 36-Jährige
diplomatisch.
Genauso wenig
will Maaruf etwas über neue Waffenlieferungen wissen, mit denen er im
Kampf gegen Isil unterstützt wird. Darunter sollen neue
Panzerabwehrwaffen und sogar Manpads sein, mit denen man von der
Schulter aus Flugzeuge abschießen kann. "Es gab und gibt viele
Versprechungen", erläutert Maaruf. "Aber nichts von dem ist wahr. Es
gibt Unterstützung, aber die ist lange nicht so groß, wie manche
denken."
Seit Beginn des
Bürgerkriegs habe er eine Million Dollar von den USA für die Gehälter
seiner Soldaten erhalten. Danach nochmal drei Millionen Dollar von
Saudi-Arabien. Bei insgesamt 18.000 Mann komme man damit nicht weit.
"Heute können wir unseren Kämpfern nichts mehr bezahlen", versichert
Maaruf mit ernstem Gesichtsausdruck. "Sie bekommen höchstens
Nahrungsmittelpakete." Danach will der Milizenchef endlich zum
"wesentlichsten Punkt" kommen. "Wir bekämpfen nicht nur Präsident
Baschar al-Assad", beginnt er in deutlich lauterem Tonfall, "sondern
auch Russland, Iran und die libanesische Hisbollah, deren Milizen die
syrische Armee unterstützt." Und was mache der Westen? "Der lässt uns
und das gesamte syrische Volk mit 200.000 Toten im Stich", sagt Maaruf
abschließend. "Schreiben sie das zu Hause, das ist ein Skandal!"
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