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In Gaddafis Kasernen wartet das Grauen

Die Aufständischen finden in den Gebäuden der legendären Chamis-Brigade viel Prunk – und Anzeichen für ein furchtbares Verbrechen.

Ein mehr als 30 Meter langes und 2,50 hohes handgemaltes Gemälde ziert eine Betonwand am Exerzierplatz in Tripolis: Heroisch wehrt die libysche Armee mit Hubschraubern, Panzern, Kampfjets und Kriegsschiffen eine Invasion an der Küste ab. Die Flugzeuge der Aggressoren stürzen ins Meer, die Schiffe versinken brennend.

Das ganze Kriegsgeschehen auf dem Wandgemälde ist in einem sehr pathetischen Stil des realen Sozialismus gehalten und wird von einem Porträt Muammar al-Gaddafis überwölbt, der sich noch immer versteckt hält. Mit dem Blick eines unbezwingbaren Herrschers, natürlich in einer seiner Fantasie-Uniformen, mit viel Pomp und Gloria.

Als das Gemälde entstand, herrschten noch bessere Zeiten für den Diktator und seine Familie. Jetzt liegen alle Gebäude rund um den Exerzierplatz in Schutt und Asche. Die Nato hatte die Kaserne der Brigade von Chamis, dem siebten und mit 28 Jahren jüngsten Sohn Gaddafis, der angeblich bei einem Selbstmordangriff eines libyschen Jetpiloten am 20. März starb, mehrfach aus der Luft angegriffen. Am vergangenen Freitag eroberten die Rebellen die letzte Bastion dieser Elite-Truppe, deren Mitglieder zum Teil sogar in den USA ausgebildet worden waren.

Auf dem Boden verstreut Rasierwasser und Fotos

Es ist ein unüberschaubares Gelände in Salaheddin, ein Viertel im Südwesten von Tripolis, ganz am Rande der Hauptstadt. Die Büros und die Unterkünfte der Soldaten sind verwüstet. Jeweils zu fünft lebten sie in geräumigen Quartieren zusammen. Die Matratzen liegen nun quer übereinander. An der Wand Poster von den Rappern „50cent“ und „Akon“, dazu Zeitungsausschnitte mit Berichten über die Freilassung des Lockerbie-Attentäters Abdelbaset Ali al-Megrahi, als er am 20. August 2009 aus britischer Haft in Libyen ankam.

Auf dem Boden verstreut liegen Rasierwasser, Cremes, Ausweise, Briefe und Fotos der jungen Männer. In den Kleiderschränken hängen Militärjacken und Hosen akkurat, in den Spinden die Uniformmützen, so als würden sie gleich zum Dienst zurückkommen.

Einer von ihnen, Kamal Milda Mehdi, ließ seine Soldabrechnung liegen: 544 Dinar (umgerechnet 270 Euro), abzüglich 35 Euro Vorschuss. Selbst für libysche Verhältnisse ist das nicht sehr viel. Eine durchschnittliche Bezahlung, ausgerechnet für diese Spezialeinheit, die von Chamis al-Gaddafi eigens gegründet worden war, um den „großen Führer“ und seine Familie bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.

Verwesungsgeruch liegt in der Luft

Aus den hehren Vorsätzen aber wurde nichts. Den Kampf um Tripolis hat die Chamis-Brigade in nur wenigen Tagen mit einer vernichtenden Niederlage verloren. Im Zorn über die Niederlage gegen die „Ratten und Banditen“, wie Vater Muammar al-Gaddafi die Rebellen mehrfach bezeichnete, scheinen einige der Elitesoldaten ihren Zorn und ihren Frust an Zivilisten augelassen zu haben.

Rebellen wollen Gaddafi-Anhänger integrieren

„Für Gaddafi: Sieg oder Tod“ steht an der hohen Mauer eines kleineren Areals, auf dem Bagger und Planierraupen der Chamis-Brigade stehen. Es liegt am Ende einer kleinen Seitenstraße, keine fünf Fahrtminuten von der Kaserne entfernt. Am Tor stehen aufgebrachte, bewaffnete Rebellen, die niemanden auf das Gelände lassen wollen. Immer wieder drängen sie libysche Landsleute ebenso wie ausländische Journalisten aus dem Eingang. Im Gedränge ein Mann, der seine Tränen nicht mehr zurückhalten kann. Laut klagend wird er von einem Freund gestützt und zum Auto gebracht.

Kurz darauf geben die Wachen der Rebellen ihren Widerstand auf. Vor einer Wellblechbaracke liegen zwei männliche Leichen. Der einen wurden mit einer langen Schnur die Füße gefesselt. Man hat melierte Wolldecken über sie gelegt, Verwesungsgeruch liegt in der Luft.

In der Baracke liegen die stummen Zeugen der Massaker, die sich in Tripolis seit dem Sturm der Rebellen in der Nacht zum vergangen Sonntag zugetragen haben und die zu jedem Krieg gehören. In der heruntergekommen Hütte liegen die Überreste von 54 Menschen. Einige von ihnen sind offensichtlich hingerichtet worden. Bei ihnen kann man Kopfschüsse erkennen. Dann wurde Feuer gelegt. Ein schrecklicher Anblick von schwarzen Skeletten, die über den ganzen Boden in der Baracke verteilt sind.
Auch woanders haben die Gaddafi-Schergen gewütet: 75 Tote in Abusalim, weitere 57 im Krankenhaus der Stadt und 35 Leichen in einer anderen Kaserne.

Sechs Monate Aufstand gegen Gaddafi

Nach dem Einmarsch der libyschen Rebellen in die Hauptstadt Tripolis ist die Herrschaft von Muammar al-Gaddafi vorbei.
„Menschenrechtsorganisationen müssen herkommen, um diese Verbrechen Gaddafis aufzuklären“, sagt Mohammad Fatineima aufgebracht. Er wohne in der Nachbarschaft und habe die Gerüchte nicht glauben wollen, sei deshalb extra hierhergekommen, um es mit eigenen Augen zu sehen. „Jetzt kenne ich die Wahrheit, die Wahrheit“, ruft ein älterer Herr mit dickem Bauch in seiner festlichen, blütenweißen Gandora, die man gerne im Fastenmonat Ramadan trägt. Mehr und mehr Libyer gehen ein und aus, um sich das Grauen anzusehen.

Darunter auch Mohammed Abdeslam Abdallah, der behauptet, mit mehr als 100 anderen Männern in der Baracke eingeschlossen gewesen zu sein: 50 Männer aus dem Ort Sawijah, 60 aus Sleitan und vier Schwarzafrikaner. „Alles Zivilisten“, beteuert er. „Wir waren dort seit dem 12. August, man gab uns kaum Wasser und Essen“, erzählt er mit starrer Miene. Ihm sei die Flucht gelungen, weil ihm einer der Wächter geholfen habe.

Mit ihm hätten noch zwei weitere versucht, zu fliehen. „Sie wurden aber erschossen“, sagt er weiter. Ebenso wie der Soldat, der ihnen die Türe aufmachte. Seine Mitgefangen seien aus Angst geblieben. Warum er verhaftet worden sei? „Ich hatte keinen Personalausweis dabei, deshalb nahmen sie mich fest.“

Sie sollen Granaten durch die Fenster geworfen haben

Ein umfassenderes Bild, was passierte, liefert ein Nachbar. „Es war der 23. August, als die Rebellen Bab al-Azizia, den Palast Gaddafis, stürmten. Gleich nach dem Fastenbrechen“, berichtet der Mann, der sich nur Abdelbaset nennt. Es sei bereits dunkel gewesen, als er plötzlich Schüsse hörte und wissen wollte, was hinter seinem Haus vor sich geht.

Drei Soldaten sind demnach zur Baracke gegangen und haben mehrere Granaten durch die vergitterten Fenster geworfen. Danach hätten sie die Schiebetüre aufgemacht und mit ihren Maschinenpistolen auf die Gefangenen geschossen, um sicher zu gehen, dass alle auch wirklich tot sind. Andere Soldaten wollten ihre Kameraden von der Massenexekution abhalten und wurden dafür gleich im Anschluss selbst hingerichtet. „Einer von ihnen musste sich noch niederknien, bevor man ihn tötete“, sagte Abdelbaset, dem die Empörung ins Gesicht geschrieben und der Schweiß auf der Stirn steht.

Der Jubel über den Sieg wird wohl bald der Ernüchterung über die Opfer weichen, die dieser Triumph gefordert hat. Und noch ist es nicht vorbei: In Sirte wird weiter gekämpft.

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