Das Funkgerät knarrt, dann
sind arabische Wortfetzen zu hören. Abu Hamza al-Almani hat gerade
Schichtdienst an einem Checkpoint in al-Rai, einer Kleinstadt im Norden
Syriens. "Es ist nichts los hier! Ziemlich langweilig, den ganzen Tag
hier rumzustehen", beschwert sich der 23-Jährige, dessen arabischer
Nachname - al-Almani - auf seine Herkunft aus Deutschland verweist.
Er hätte lieber
ein bisschen "Action", wie er es formuliert. Die Fotos auf seiner
Facebook-Seite lassen erahnen, was er darunter versteht: Hamza mit
Pistole, Hamza mit Kalaschnikow oder gemeinsam mit seinen Kumpels in
Kampfpose vor einem Pick-up mit Flugabwehrgeschütz.
Er und seine vier Freunde sind mit Kapuzen maskiert, schließlich sind sie Kämpfer der Terrorgruppe "Islamischer Staat"
(IS) und damit gesuchte Kriminelle. Sie haben alle einen deutschen Pass
und gehören zu den mindestens 400 Männern, die die Bundesrepublik in
den vergangenen drei Jahren verlassen haben, um an der Seite der Islamisten zu kämpfen.
Deutsch-Algerier vor Leichenbergen
Im Juli sorgten
zwei von ihnen für weltweites Entsetzen. Der Deutsch-Algerier Farid S.
alias Abu Lukman al-Almani ließ sich in Syrien vor Leichenbergen filmen
und verhöhnte die Toten, die blutverschmiert vor ihm lagen. Abu Talha
al-Almani, der aus Berlin stammende Ex-Rapper Deso Dogg, schlug mit einem Schuh wütend auf eine der Leichen ein.
Hamza hat wie
die meisten der deutschen IS-Mitglieder muslimische Wurzeln. Seine
Eltern stammen aus der Türkei. Er habe sich vor einigen Monaten dem IS
angeschlossen, Genaueres will er nicht sagen. Nach einem dreiwöchigen
Militärtraining, das auch täglichen Religionsunterricht einschloss, sei
es weitergegangen nach al-Rai. Hier liegt eine von mehreren deutschen
Basen. Bei IS werden gewöhnlich Männer aus denselben Ländern oder mit
denselben Sprachkenntnissen zusammengelegt.
"Ich hatte in
Deutschland kein schlechtes Leben", sagt Hamza, aber glücklich sei er
dort nie gewesen. Das habe sich erst geändert, als er sich wieder auf
seine Religion besonnen und Gott ihm den rechten Weg gezeigt habe. Doch
als gläubiger Muslim könne man in Deutschland nicht leben.
"Wir schaffen hier etwas Großartiges"
"Es ist ein
verkommener Ort ohne Moral und Werte, eine Aids-verseuchte Gesellschaft,
in der jeder mit jedem Sex hat. Das ist widerlich", sagt Hamza. Er
wisse genau, wovon er spreche. "Ich habe früher auch getrunken und
Mädchen gehabt." Seit Hamza zurückgefunden hat zu Allah, glaube er
wieder an Himmel und Hölle, an Engel, das Jüngste Gericht und an eine
bessere Welt.
"Wir schaffen
hier etwas Großartiges und erbauen eine gerechte Gesellschaft auf Basis
der Scharia." Alle Menschen in al-Rai seien unter dem islamischen Recht
zufrieden. "Hier gibt es Sicherheit und Ordnung. Sie sollten mal
vorbeikommen und sich das ansehen", rät er dem Reporter. Über die Brutalität des IS, über die Folter und Massenexekutionen will Hamza hingegen nicht sprechen. "Da müssen Sie unseren Emir fragen."
Der Emir, der
Führer der Deutschen in diesem Ort unweit der türkischen Grenze, nennt
sich Abu Muwahid al-Almani und ist kurdischer Abstammung. Seine
Schultern sind breit, er präsentiert sich gern mit Maschinenpistole und
einem langen Patronengurt, den er sich über die Schultern gelegt hat.
Der Emir behauptet, für die Bevölkerung zu sorgen
Der Emir müht
sich, ein positives Bild seiner Truppe zu vermitteln. "Wir sorgen für
die Bevölkerung. Wir organisieren Wasser, Strom und beseitigen den
Müll." Den Bürgern vor Ort fehle es an nichts, seit der IS seine
schützende Hand über sie halte. "Hier herrscht das Gesetz Gottes, etwas
Besseres gibt es nicht", sagt der Emir. Alle Berichte über die
angeblichen Schandtaten des IS seien Lügen.
Dummheit,
Verblendung oder beides? Abu Muwahid versteht den von ihm
eingeschlagenen Weg als Ausdruck des richtigen Glaubens. Kreuzigungen
und Enthauptungen, darüber möge man sich im Westen aufregen. Der
Anführer der deutschen Islamisten kann daran nichts Verwerfliches
finden. "Das sind Strafen, die der Koran vorsieht", sagt er.
Außerdem seien
sie unbedingt notwendig. "Sie dienen der Abschreckung, um die Menschen
zu einem gottgefälligen Leben anzuhalten." Massenexekutionen und
Enthauptungen am Fließband sollen der Wille Gottes sein? Solche
Gewaltexzesse sind selbst al-Qaida zu extrem, auch die islamischen
Rechtsgelehrten verurteilen sie, ganz zu schweigen von den führenden
Rechtsgelehrten des Islam, die das als Perversion ihres Glaubens
betrachten.
"Ich persönlich
bin wenig erpicht darauf, Köpfe abzuschneiden", sagt Abu Muwahid. "Ich
bevorzuge eine Kugel in den Kopf unserer Feinde", sagt er und lacht, als
habe er einen besonders guten Witz gemacht. "Aber egal wie die
Ungläubigen sterben, am Ende entscheidet Gott allein, ob ihre Weg in die
Hölle oder in das Paradies führt."
Er gibt sich "so glücklich wie nie zuvor"
Für die beiden
deutschen Dschihadisten hingegen ist klar: Mit ihrem Kampf für die gute
Sache in Syrien und Irak haben sie ihre Bestimmung gefunden. "Ich bin
hier verheiratet mit einer guten muslimischen Frau und so glücklich wie
nie zuvor", sagt Hamza. Unter keinen Umständen wolle er nach Deutschland
zurück. Auch nicht, um dort Anschläge zu verüben, wie von den deutschen
Sicherheitsbehörden befürchtet. "Mein Kampf ist hier, um Gerechtigkeit
und Gottes Gesetz zu verwirklichen."
Emir Abu
Muwahid will von der Bundesrepublik ebenfalls nichts wissen. "Keine zehn
Pferde würden mich dahin zurückbringen. Deshalb kann Berlin auch ruhig
Einreiseverbote verhängen, das stört mich nicht!", sagt er und setzt
fordernd hinzu: "Richten Sie das Frau Merkel aus!"
Das sehen nicht
alle Dschihadisten mit deutschem Pass so. Silvio K. zum Beispiel kommt
aus dem Dunstkreis des verbotenen Salafisten-Vereins Millatu Ibrahim und
drohte unlängst mit einem Anschlag auf das einzige US-Atomwaffenlager
in Deutschland. Der aus Sachsen stammende IS-Mann, der per Haftbefehl
gesucht wird, gab als weitere Attentatsziele öffentliche, private und
kirchliche Einrichtungen an.
Die Brutalität lockt noch mehr Dschihadisten an
Das
Beängstigende: Die explizite Brutalität der IS-Kämpfer lockt immer mehr
deutsche Dschihadisten an. Philipp B., ein Pizzakurier aus Dinslaken,
verübte einen Selbstmordanschlag im Irak und tötete mindestens 20
kurdische Soldaten. In Bagdad sprengte sich im Juli der 21-jährige Abu
Al-Kaakaa al-Almani aus Ennepetal in Westfalen in die Luft. Er riss 24
Menschen mit in den Tod.
Abu Hamza und
Abu Muwahid sind inzwischen abgetaucht. Ihre Facebook-Profile und die
einer Reihe anderer deutschen Kämpfer, mit denen die "Welt am Sonntag"
in Kontakt stand, sind deaktiviert. Ihre Handys funktionieren, aber man
kann nur eine Nachricht hinterlassen. Womöglich bekam Abu Hamza endlich
Gelegenheit zur ersehnten "Action".
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