Direkt zum Hauptbereich

Erdogans Plan für die Kolonialisierung Syriens

Die Türkei steht kurz vor der Eroberung von Afrin. In Erdogans Masterplan ist das nur der erste Schritt. Er will den kurdischen Erzfeind systematisch und dauerhaft besiegen. Auch demografisch.
Von Alfred Hackensberger


ls die ersten Artilleriegranaten krachend ins Dach seines Hauses in Afrin einschlagen, nimmt Shirwan seine vor Schreck erstarrte alte Mutter auf den Rücken und flüchtet mit ihr zu Verwandten in einem anderen Bezirk. Doch auch dort wird er auf Dauer nicht sicher sein: Türkische Kampfflugzeuge und Artillerie intensivierten am Mittwoch ihre Angriffe auf die Hauptstadt der syrischen Kurdenregion, auch Wohngebiete wurden getroffen und mindestens vier Zivilisten getötet. Der türkische Vorstoß in die Stadt steht unmittelbar bevor.
Die Offensive, „Operation Olivenzweig“ genannt, geht nach über sieben Wochen in die entscheidende Phase. Etwa 60 Prozent der Kurdenregion im Nordwesten Syriens sind bereits in der Hand der Türkei und ihrer Hilfstruppen aus syrischen Rebellen, die Stadt Afrin ist bis auf einen sechs Kilometer breiten Korridor eingekreist. „Ich hoffe, dass Afrin heute Abend komplett erobert ist“, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwochvormittag in Ankara.
Erdogan kann seinen bevorstehenden Triumph kaum abwarten, auch wenn die türkische Militärführung davon ausgeht, dass die Offensive noch bis Mai dauert. Seit Jahren sehnt sich 64-Jährige nach einem Moment wie diesem, versprochen hatte er ihn schon oft. Nun rückt ein militärischer Sieg über die verhassten Kurden in greifbare Nähe.
Die syrische Kurdenmiliz YPG in Afrin gilt als Ableger der verbotenen türkischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die auch von Deutschland als terroristische Organisation eingestuft wird, und wird deshalb von Ankara als Bedrohung der nationalen Sicherheit betrachtet.
Aber es geht Erdogan um weit mehr als nur um den Kampf gegen Terrorismus, er will den kurdischen Erzfeind systematisch und dauerhaft besiegen - auch demografisch. Nach der Eroberung von Afrin soll auch ganz Nordsyrien zuerst erobert und dann kolonisiert werden. Erdogan will Turkmenen und syrische (nicht-kurdische) Flüchtlinge in großer Zahl ansiedeln. Dass die syrischen Kurden den Islamischen Staat (IS) mit Hilfe der USA erfolgreich besiegt und ein basisdemokratisches Projekt aufbaut haben, spielt bei diesen Überlegungen keine Rolle.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Geschützt, verdrängt, geduldet

Jüdisches Leben in islamischen Ländern – eine gefährdete Tradition Der durch den Nahostkonflikt genährte Antizionismus in der arabischen Welt lässt beinahe vergessen, dass auch in muslimischen Ländern jüdische Gemeinschaften leben. Allerdings hat die Abwanderung aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund von politischem Druck fast überall zu einem starken Rückgang der jüdischen Bevölkerung geführt. Im jüdischen Kasino von Tanger scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Gut gekleidete Damen und Herren sitzen an mit grünem Filz belegten Tischen und spielen Karten. Mehrere Kronleuchter geben dem grossen Saal eine exklusive Atmosphäre. Wem nicht nach Kartenspiel zumute ist, der sitzt an der Bar und lässt sich einen Apéritif oder auch nur ein Bier servieren. Eine Abendgesellschaft im Klub, wie sie vo...

Der schwarze Block von Kurdistan

US-Präsident Donald Trump hat die Kurden im Stich gelassen. Jetzt fürchten sie, dass ein Angriff aus der Türkei kurz bevorsteht. Sie trainieren in Camps für den Ernstfall – und hoffen auf die Hilfe linksradikaler Utopisten aus Europa. Von  Alfred Hackensberger S o sieht also die Hoffnung der Kurden in  Nordsyrien  aus. In einem Hof, der von einer Mauer umgeben ist, spielen ein Franzose und drei Dänen mit kleinen Hunden. „Eine der wenigen Abwechslungen“, sagt ein junger Mann, er kommt aus Paris. In Frankreich war er in anarchistischen Zirkeln aktiv. Auch die jungen Leute aus Dänemark sind Anarchisten. Ihre Mitstreiter aus der Türkei sind wiederum Marxisten. Ihre Namen geben sie nicht preis. Fotografieren lassen sie sich nur vermummt, sie befürchten rechtliche Konsequenzen in ihren Heimatländern. Die Internationale Brigade ist ein Sammelbecken von Linksidealisten, die alle auf ihre Weise von einem sozialistischen Paradies träumen. Und das liegt für sie im Norden Syri...

The Taliban and their Drug Problem

Drug cultivation is one of Afghanistan's most important sources of income. Die WELT visited the fields and talked to the people who live from growing opium and marijuana. The Taliban banned the cultivation of these plants once before. But this time is different.   16/10/2021 This article was originally published by  Die Welt  on October 13, 2021. The original can be found  here . Translation by SyriacPress  By  Alfred Hackensberger   correspondent for WELT In the full afternoon heat, they huddle together in the shade of the last remaining grave on the grounds of the dilapidated cemetery of Mazar-i-Sharif. Some smoke crystal meth from small glass pipes, others heroin on aluminum foil, or opium. The relaxed mood of the ten or so men are changes abruptly when an armed member of the Taliban appears. He suddenly hits one of the drug users with the butt of his rifle and kicks him when he’s down. “The Taliban beat us all the time,” says the sturdy and tall No...