Direkt zum Hauptbereich

Wo Deutschlands Drogen herkommen

3000 Tonnen pro Jahr, 80 Prozent des europäischen Gesamtbedarfs, ein Geschäft von 20 Milliarden Euro: Marokko ist der größte Haschischexporteur der Welt. Ein Großteil wird im unzugänglichen Rif-Gebiet produziert. Das Königreich hat den Kampf gegen die Drogenbarone längst verloren.

Von der Hafenstadt Larache am Atlantik dauert die Fahrt ins Rif-Gebirge, dem Herzland des Kif, wie Marihuana in Marokko genannt wird, keine Stunde. Von Kilometer zu Kilometer häufen sich die tiefgrünen Pflanzungen der verbotenen Droge zwischen Bohnen- und Maisfeldern. Außer einzelnen, billigen Wellblechhäusern ist von Zivilisation bald keine Spur mehr.

Aus dieser malerischen Berggegend stammt der Großteil des Haschisch, das nach Europa exportiert wird. Rund 3000 Tonnen sind es pro Jahr – 80 Prozent des europäischen Gesamtbedarfs. Marokko ist damit größter Haschischexporteur der Welt. Auf modernen Schnellbooten, unter Fischladungen versteckt, oder mit Kleinflugzeugen wird das Kif zuerst nach Spanien, dann weiter nach Frankreich, Holland oder Deutschland transportiert. Ein Geschäft, dessen Wert auf bis zu 20 Milliarden Euro geschätzt wird. Das Kif ist das „Grüne Öl“ Marokkos.
Weiterführende Links

Von den Gewinnen landet allerdings nur ein Bruchteil bei den Bauern. „Diejenigen, die damit das große Geld machen, fahren schwere Geländewagen mit verspiegelten Scheiben und kommen oft nicht aus Marokko“, berichtet Mohammed L., der mit seiner Frau und sieben Kindern in einer der Wellblechhütten lebt. Im Gegensatz zu vielen anderen Kleinbauern der Gegend hat er Elektrizität. Stolz zeigt er seinen Fernsehapparat und eine neue Satellitenschüssel. Wasser allerdings wird seit Jahren täglich mit Eseln aus dem 20 Minuten entfernt gelegenen Brunnen transportiert.

Gleich hinter dem Haus befindet sich die Kif-Plantage. Gut 3000 Quadratmeter, die in diesen Tagen reif zur Ernte sind. Vereinzelt liegen bereits abgeschnittene Pflanzenbündel zum Trocknen in der Sonne, die später zu Haschisch verarbeitet werden. „Fünf oder sechs Kilo sollen es mindestens werden“, sagt Mohammed und lächelt dabei hoffnungsfroh. Pro Kilo bekommt er zwischen 400 und 500 Euro. In Europa zahlt der Endverbraucher oft mehr als das Zwanzigfache.

Mohammed und seine Familie könnten ohne die kleine Haschischproduktion nicht überleben. Die wenigen Olivenbäume, die Eier seiner Hühner und die Bienenstöcke dienen dem Eigenbedarf. Für seine fünf, sechs Kilo Haschisch muss Mohammed nur zwei, drei Tage arbeiten. Das getrocknete Marihuana wird über einem Sieb in Plastik eingewickelt und mit zwei Stöcken „ausgeschlagen“. Im Topf darunter sammelt sich der begehrte Stoff.

Mohammed ist einer von rund einer Million Menschen in Marokko, die auf diese Art ihre Existenz sichern. „100 Kilo Marihuana ergeben ein bis zwei Kilo Haschisch“, erklärt er fachmännisch auf seinem Feld. „Da drüben ist es die doppelte Ausbeute“, fügt er resigniert hinzu und zeigt auf deutlich erkennbare Marihuanafelder auf der anderen Seite des Tals. „Dort sind die Böden besser, und außerdem gibt es Wasser“, erklärt der Familienvater.

Da drüben, das ist die Region Chefchaouen und das dahinter liegende Ketama, wo Berberstämme seit dem 15.Jahrhundert Kif anbauen. Die Berber sind eine ethnische Minorität in Marokko mit eigener Sprache und Kultur. 1958, zwei Jahre nach der Unabhängigkeit Marokkos, rebellierten sie, worauf ihre Region bis zum Tode von Hassan II. 1999 gänzlich vernachlässigt wurde. Kif zu pflanzen, ist bis heute ein Zeichen berberischer Selbstständigkeit. Sämtliche Versuche der marokkanischen Regierung, den Anbau von Marihuana zu unterbinden, schlugen fehl. Ob Avocados oder Olivenbäume als Ersatz, kaum einer der Bauern ließ sich vom lukrativen Kif abbringen. „Die können machen, was sie wollen“, meint Mohammed L., der kein Berber ist, sondern nur ein Jibli, ein Mann der Berge. „Sie schlagen die Olivenbäume ab, um Flächen für Kif frei zu machen. Die Samen dazu stammen aus Pakistan oder Indien.“

Mohammed will mit der von der Mafia organisierten industriellen Produktion nichts zu tun haben. Er wäre schon mit etwas größeren Anbauflächen zufrieden. Aber das sei nicht mehr so einfach wie früher. „Sobald die Polizei meine Felder sieht, reißt sie die Pflanzen aus.“ Schmiergelder in der Höhe, die er bezahlen kann, würden nichts ändern. „Man will den Anbau kontrollieren und auf eine bestimmte Region beschränken, wenn man ihn schon nicht ganz ausmerzen kann“, meint Mohammed.
Schlagworte

Zwischen 2003 und 2007 hatte das Uno-Büro für Drogen und Kriminalität einen Rückgang der Marihuanaproduktion in Marokko um 50 Prozent registriert. Die marokkanischen Behörden hatten auf Druck der USA und der Europäischen Union Maßnahmen gegen den Kif-Anbau getroffen. Bauern wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, Felder zerstört, Umpflanzungsprogramme durchgeführt. Bis 2008 wollte man den Kif-Anbau vollkommen ausrotten. Davon ist Marokko heute weit entfernt. Die Produktion von Kleinbauern wie Mohammed konnte zwar minimiert und manchmal auch ganz unterbunden werden. Zudem wurde eine Ausbreitung in bekannten Anbaugebieten verhindert.

Aber im Gegenzug legte die Haschischmafia neue Marihuanakulturen in unzugänglicheren Gebieten an, intensivierte den Anbau mit Düngemitteln und neuem, leistungsfähigeren Saatgut. Nach wie vor kann man sich mit ausreichend Geld eine unbehelligte Ernte im Juli und August erkaufen. Das wird so bleiben, solange man den sozial schwachen Bauern keine ansprechenden Ersatzpflanzen zu Verfügung stellt und keine zusätzlichen Schulen, Wasser- und Elektrizitätsleitungen baut.

Da man offenbar die Produktion nicht verbannen kann, plädierte das renommierte marokkanische Wochenblatt „Tel Quel“ als Ausweg für eine Legalisierung des Kif und zeichnete ein Bild von sprudelnden Steuereinnahmen, Touristenströmen und dem Rückgang der Korruption. Nicht zu vergessen, dass auch die Marokkaner konsumieren. Ob unter Bauarbeitern, Intellektuellen oder LKW-Fahrern, Cannabis ist fester Bestandteil des marokkanischen Alltagslebens. Jedes Jahr werden, wie die Zeitung „Tel Quel“ errechnete, 1,1 Milliarden Joints geraucht. Das sind rund 60 Zigaretten pro Jahr für jeden Erwachsenen der 33-Millionen-Bevölkerung des Königreichs.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Geschützt, verdrängt, geduldet

Jüdisches Leben in islamischen Ländern – eine gefährdete Tradition Der durch den Nahostkonflikt genährte Antizionismus in der arabischen Welt lässt beinahe vergessen, dass auch in muslimischen Ländern jüdische Gemeinschaften leben. Allerdings hat die Abwanderung aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund von politischem Druck fast überall zu einem starken Rückgang der jüdischen Bevölkerung geführt. Im jüdischen Kasino von Tanger scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Gut gekleidete Damen und Herren sitzen an mit grünem Filz belegten Tischen und spielen Karten. Mehrere Kronleuchter geben dem grossen Saal eine exklusive Atmosphäre. Wem nicht nach Kartenspiel zumute ist, der sitzt an der Bar und lässt sich einen Apéritif oder auch nur ein Bier servieren. Eine Abendgesellschaft im Klub, wie sie vo

Christoph Luxenberg - Interview/ English

The Virgins and the Grapes: the Christian Origins of the Koran A German scholar of ancient languages takes a new look at the sacred book of Islam. He maintains that it was created by Syro-Aramaic speaking Christians, in order to evangelize the Arabs. And he translates it in a new way by Sandro Magister That Aramaic was the lingua franca of a vast area of the ancient Middle East is a notion that is by now amply noted by a vast public, thanks to Mel Gibson’s film “The Passion of the Christ,” which everyone watches in that language. But that Syro-Aramaic was also the root of the Koran, and of the Koran of a primitive Christian system, is a more specialized notion, an almost clandestine one. And it’s more than a little dangerous. The author

Der schwarze Block von Kurdistan

US-Präsident Donald Trump hat die Kurden im Stich gelassen. Jetzt fürchten sie, dass ein Angriff aus der Türkei kurz bevorsteht. Sie trainieren in Camps für den Ernstfall – und hoffen auf die Hilfe linksradikaler Utopisten aus Europa. Von  Alfred Hackensberger S o sieht also die Hoffnung der Kurden in  Nordsyrien  aus. In einem Hof, der von einer Mauer umgeben ist, spielen ein Franzose und drei Dänen mit kleinen Hunden. „Eine der wenigen Abwechslungen“, sagt ein junger Mann, er kommt aus Paris. In Frankreich war er in anarchistischen Zirkeln aktiv. Auch die jungen Leute aus Dänemark sind Anarchisten. Ihre Mitstreiter aus der Türkei sind wiederum Marxisten. Ihre Namen geben sie nicht preis. Fotografieren lassen sie sich nur vermummt, sie befürchten rechtliche Konsequenzen in ihren Heimatländern. Die Internationale Brigade ist ein Sammelbecken von Linksidealisten, die alle auf ihre Weise von einem sozialistischen Paradies träumen. Und das liegt für sie im Norden Syriens. Doch di