Türkische Fernsehserie bricht mit vielen Tabus konservativer islamischer Länder - und ist von Saudi-Arabien bis Marokko der absolute Quotenhit
"Teuflisch und unmoralisch" nannte der Großmufti Saudi-Arabiens die türkische Fernsehserie "Nur" und forderte die TV-Stationen auf, ihren "Angriff auf Gott und seinen Propheten" unverzüglich einzustellen. In der palästinensischen Stadt Nablus warnte ein Parlamentarier und Prediger der radikal-islamischen Hamas vor der Serie, die gegen "Religion, Werte und Tradition" verstoße. Viel Gehör fand allerdings keiner der beiden Würdenträger. Zwischen drei und vier Millionen Saudi-Araber sehen jeden Abend die religiös verbotene Seifenoper über das Leben und die Liebe von Nur und ihrem Ehemann Mohannad. Im palästinensischen Gazastreifen und im Westjordanland sind die Straßen zur Sendezeit wie leer gefegt. Und sollte der Strom wieder einmal ausfallen, stellt man sich den Wecker, um die Wiederholung am frühen Morgen nicht zu verpassen.
Aber auch in anderen arabischen Ländern wie Syrien, Bahrain oder Marokko versammeln sich täglich die Großfamilien vor den Fernsehgeräten, um ihre Helden zu sehen. Ein Erfolg, der für den panarabischen Satellitenkanal MBC völlig überraschend kam. In der Türkei war "Nur" ein Flop und wurde nach der Ausstrahlung weniger Episoden abgesetzt. Da arabische TV-Serien unverschämt teuer seien, so MBC-Präsident Scheich Walid al-Ibrahim, habe man im Ausland nach billigen Varianten gesucht. Der Lückenbüßer, den man nicht mit klassischem Arabisch, sondern mit dem gesprochenen Dialekt der Region vertonte, wurde nun zum großen Geschäft des Senders mit Hauptsitz in Dubai.
Überraschend sind die Reaktionen des konservativen, religiösen Establishments nicht. "Nur" präsentiert ein neues Rollenbild, das gerade in den Golfstaaten wenig Entsprechung im gesellschaftlichen Alltag findet. Zum ersten Mal wird nun eine muslimische Familie gezeigt, in der beide Ehepartner völlig gleichberechtigt sind. Der Ehemann (Mohannad) unterstützt seine Frau (Nur) bei ihrem beruflichen Werdegang als Modedesignerin, behandelt sie liebe- und verständnisvoll. Nach einem Streit bringt er ihr Blumen, überrascht sie mit Geschenken oder einer Reise mit romantischem Ambiente. Männliches Verhalten, wie man es bisher nur aus westlichen Filmproduktionen kannte. In arabischen Produktionen werden gewöhnlich Männer gezeigt, die ihre Ehefrauen oder auch Schwestern schlagen.
"Unsere Gesellschaft ist solche Intimität und Liebe nicht gewohnt, deshalb wird diese Art von Beziehung als Sünde bezeichnet", sagt die Vizepräsidentin der Frauenunion von Bahrain, Fatima Rabea. Für viele weibliche Zuschauer wird der sanfte, gut aussehende Mohannad zu einem männlichen Wunschbild. Angeblich ließen sich schon einige saudi-arabische Ehemänner scheiden, die Mohannad-Fotos auf dem Handy ihrer Frau gefunden hatten. In der Tageszeitung "Saudi Gazette" wurde ein Cartoon abgedruckt, der einen Mann beim Schönheitschirurgen zeigt, der in Mohannad verwandelt werden möchte. Mütter wünschen sich Nur oder Mohannad als Vornamen ihrer Neugeborenen.
In der Seifenoper werden auch noch andere Tabus konservativ-muslimischer Gesellschaften gebrochen. Mohannad hatte bereits vor der Heirat mit Nur Sex, aus dem ein Kind stammt, eine Cousine hatte eine Abtreibung, und zum Abendessen wird schon mal Alkohol getrunken. "Wir alle machen Dinge in unserem Leben, wie sie in der Serie gezeigt werden", sagt die syrische Schauspielerin Laura Abu Sa'ad, die der weiblichen Hauptfigur Nur ihre arabische Stimme gab. "Viele Mädchen werden schwanger und haben Abtreibungen, aber man spricht nicht darüber. Wenn man nun im TV sieht, was sonst unter den Tisch gekehrt wird, bedeutet das ein Aufatmen." Für Laura Abu Sa'ad ist der Erfolg der Serie ein Zeichen dafür, "dass die arabischen Muslime einem moderaten Islam und nicht den Extremisten folgen wollen".
Religion spielt in "Nur" eine Nebenrolle. Die Ehe von Nur und Mohannad ist zwar vom Großvater bestimmt, und man befolgt das muslimische Fastengebot im Monat Ramadan, aber keine der Hauptfiguren wird beim täglichen Gebet gezeigt. Frauen tragen auch kein religiöses Kopftuch oder eine andere Verschleierung. "Ich denke, diese Serie zeigt ein völlig unrealistisches Bild der Türkei", kritisiert Professor Khalid Amine von der marokkanischen Universität in Tetouan. "Als würde es dort keine islamistische Partei an der Regierung und keine Auseinandersetzung zwischen Religion und Säkularismus geben." Profiteur ist jedenfalls der türkische Tourismus: Kinder wollen die Schauplätze von "Die verlorenen Jahre", einer populären türkischen Serie für Jugendliche, sehen, die Eltern das Land von Nur und Mohannad. Darum mietete die türkische Produktionsfirma von "Nur" in Istanbul das fiktionale Zuhause von Mohannad und verwandelte die Villa in ein Museum für arabische Touristen. Allein aus Saudi-Arabien werden 100 000 Besucher erwartet, 70 000 mehr als im Vorjahr. "Der Anstieg saudi-arabischer Touristen ist ein Resultat der Seifenopern", sagt der türkische Botschafter in Saudi-Arabien. "Es gab früher nur zwei Flüge von Riad nach Istanbul, heute sind es vier, die alle vollkommen ausgebucht sind."
"Teuflisch und unmoralisch" nannte der Großmufti Saudi-Arabiens die türkische Fernsehserie "Nur" und forderte die TV-Stationen auf, ihren "Angriff auf Gott und seinen Propheten" unverzüglich einzustellen. In der palästinensischen Stadt Nablus warnte ein Parlamentarier und Prediger der radikal-islamischen Hamas vor der Serie, die gegen "Religion, Werte und Tradition" verstoße. Viel Gehör fand allerdings keiner der beiden Würdenträger. Zwischen drei und vier Millionen Saudi-Araber sehen jeden Abend die religiös verbotene Seifenoper über das Leben und die Liebe von Nur und ihrem Ehemann Mohannad. Im palästinensischen Gazastreifen und im Westjordanland sind die Straßen zur Sendezeit wie leer gefegt. Und sollte der Strom wieder einmal ausfallen, stellt man sich den Wecker, um die Wiederholung am frühen Morgen nicht zu verpassen.
Aber auch in anderen arabischen Ländern wie Syrien, Bahrain oder Marokko versammeln sich täglich die Großfamilien vor den Fernsehgeräten, um ihre Helden zu sehen. Ein Erfolg, der für den panarabischen Satellitenkanal MBC völlig überraschend kam. In der Türkei war "Nur" ein Flop und wurde nach der Ausstrahlung weniger Episoden abgesetzt. Da arabische TV-Serien unverschämt teuer seien, so MBC-Präsident Scheich Walid al-Ibrahim, habe man im Ausland nach billigen Varianten gesucht. Der Lückenbüßer, den man nicht mit klassischem Arabisch, sondern mit dem gesprochenen Dialekt der Region vertonte, wurde nun zum großen Geschäft des Senders mit Hauptsitz in Dubai.
Überraschend sind die Reaktionen des konservativen, religiösen Establishments nicht. "Nur" präsentiert ein neues Rollenbild, das gerade in den Golfstaaten wenig Entsprechung im gesellschaftlichen Alltag findet. Zum ersten Mal wird nun eine muslimische Familie gezeigt, in der beide Ehepartner völlig gleichberechtigt sind. Der Ehemann (Mohannad) unterstützt seine Frau (Nur) bei ihrem beruflichen Werdegang als Modedesignerin, behandelt sie liebe- und verständnisvoll. Nach einem Streit bringt er ihr Blumen, überrascht sie mit Geschenken oder einer Reise mit romantischem Ambiente. Männliches Verhalten, wie man es bisher nur aus westlichen Filmproduktionen kannte. In arabischen Produktionen werden gewöhnlich Männer gezeigt, die ihre Ehefrauen oder auch Schwestern schlagen.
"Unsere Gesellschaft ist solche Intimität und Liebe nicht gewohnt, deshalb wird diese Art von Beziehung als Sünde bezeichnet", sagt die Vizepräsidentin der Frauenunion von Bahrain, Fatima Rabea. Für viele weibliche Zuschauer wird der sanfte, gut aussehende Mohannad zu einem männlichen Wunschbild. Angeblich ließen sich schon einige saudi-arabische Ehemänner scheiden, die Mohannad-Fotos auf dem Handy ihrer Frau gefunden hatten. In der Tageszeitung "Saudi Gazette" wurde ein Cartoon abgedruckt, der einen Mann beim Schönheitschirurgen zeigt, der in Mohannad verwandelt werden möchte. Mütter wünschen sich Nur oder Mohannad als Vornamen ihrer Neugeborenen.
In der Seifenoper werden auch noch andere Tabus konservativ-muslimischer Gesellschaften gebrochen. Mohannad hatte bereits vor der Heirat mit Nur Sex, aus dem ein Kind stammt, eine Cousine hatte eine Abtreibung, und zum Abendessen wird schon mal Alkohol getrunken. "Wir alle machen Dinge in unserem Leben, wie sie in der Serie gezeigt werden", sagt die syrische Schauspielerin Laura Abu Sa'ad, die der weiblichen Hauptfigur Nur ihre arabische Stimme gab. "Viele Mädchen werden schwanger und haben Abtreibungen, aber man spricht nicht darüber. Wenn man nun im TV sieht, was sonst unter den Tisch gekehrt wird, bedeutet das ein Aufatmen." Für Laura Abu Sa'ad ist der Erfolg der Serie ein Zeichen dafür, "dass die arabischen Muslime einem moderaten Islam und nicht den Extremisten folgen wollen".
Religion spielt in "Nur" eine Nebenrolle. Die Ehe von Nur und Mohannad ist zwar vom Großvater bestimmt, und man befolgt das muslimische Fastengebot im Monat Ramadan, aber keine der Hauptfiguren wird beim täglichen Gebet gezeigt. Frauen tragen auch kein religiöses Kopftuch oder eine andere Verschleierung. "Ich denke, diese Serie zeigt ein völlig unrealistisches Bild der Türkei", kritisiert Professor Khalid Amine von der marokkanischen Universität in Tetouan. "Als würde es dort keine islamistische Partei an der Regierung und keine Auseinandersetzung zwischen Religion und Säkularismus geben." Profiteur ist jedenfalls der türkische Tourismus: Kinder wollen die Schauplätze von "Die verlorenen Jahre", einer populären türkischen Serie für Jugendliche, sehen, die Eltern das Land von Nur und Mohannad. Darum mietete die türkische Produktionsfirma von "Nur" in Istanbul das fiktionale Zuhause von Mohannad und verwandelte die Villa in ein Museum für arabische Touristen. Allein aus Saudi-Arabien werden 100 000 Besucher erwartet, 70 000 mehr als im Vorjahr. "Der Anstieg saudi-arabischer Touristen ist ein Resultat der Seifenopern", sagt der türkische Botschafter in Saudi-Arabien. "Es gab früher nur zwei Flüge von Riad nach Istanbul, heute sind es vier, die alle vollkommen ausgebucht sind."
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