Der Westen will nur die gemäßigten Rebellen mit Waffen im
Kampf gegen Assad versorgen, doch die Strategie verspricht wenig Erfolg.
Zugleich gewinnen die Verbündeten von al-Qaida immer mehr an Boden. Von Alfred Hackensberger
In Frankreich
laufen die Vorbereitungen auf vollen Touren, die syrischen Rebellen
aufzurüsten, wie französische Medien berichteten und sich dabei auf
Quellen im Geheimdienst sowie in Ministerien berufen.
Die Europäische Union ist in der Frage der Aufhebung des syrischen Waffenembargos gespalten, wie das Treffen der 27 Außenminister
am vergangenen Wochenende in Dublin zeigte. Aber Frankreich kümmert das
wenig. "Selbst, wenn ein oder zwei Länder blockieren sollten", hatte
der französische Präsident François Hollande im Vorfeld des EU-Gipfels
versichert, "übernimmt Frankreich seine Verantwortung."
Hollande und Kerry zuversichtlich
Es besteht die
Gefahr, dass mit weiteren Waffenlieferungen aus dem Westen radikale
Rebellengruppen aufgerüstet werden. Hollande gibt sich zuversichtlich
und behauptet: Frankreich wisse genau, wie man die Waffen in die
richtigen Hände bringe. Das Gleiche versicherte US-Außenminister John
Kerry bei einem Besuch in Katar. Vorerst gäbe es jedoch nur
"nicht-letale" Hilfe.
46 Millionen
Euro hat die US-Regierung bereitgestellt. "Zum ersten Mal unterstützen
wir direkt den Militärrat und direkt die syrische Opposition." Kerry
meinte den Obersten Gemeinsamen Militärkommandorat (SJMCC) unter der
Leitung von Salim Idris, ehemaliger Brigadegeneral der syrischen Armee,
sowie die politische Vertretung der Opposition, die Syrische Nationale
Koalition (SNC).
Beide
Organisationen wurden Ende 2012 auf Druck des Westens gegründet. Sie
sollten die zersplitterte Opposition einigen und legitime
Ansprechpartner liefern. Aber feste und übersichtliche Strukturen sind
ein Problem innerhalb der syrischen Revolutionäre. Zu viele,
unterschiedliche Interessengruppen arbeiten gegeneinander.
Tiefschläge und Rücktritte
Am vergangenen Sonntag trat Maoz al-Khatib
überraschend als Präsident des SNC zurück. Einen Tag bevor er den Sitz
übernehmen sollte, den die Arabische Liga der syrischen Opposition zur
Verfügung gestellt hat. Al-Kathib, ehemaliger Imam der Ummayaden-Moschee
in Damaskus, begründete seinen Rücktritt mit "mangelnder Freiheit
innerhalb der Institution". Er beschwerte sich einerseits über interne
Fehden von Fraktionen, die nur an sich dächten. Anderseits beklagte er
die unzureichende Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft.
"Der Tod von so
vielen Menschen, die Zerstörung der Infrastruktur, die Verhaftung vieler
Tausender und Hunderttausende von Flüchtlingen ist ihnen nicht Grund
genug, dem syrischen Volk das Recht zur Selbstverteidigung
zuzugestehen." Gleichzeitig gebe es Druck von "internationalen und
regionalen Kräften", ihn und die Opposition zu Verhandlungen mit dem
Regime zu zwingen. Aber Assad habe zu viele Menschen getötet, um Teil
einer Lösung zu sein. Der SNC akzeptierte seinen Rücktritt nicht, aber
es bleibt völlig offen, ob al-Kathib weiter macht.
Zu weiterem
Chaos trug der Militärchef der Freien Syrischen Armee (FSA) bei. Salim
Idris lehnte es ab, den erst vergangene Woche vom SNC neu gewählten
Premierminister anzuerkennen. Ghassan Hitto sei nicht die beste Wahl,
ließ Idris verlauten. Es wird behauptet, Hitto sei ein Wunschkandidat
der Muslimbruderschaft gewesen, die seine Wahl erpresst hätte. Es ist
nicht das erste Mal, dass die Muslimbrüder im Verdacht steht, hinter den
Kulissen den politischen Willen des syrischen Volkes manipuliert zu
haben.
Die Muslimbrüder bauen eigene Milizen auf
Idris ist wohl
auch aus militärischen Gründen nicht gut auf die Muslimbrüder zu
sprechen. Nach Aussagen von FSA-Kommandanten baut die islamistische
Organisation eigene, unabhängige militante Organisationen auf. "Sie
horten jetzt schon Waffen für die Zeit nach der Revolution", behauptete
ein Battallionsführer in Aleppo. "Sie wollen dann die Macht übernehmen,
und sie werden eine unserer ersten Gegner sein, die wir bekämpfen
müssen."
Idris hat
Sorgen genug. Das Attentat auf FSA-Mitgründer Riad al-Assad, bei dem
dieser schwer verletzt wurde, wird ihm vermutlich kein Kopfzerbrechen
bereiten, denn al-Assad spielte schon lange kaum eine Rolle mehr
innerhalb der Befehlsstruktur. Viel größere Probleme machen hingegen die
radikalen Dschihadisten und Salafisten, die die FSA militärisch
vielfach zu Statisten degradiert.
Der
Brigadegeneral, der im Juli 2012 aus der syrischen Armee desertierte,
konnte die FSA zwar reorganisieren. Es gibt Kommandostände für die
Fronten im Norden, Süden, Westen, Osten und in Zentralsyrien. Sie
kommunizieren untereinander, entwickeln gemeinsame Strategien, verteilen
Waffen und Munition. Etwas, das es bisher unter den Rebellen nicht gab.
Militärische Erfolge halten sich jedoch in Grenzen, die FSA hat nur
wenige Gebiete unter Kontrolle.
Die zwei
größten und wichtigsten Rebellengruppen sind derzeit die Syrische
Islamische Front (SIF) und die Syrische Befreiungsfront (SLF). Letztere
gilt als moderate Vereinigung von Islamisten, zu denen Salafisten und
Muslimbrüder gehören. Einige der Brigaden fühlen sich der FSA zugehörig,
andere wiederum nicht. Bekannteste Kampfverbände der SLF sind die
Sukkur al-Scham in Idlib, die Faruk-Briagden in Homs und die
Tawid-Brigade in Aleppo. Alle zusammen sollen etwa die Hälfte der
Rebellentruppen ausmachen.
Als moderate
Islamisten können die meisten dieser Gruppen nur im Vergleich mit der
SIF bezeichnet werden. Bei deren Gründung im Dezember 2012 verbündeten
sich elf radikale salafistische und dschihadistische Organisationen. Die
SIF wird von Ahrar al-Scham dominiert. Die freien Männer des Levante
kooperieren mit der Al-Nusra-Front und gelten im gemeinsamen Einsatz als
Elitetruppen der Rebellen. Im Gegensatz zur SLF hat die SIF ein
landesweites Netzwerk aufgebaut, das militärisch und ideologisch
zusammenarbeitet.
Von der Diktatur zum Kalifat?
Syrien soll ein
Kalifat werden, basierend auf der Scharia, dem islamischen Recht. "Den
Islam kann nicht an der Urne wählen", sagte ein Vertreter von Ahrar
al-Scham. Al-Nusra teilte kürzlich mit, man werde die Bildung eines
zivilen Staates nicht akzeptieren: "Wir haben die Kontrolle am Boden und
regieren mit dem islamischen Recht."
Die
Al-Nusra-Frontz und die SIF kontrollieren große Landesteile im Norden
und Osten Syriens. Täglich versuchen sie, ihre Herrschaft auszubauen.
Sie sind an allen wichtigen Frontabschnitten im Einsatz und die ersten,
die sich eroberte Waffenlager sichern und die Kontrolle über neue
Gebiete übernehmen.
Die Frage ist,
ob Waffenlieferungen an die FSA oder andere Gruppen, die in den Augen
des Westens als vertrauenswürdig gelten, den Einfluss der Extremisten
minimieren können. Die EU und der Westen stecken in einem Dilemma. Dem
syrischen Volk helfen wollen, ohne die Islamisten aufzurüsten. Beides
zusammen scheint nicht möglich zu sein.
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