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Das Dilemma des Westens mit den Waffenlieferungen

Der Westen will nur die gemäßigten Rebellen mit Waffen im Kampf gegen Assad versorgen, doch die Strategie verspricht wenig Erfolg. Zugleich gewinnen die Verbündeten von al-Qaida immer mehr an Boden. Von

Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee feuert einen Mörser in Damaskus ab. Bisher verfügen die Rebellen nur über leichte Waffen
Foto: REUTERS Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee feuert einen Mörser in Damaskus ab.  
 In den Kisten befinden sich Gewehre, Granaten und Munition. Viel wichtiger aber sind die moderne Panzerabwehrwaffen und vor allem Luft-Boden-Raketen, mit denen man Hubschrauber und Kampfjets abschießen kann.
In Frankreich laufen die Vorbereitungen auf vollen Touren, die syrischen Rebellen aufzurüsten, wie französische Medien berichteten und sich dabei auf Quellen im Geheimdienst sowie in Ministerien berufen.
Die Europäische Union ist in der Frage der Aufhebung des syrischen Waffenembargos gespalten, wie das Treffen der 27 Außenminister am vergangenen Wochenende in Dublin zeigte. Aber Frankreich kümmert das wenig. "Selbst, wenn ein oder zwei Länder blockieren sollten", hatte der französische Präsident François Hollande im Vorfeld des EU-Gipfels versichert, "übernimmt Frankreich seine Verantwortung."

Hollande und Kerry zuversichtlich

Es besteht die Gefahr, dass mit weiteren Waffenlieferungen aus dem Westen radikale Rebellengruppen aufgerüstet werden. Hollande gibt sich zuversichtlich und behauptet: Frankreich wisse genau, wie man die Waffen in die richtigen Hände bringe. Das Gleiche versicherte US-Außenminister John Kerry bei einem Besuch in Katar. Vorerst gäbe es jedoch nur "nicht-letale" Hilfe.
46 Millionen Euro hat die US-Regierung bereitgestellt. "Zum ersten Mal unterstützen wir direkt den Militärrat und direkt die syrische Opposition." Kerry meinte den Obersten Gemeinsamen Militärkommandorat (SJMCC) unter der Leitung von Salim Idris, ehemaliger Brigadegeneral der syrischen Armee, sowie die politische Vertretung der Opposition, die Syrische Nationale Koalition (SNC).
Beide Organisationen wurden Ende 2012 auf Druck des Westens gegründet. Sie sollten die zersplitterte Opposition einigen und legitime Ansprechpartner liefern. Aber feste und übersichtliche Strukturen sind ein Problem innerhalb der syrischen Revolutionäre. Zu viele, unterschiedliche Interessengruppen arbeiten gegeneinander.

Tiefschläge und Rücktritte

Am vergangenen Sonntag trat Maoz al-Khatib überraschend als Präsident des SNC zurück. Einen Tag bevor er den Sitz übernehmen sollte, den die Arabische Liga der syrischen Opposition zur Verfügung gestellt hat. Al-Kathib, ehemaliger Imam der Ummayaden-Moschee in Damaskus, begründete seinen Rücktritt mit "mangelnder Freiheit innerhalb der Institution". Er beschwerte sich einerseits über interne Fehden von Fraktionen, die nur an sich dächten. Anderseits beklagte er die unzureichende Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft.
"Der Tod von so vielen Menschen, die Zerstörung der Infrastruktur, die Verhaftung vieler Tausender und Hunderttausende von Flüchtlingen ist ihnen nicht Grund genug, dem syrischen Volk das Recht zur Selbstverteidigung zuzugestehen." Gleichzeitig gebe es Druck von "internationalen und regionalen Kräften", ihn und die Opposition zu Verhandlungen mit dem Regime zu zwingen. Aber Assad habe zu viele Menschen getötet, um Teil einer Lösung zu sein. Der SNC akzeptierte seinen Rücktritt nicht, aber es bleibt völlig offen, ob al-Kathib weiter macht.
Zu weiterem Chaos trug der Militärchef der Freien Syrischen Armee (FSA) bei. Salim Idris lehnte es ab, den erst vergangene Woche vom SNC neu gewählten Premierminister anzuerkennen. Ghassan Hitto sei nicht die beste Wahl, ließ Idris verlauten. Es wird behauptet, Hitto sei ein Wunschkandidat der Muslimbruderschaft gewesen, die seine Wahl erpresst hätte. Es ist nicht das erste Mal, dass die Muslimbrüder im Verdacht steht, hinter den Kulissen den politischen Willen des syrischen Volkes manipuliert zu haben.

Die Muslimbrüder bauen eigene Milizen auf

Idris ist wohl auch aus militärischen Gründen nicht gut auf die Muslimbrüder zu sprechen. Nach Aussagen von FSA-Kommandanten baut die islamistische Organisation eigene, unabhängige militante Organisationen auf. "Sie horten jetzt schon Waffen für die Zeit nach der Revolution", behauptete ein Battallionsführer in Aleppo. "Sie wollen dann die Macht übernehmen, und sie werden eine unserer ersten Gegner sein, die wir bekämpfen müssen."
Idris hat Sorgen genug. Das Attentat auf FSA-Mitgründer Riad al-Assad, bei dem dieser schwer verletzt wurde, wird ihm vermutlich kein Kopfzerbrechen bereiten, denn al-Assad spielte schon lange kaum eine Rolle mehr innerhalb der Befehlsstruktur. Viel größere Probleme machen hingegen die radikalen Dschihadisten und Salafisten, die die FSA militärisch vielfach zu Statisten degradiert.
Der Brigadegeneral, der im Juli 2012 aus der syrischen Armee desertierte, konnte die FSA zwar reorganisieren. Es gibt Kommandostände für die Fronten im Norden, Süden, Westen, Osten und in Zentralsyrien. Sie kommunizieren untereinander, entwickeln gemeinsame Strategien, verteilen Waffen und Munition. Etwas, das es bisher unter den Rebellen nicht gab. Militärische Erfolge halten sich jedoch in Grenzen, die FSA hat nur wenige Gebiete unter Kontrolle.
Die zwei größten und wichtigsten Rebellengruppen sind derzeit die Syrische Islamische Front (SIF) und die Syrische Befreiungsfront (SLF). Letztere gilt als moderate Vereinigung von Islamisten, zu denen Salafisten und Muslimbrüder gehören. Einige der Brigaden fühlen sich der FSA zugehörig, andere wiederum nicht. Bekannteste Kampfverbände der SLF sind die Sukkur al-Scham in Idlib, die Faruk-Briagden in Homs und die Tawid-Brigade in Aleppo. Alle zusammen sollen etwa die Hälfte der Rebellentruppen ausmachen.
Als moderate Islamisten können die meisten dieser Gruppen nur im Vergleich mit der SIF bezeichnet werden. Bei deren Gründung im Dezember 2012 verbündeten sich elf radikale salafistische und dschihadistische Organisationen. Die SIF wird von Ahrar al-Scham dominiert. Die freien Männer des Levante kooperieren mit der Al-Nusra-Front und gelten im gemeinsamen Einsatz als Elitetruppen der Rebellen. Im Gegensatz zur SLF hat die SIF ein landesweites Netzwerk aufgebaut, das militärisch und ideologisch zusammenarbeitet.

Von der Diktatur zum Kalifat?

Syrien soll ein Kalifat werden, basierend auf der Scharia, dem islamischen Recht. "Den Islam kann nicht an der Urne wählen", sagte ein Vertreter von Ahrar al-Scham. Al-Nusra teilte kürzlich mit, man werde die Bildung eines zivilen Staates nicht akzeptieren: "Wir haben die Kontrolle am Boden und regieren mit dem islamischen Recht."
Die Al-Nusra-Frontz und die SIF kontrollieren große Landesteile im Norden und Osten Syriens. Täglich versuchen sie, ihre Herrschaft auszubauen. Sie sind an allen wichtigen Frontabschnitten im Einsatz und die ersten, die sich eroberte Waffenlager sichern und die Kontrolle über neue Gebiete übernehmen.
Die Frage ist, ob Waffenlieferungen an die FSA oder andere Gruppen, die in den Augen des Westens als vertrauenswürdig gelten, den Einfluss der Extremisten minimieren können. Die EU und der Westen stecken in einem Dilemma. Dem syrischen Volk helfen wollen, ohne die Islamisten aufzurüsten. Beides zusammen scheint nicht möglich zu sein.

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