Der Bürgerkrieg hat die Außenbezirke der Hauptstadt erreicht
Er hat ein kleines Hotel,
gleich um die Ecke vom legendären Al-Hamidiah-Suk in Damaskus. Das
Passwort für das Internet auf dem Zimmer lautet "march15". Deutlicher
könnte das Statement für die Opposition nicht sein. Denn am 15. März
vergangenen Jahres fand der erste "Tag des Zorns" gegen das Regime von
Baschar al-Assad statt. Was seit Januar 2011 mehrfach fehlgeschlagen
war, funktionierte an diesem Tag: Landesweit gingen die Menschen
zeitgleich für die Demokratie auf die Straße. Eine Bewegung, die nicht
mehr zu stoppen war. Aber mit friedlichen Demonstrationen ist es
mittlerweile vorbei. In Syrien herrscht Krieg seit die Opposition, ein
Sammelbecken divergierender Gruppen, den bewaffneten Kampf beschlossen
hat. "Ich bedauere das sehr", sagt der Hotelbesitzer. "Nur mit
friedlichen Mitteln kann man dauerhafte Reformen und Demokratie
schaffen." Polizeiautos in die Luft jagen und junge Wehrpflichtige
exekutieren, das sei keine Lösung. "Unser politisches System ist
beileibe nicht gut", fährt er fort. "Wir brauchen Reformen und auch
einen neuen Präsidenten, aber durch Verhandlungen und nicht mit der
Waffe in der Hand."
Ganz anderer Meinung ist
Sakaria, ein 25-jähriger Taxifahrer in Damaskus. "Freiheit hat es in
Syrien nie gegeben. Nun sind wir auf dem besten Weg dahin." Als vor
seinem Taxi ein offener Truppentransporter auftaucht, deutete er
nacheinander auf jeden der jungen Soldaten: "Weg mich euch! Du bist tot,
und du, und du bist auch tot." So müsse das gehen, sagt er lachend.
Aber zunehmend wird es ernst in Damaskus.
In der syrischen
Hauptstadt sind jede Nacht Schüsse und Explosionen zu hören. Sie kommen
aus Duma oder al-Midan, zwei Vororten von Damaskus. Fast jede Nacht,
gegen zwei Uhr, beginnen dort die Rebellen ihre Angriffe auf Stellungen
der syrischen Armee. "Sie sind sehr schwer kleinzukriegen", sagt ein
Militär, der unerkannt bleiben will. "Sie greifen nie an der gleichen
Stelle an, und weil sie hier wohnen, haben sie gute Ortskenntnisse. Bei
Sonnenaufgang gegen halb sechs sind sie wieder verschwunden."
Die syrische
Armee führt den Kampf eines Sisyphos. Nur selten konzentriert sich der
Widerstand in einem großen Ort, den man bombardieren kann. Wo das
möglich ist, sind die Verwüstungen schrecklich. Bestes Beispiel ist
Homs: Von der drittgrößten Stadt Syriens ist kaum mehr etwas übrig. Im
März hatten sich die Rebellen von dort zurückgezogen. Aber der Triumph
der Armee währte nicht lange. Die Freie Syrische Armee (FSA) ist drauf
und dran, den Stadtteil Baba Amr, ihre einstige Hochburg, wieder unter
Kontrolle zu bringen.
Ein Sympathisant
der Rebellen erklärt von dort telefonisch, etwa 800 Zivilisten seien
zwischen den Fronten des Häuserkampfes eingeschlossen, Leute, die nicht
wissen, wohin sie fliehen sollen und die vor allem kein Geld für eine
Flucht haben. Der oppositionelle Syrische Nationalrat behauptet sogar,
es seien mehr als 1000 Familien und ein neues Massaker stehe bevor.
In der Gegend
von Aleppo im Nordwesten des Landes sind die Rebellen noch weiter
vorangekommen. Hier kontrollieren sie das Gebiet unmittelbar hinter der
Grenze zur Türkei bis auf zehn Kilometer vor der Stadtgrenze der
Millionenmetropole. Von der Luftwaffenakademie in Aleppo feuern schwere
Geschütze nachts in das Rebellengebiet. Tagsüber starten von dort
Helikopterangriffe. Aber noch, so sagen die Bewohner des Hinterlandes,
gebe es kaum zivile Opfer. "Die Leute hier sagen, die Piloten müssen
gute Menschen sein, weil sie nie aufs Dorf schießen, sondern nur
rundherum", sagt ein junger FSA-Angehöriger, der nahe Aleppo kämpft.
Für die
Regierungstruppen wird es in Zukunft noch schwieriger, den Angriffen der
Rebellen standzuhalten. Was Katar und Saudi-Arabien schon immer
wollten, ist nun beschlossene Sache: Die Rebellen bekommen in Zukunft
eine Art regulären Sold von 25 Dollar im Monat, bezahlt aus den
Geldquellen am Golf. Damit will man Soldaten zum Desertieren bringen.
Und es wird natürlich Waffenlieferungen im großen Stil geben. Die Türkei
erlaubt eine Kommandozentrale auf ihrem Territorium, von wo aus die
Operationen der FSA geleitet werden sollen. Rund 20 Syrer sollen dort
arbeiten.
Eine große
internationale Verschwörung wittert Pfarrer Gabriel von der
Syrisch-Orthodoxen Kirche in Bab al-Tuma. Das christliche Viertel liegt
am Rande der Stadt. "Ob Saudi-Arabien, Katar, die USA oder Israel, sie
wollen unter allen Umständen einen Sturz des Regimes", sagt der
Priester. Rücksicht auf Menschenleben werde nicht genommen. "Die
Rebellen vertreiben und massakrieren die christliche Bevölkerung in
großem Stil. Bekommen wir hier irakische Verhältnisse?" Pfarrer Gabriel
meint die über eine Million Glaubensbrüder, die seit dem Krieg 2003 aus
dem Nachbarland fliehen mussten.
In Syrien leben
zwei Millionen Christen. "Wenn die gehen müssen, ist das christliche
Projekt im Mittleren Osten gestorben", ruft der Pfarrer aufgebracht. Bab
al-Tuma ist eine Welt für sich inmitten der Stadt. Die neu gebauten
Wohnsiedlungen könnten in einem europäischen Land stehen. Saubere
Vorgärten, adrette Kinderspielplätze und teure Autos an den
Straßenrändern. Kopftücher sieht man hier kaum, stattdessen freizügig
gekleidete Frauen, als wäre man in Paris oder Berlin. Man kauft in
teueren Boutiquen, beim französischen Bäcker oder beim libanesischen
Metzger. "Wir haben nichts gegen Präsident Assad", sagt ein älterer
Lebensmittelhändler. "Aber Reformen wollen wir auch. Mehr Demokratie und
freie Wahlen." Mit der angeblich so Freien Syrischen Armee sei das
bestimmt nicht zu erreichen. "Sie wollen uns von hier nur vertreiben.
Dabei ist Syrien auch unser Land und das schon seit vielen
Generationen."
Auch wenn es in
Damaskus zunächst den Anschein hat, das Leben verlaufe normal, die
Spannung ist allgegenwärtig. In jedem Geschäft laufen Fernseher mit den
Nachrichtenkanälen und die Menschen blicken wie gebannt auf die
Bildschirme, auch bei den von offizieller Seite geschmähten Sendern
al-Dschasira aus Katar und al-Arabia aus Saudi-Arabien. Auf den Märkten
und in den Geschäften der Hauptstadt ist zwar noch alles zu haben, aber
die Preise sind deutlich gestiegen. Und die Leute kaufen weniger. "Wir
haben kaum mehr Gäste", erzählt eine Frau in einem Restaurant der
Innenstadt. Vier Kinder hat sie. "Wir wissen nicht, wie wir überleben
sollen. Unseren Nachbarn geht es nicht anders." Sie lebte viele Jahre in
Europa. Vor einem Jahr kehrte sie heim, mitten in den syrischen
Bürgerkrieg. Nach der Scheidung von ihrem Mann hatte der kurzerhand die
Kinder nach Syrien entführt. Nun will sie um ihre drei Sprösslinge
kämpfen. "Ich liebe Europa", sagt sie leidenschaftlich. "Syrien, das ist
doch nichts." Außer vielleicht der Präsident gehe endlich. "Bye, bye",
sagt sie und winkt süffisant. Aber ihren Namen möchte sie nicht gedruckt
wissen. Wer weiß, was die Zukunft bringt.
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