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Ein kurzer Urlaub vom Krieg

Die türkische Grenzregion zu Syrien beherbergt Tausende Flüchtlinge und ist ein wichtiges Rückzugsgebiet für die Rebellen Von Alfred Hackensberger DIE WELT Alle Nachrichten Touristen aus aller Welt kennen die türkische Stadt Antakya besser unter dem Namen Antiochia. Doch derzeit kommen kaum noch Urlauber, um die Mosaike aus der legendären Metropole der Antike zu bestaunen. Im Nachbarland Syrien tobt seit 16 Monaten der Bürgerkrieg. Seit sich die Kämpfe zwischen Rebellen und Armee zunehmend intensivieren, wird die Türkei für die Opposition immer wichtiger als Rückzugsgebiet und Nachschubbasis. Antakya, das nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt liegt, ist heute ein wichtiger Stützpunkt der Freien Syrischen Armee (FSA), einer Rebellengruppe, die sich aus desertierten Soldaten der syrischen Streitkräfte zusammensetzt. Von hier aus starten die Rebellen zu ihren Angriffen auf die Regierungstruppen von Präsident Baschar al-Assad. Oder sie machen dort einfach nur Urlaub vom Krieg. "Ich bin jetzt schon sechs Tage hier", erzählt Mohammed Hamudi. Er steht im schattigen Garten eines großen Einfamilienhauses in einem Vorort von Antakya und reicht kaltes Wasser. Eine Wohltat bei über 40 Grad Hitze. "Aber nun wird es wieder Zeit, weiter zu kämpfen", fügt er lachend an. "In zwei, drei Tagen geht es wieder über die Grenze." Er ist der Führer eines Bataillons, zu dem 90 Mann und drei Ärzte gehören. Sein Operationsgebiet ist in der Nähe von Idlib im Norden Syriens. "Zu unserer Hauptaufgabe gehört, den Zufahrtsweg an der Ostküste in Richtung Türkei von syrischen Regimetruppen freizuhalten", erklärt der Mittvierziger. Er meint damit die Verbindungsstraße von der Hafenstadt Latakia an die türkische Grenze, die weiter nach Antakya führt. Auf diesem Weg werden verwundete Kämpfer in türkische Krankenhäuser sowie Verpflegung oder Medikamente nach Syrien gebracht. Hamudis Bataillon sei nicht das einzige, das in der Gegend um Idlib operiert. "Da sind noch zwei oder drei andere Einheiten, die alle in Koordination mit dem Chef des Militärrats, Mustafa al-Scheich, kämpfen." Hamudi ist kein Deserteur der syrischen Armee. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann und hätte sich nie träumen lassen, dass einmal Kalaschnikows oder Panzerabwehrraketen zu seinem Werkzeug gehören würden. "Erst als ich bei einer absolut friedlichen Demonstration von den Sicherheitskräften verwundet wurde, habe ich mich entschlossen, dieses Bataillon zu gründen", sagt er. Das war im August 2011, und seitdem bekämpft er das Assad-Regime. Hamudi sagt, dass er diesen Kampf aus eigener Tasche finanziere. Dies könne er nur, weil er aus einer wohlhabenden Familie stamme. Denn Widerstand ist teuer. Umgerechnet 1500 Euro kostet eine einzige Kalaschnikow, und über den Preis von Panzerfäusten will er gar nicht reden. Schon oft wurde kolportiert, dass Saudi-Arabien oder Katar, die die Rebellen seit Langem bewaffnen wollen, finanzielle Hilfe leisten. Davon will Hamudi jedoch nichts wissen. "Nur die Amerikaner haben Satellitentelefone geliefert", versichert er. Die Waffen seines Bataillons stammen angeblich ausnahmslos von der syrischen Armee. "Wir kaufen sie von Obersten und anderen Offizieren, die sie aus den Arsenalen stehlen und völlig überteuert an uns verkaufen." Erst letzte Woche hätten sie zwei Panzerabwehrraketen und 15 dazugehörige Sprengköpfe erhalten. "Das Geld legen wir den Offizieren in den Blumentopf neben ihrem Haus oder schicken Kinder mit den dicken Geldbündeln zu ihnen", sagt Hamudi lachend. Vor einem drohenden ethnisch-religiösen Konflikt will der ehemalige Geschäftsmann nichts wissen. "Sehen Sie, in meiner Einheit kämpfen drei Christen neben Sunniten. In anderen Bataillonen sind Alawiten, die angeblich alle zu Assad halten, die Kommandeure." Dass die UN-Beobachter nun abgereist sind, stört Hamudi wenig. "So Gott will, werden wir ohne jede Hilfe aus dem Ausland gewinnen, da wir bereit sind, für unsere Freiheit bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen." Diese Zuversicht teilt Abdelkarim Hadsch Jussif nicht. Er ist einer von mittlerweile 30.000 registrierten syrischen Flüchtlingen im türkischen Grenzgebiet rund um Antakya. "Ohne die Nato wird das ganz sicher nichts", sagt er nachdenklich. "Die Rebellen haben militärisch keine Chance gegen die Armee." Und von Gewalt und Krieg halte der 58-jährige Kunstlehrer sowieso nichts. "Friedlich hätte alles weitergehen sollen", sagt er mit einem bestimmenden Ton. "Dann hätte sich das Regime nach einer gewissen Zeit völlig von selbst diskreditiert." So gebe es nur Gewalt und Gegengewalt. Seine Söhne sind nicht zur FSA gegangen und werden es auch nicht, sagt er. Hadsch Jussif stammt aus Janudia, einem kleinen Dorf in der Nähe von Idlib. Mit seiner insgesamt achtköpfigen Familie flüchtete er im Juni letzten Jahres, nachdem sein Ort von Regimesoldaten mit Granaten beschossen worden war. "Sie haben unser Haus und unsere Möbel angezündet", erzählt er noch sichtlich getroffen. Sie fuhren zunächst mit Autos nah an die türkische Grenze, von dort ging es dann zu Fuß weiter: "Mit all dem, was wir noch besaßen, fast drei Stunden lang, bis wir auf die türkische Seite gelangten." Heute sei das nicht mehr möglich. Die syrische Armee habe Minen gelegt und Kontrollen verschärft. "Nur die FSA kennt sichere Wege zurück nach Syrien." Jussif kann sich mit dem Leben im Flüchtlingslager von Yaladaj, 51 Kilometer von Antakya entfernt, nur schwer abfinden. 2500 Menschen sind dort außerhalb des Ortszentrums hinter Gittern, Stacheldraht und Plastikplanen untergebracht. Einige wohnen in Zelten, andere in einer ehemaligen Schule. "Bei dieser Hitze im Zelt, das ist unerträglich", sagt der 58-Jährige. "Das Essen, das wir bekommen, ist ungenießbar", berichtet er weiter. "Und wir werfen es, wie fast alle anderen auch, direkt in den Müll." Nur das Brot sei zu gebrauchen. Zudem gebe es kaum fließend Wasser, und die Verwaltung sowie Mitarbeiter des Roten Halbmonds würden Hilfslieferungen stehlen. "Viele Leute sind so arm, dass sie die Filter der weggeworfenen Zigaretten vom Boden aufheben und weiterrauchen", klagt er. Doch trotz aller Entbehrungen fühlt sich Jussif besser als zuvor: "Ich habe 40 Jahre lang darauf gewartet, dass es mit der Diktatur zu Ende geht. Nun bin ich endlich frei und kann sagen, was ich möchte."

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