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"Die Rebellen verhalten sich wie Kriminelle"

Im Bürgerkriegsland sind Journalisten nicht gern gesehen. Unserem Reporter Alfred Hackensberger gelang die Einreise. Seine erste Reportage kommt aus Aleppo, dem Ruhepol im Auge des Sturms.

Die Bombe war auf dem Gehweg versteckt und explodierte, als das Polizeiauto vorbeifuhr. Die beiden Polizisten im Wagen waren sofort tot.
Das Entsetzen steht Rami noch ins Gesicht geschrieben. "Ich stand daneben und bin wie durch ein Wunder unverletzt. Mein Freund, mit dem ich unterwegs war, ist auf dem Weg ins Krankenhaus."
Die Bombe im Stadtteil Aziza, mitten im Zentrum der zweitgrößten syrischen Stadt Aleppo, markierte den zweiten Anschlag dieser Art in der Stadt, die vom syrischen Bürgerkrieg bisher weitgehend verschont geblieben ist. Beim ersten Attentat im Februar starben 28 Menschen, 235 wurden verletzt.
Aleppo ist eigentlich so etwas wie der Ruhepol in dem Land, das von brutalen Auseinandersetzungen zerrissen ist, die auf beiden Seiten mit unbarmherziger Grausamkeit geführt werden. Das Leben hier läuft normal weiter, alle Geschäfte sind geöffnet, die Märkte täglich voller Menschen.
Ausgebranntes Polizeiauto
© REUTERS Eine Bombe tötete am Dienstag in Aleppo zwei Polizisten
Von Mangelerscheinungen wie in anderen Kriegsgebieten wie Homs, Dera oder Idlib keine Spur. Ob Pfirsiche, Bohnen, Tomaten, Kartoffeln oder Wassermelonen, es gibt alles. Abends sitzen die Menschen gemütlich in Cafés oder Restaurants und rauchen ihre Shisha, die Wasserpfeife.

Bürokratie wie zu DDR-Zeiten

Aleppo ist mit rund 1,7 Millionen Einwohnern noch vor Damaskus die größte Stadt Syriens. Sie liegt im Norden des Landes, knapp 50 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Ausländer müssen beim syrischen Grenzposten viel Geduld aufbringen, Bürokratie und Unverfrorenheit erinnern an DDR-Zeiten.
Koffer und Taschen werden wild durchwühlt, als wäre man ein Staatsfeind. Es dauert länger als fünf Stunden, bis der Grenzsoldat endlich Telefon und Laptop in den Pass einträgt.
Aber dann ruft der Chef des Zolls freundlich: "Herzlich willkommen in Syrien! Nun können Sie fahren, wohin Sie wollen." Eine Offenheit, die überrascht. Andere Journalisten sitzen in Damaskus und sind angewiesen, die Hauptstadt nicht zu verlassen.

Iranische Elitetruppen an der Grenze

Die Fahrt von der Grenze nach Aleppo führt durch felsige Hügellandschaften. Vorbei an Olivenbäumen, Mais und abgeernteten Getreidefeldern. In den Dörfern sitzen Männer vor den Häusern, rauchen Wasserpfeife und trinken Kaffee. Das Kriegsgebiet beginnt erst an den Checkpoints der Freien Syrischen Armee (FSA).
Junge Kerle, nicht älter als 20 Jahre, kontrollieren mit Kalaschnikows in der Hand alle Fahrzeuge. "Wir sind hier in diesem Gebiet die Herren", sagt einer der Rebellen lachend und gibt den Blick auf seine einzigen beiden noch verbliebenen Zähne preis. Im Pass sucht er vergeblich nach einem Einreisestempel aus dem Iran.
Die Islamische Republik unterstützt das Regime von Präsident Baschar al-Assad und hat Elitetruppen der Revolutionären Garden in Syrien stationiert. "Nein, nein mit dem Iran kommt hier niemand durch", sagt er ernst, bevor er mit seinem Gewehr zum Weiterfahren winkt.

"Eigentlich sind hier alle gegen den Präsidenten"

Nach etwa 25 Kilometern ist das von der FSA kontrollierte Gebiet zu Ende. Nun ist es das syrische Militär, das Papiere kontrolliert und Kofferräume durchsucht.
Es sind wieder sehr junge Männer, zum Teil nur halbuniformiert, sichtlich müde. Vor ihren Zelten ist ein kleiner Schützenpanzer eingegraben. Von den Stellungen der FSA trennen die Armeesoldaten zwei Kilometer.
"Diese Leute stehen nur für Assad Wache, weil sie gut bezahlt werden", behauptet ein Mann auf dem überfüllten Gemüsemarkt in Zentrum von Aleppo später. "Eigentlich sind hier alle gegen den Präsidenten, aber wir verhalten uns ruhig, weil wir die Zerstörung unserer Stadt nicht riskieren wollen."

Den Menschen in Aleppo geht es gut

Probleme gäbe es nur auf dem Land, weil die FSA von der Türkei aus ungehindert über die Grenze kommen könne. Dass es in Aleppo bisher keine großen Demonstrationen gegen die syrische Regierung gegeben hat, liegt vielleicht auch daran, dass es den Menschen hier gut geht. Aleppo ist das Industriezentrum Syriens.
Hier werden Textilien, Medikamente, Elektrogeräte und sogar alkoholische Getränke produziert. 50 Prozent aller Industriearbeiter des Landes sind in der Region beschäftigt.
Hinzu kommt eine Altstadt, die von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde und ein Anziehungspunkt für den internationalen Tourismus ist.

Angst, die Stadt zu verlassen

"Ich bin seit eineinhalb Jahren nicht mehr aus Aleppo herausgekommen", sagt ein Taxifahrer. "Alle Einwohner haben Angst, die Stadt zu verlassen, besonders mit dem Auto." Die FSA habe, so heißt es, schon viele Fahrer mit vorgehaltener Waffe gezwungen, ihr Auto zur Verfügung zu stellen.
Einige Eigentümer seien auch spurlos verschwunden. "Aber Assad wird fallen, das ist unausweichlich", sagt der Taxifahrer. Im Prinzip aber sei es ihm egal, wer an der Macht sei. "Die von der FSA sind bestimmt nicht besser als die jetzigen Herrscher."
Gleicher Meinung ist Samir, der gemeinsam mit anderen Lehrern seit zehn Jahren eine kleine Sprachschule unterhält, die nun wegen des Bürgerkrieges vor der Pleite steht.
"Die FSA macht sich keine Freunde, sie verhalten sich wie Kriminelle", sagt der Englischlehrer und stellt seinen Freund John vor, der eine Fabrik für Elektroteile im Industriegebiet Aleppos betreibt.
"Die Rebellen kommen und befehlen uns Unternehmern, am Freitag und Samstag zu schließen, damit es wie ein Streik aussieht." Wer den Anweisungen nicht folge, werde bestraft. "Die beiden Fabriken meiner Nachbarn wurden bereits von der FSA niedergebrannt."

Christen setzen auf Assad als Beschützer

Im Café "Baron" im Zentrum von Aleppo sitzen drei 25 Jahre alte christliche Armenier, die die Europameisterschaft im Fernsehen verfolgen und dabei Wasserpfeife rauchen.
"Wir hoffen, dass unser Präsident gewinnt", erklärt einer von ihnen, der sich als Gero vorstellt. "Assad beschützt uns. Wir haben unsere Religion, unsere Kirchen, Schulen und Gemeinden."
Die drei jungen Männer halten die Berichte der Medien für übertrieben und falsch. "Die syrische Armee würde nie solche Massaker begehen, wie man behauptet", meint Ivecu, der mit Altmetall handelt.
Für ihn und seine Freunde ist die FSA eine Bande von Banditen und Terroristen, wie es die syrische Regierung propagiert. "Wir wissen doch genau, was in Homs passiert ist", ergänzt er mit ernstem Blick. Dort hatte die FSA Christen gewaltsam vertrieben.

Ungewissheit und Furcht vor Islamisten

In den Gesichtern der drei Armenier ist deutlich Angst zu lesen. Es ist die Ungewissheit, die sie plagt. Wie wird der Bürgerkrieg enden? Sie fürchten vor allem radikale Islamisten.
"Wir haben bereits Drohungen im Internet erhalten. Wir sollen verschwinden", erzählt Kevoc, der von Beruf Innenarchitekt ist.
"Ansonsten will man uns den Hals umdrehen." Einige der etwa 50.000 christlichen Armenier Aleppos seien bereits ins Ausland geflüchtet, und viele würden darüber nachdenken, es ebenfalls zu tun.
"Aber wohin sollen wir gehen?" fragt Gero etwas ratlos. "Syrien ist unsere Heimat, hier sind unsere Familien, hier ist unser Leben."

"Nur die Armen bleiben und warten, was passiert"

Nicht weniger nachdenklich ist Vater Joseph. Er ist Priester der griechisch-orthodoxen Kirche, einer Gemeinde, zu der in Aleppo rund 20.000 Menschen gehören.
"Mein Sohn ist nach Venezuela ausgereist, nachdem ihm europäische Länder kein Visum gegeben haben", erzählt er und fügt traurig hinzu: "Mit Frau und kleinem Sohn." Jede Familie in seiner Gemeinde würde sich überlegen, ins Ausland zu flüchten. Und wer es sich leisten kann, tut das auch. "Nur die Armen bleiben und warten, was passiert."
Der 58-jährige Mann Gottes will in seiner Heimat bleiben, obwohl auch er Angst vor den Islamisten hat. "Mein ganzes Leben wohne ich in einer Straße, in der ausschließlich Muslime wohnen. Religion war noch nie ein Problem." Zwei Millionen Christen leben in Syrien. Aber nun könne das friedliche Miteinander der Religionen schnell kippen.

Christen als menschliche Schutzschilde

Für den Geistlichen waren die Vorgänge in Homs, in dem überwiegend Griechisch-Orthodoxe lebten, Auslöser seiner Furcht. "Vor sechs Monaten hat man die Christen dort vertrieben und ihre Häuser angezündet, zehn Menschen getötet."
Nun seien dort nur noch etwa 30 Familien, die man am Ende gehindert habe, die Stadt zu verlassen. "Ein Taktikwechsel", erklärt er. "Nun benutzt man sie als menschliche Schutzschilde."
Die Schuld für die Zerstörung von Homs gibt der 58-Jährige nicht dem Regime. Auch christliche Bewohner von Homs, die ihr Haus verloren haben, beschuldigen die FSA. Einer von ihnen ist Fadi, er will vor den Demonstrationen "Männer mit langen Bärten" beobachtet haben, die Plastiktüten mit Waffen an junge Männer verteilt hätten.

Schüsse aus der Mitte der Demonstranten

"Und als der friedliche Protestmarsch an der Polizeistation vorbeizog, wurden Schüsse aus der Mitte der Demonstranten auf Polizisten abgefeuert."
Vater Joseph verabschiedet sich. Er will heute noch in sein Heimatdorf an der türkischen Grenze fahren, mitten in dem von der FSA besetzten Gebiet.
Er solle, so rieten ihm Freunde, seinen weißen Priesterkragen anlegen, um sich zu schützen. Aber er möchte das nicht: "Wer kann bei 40 Grad schon einen geschlossenen Kragen ertragen."

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