An den Checkpoints der libanesischen Hisbollah-Miliz
stehen plötzlich nur noch Teenager. Alle älteren Kämpfer habe ihren
Posten verlassen, um für Baschar al-Assad zu kämpfen – und gegen Israel.
Von Alfred Hackensberger
Die großen,
breitschultrigen Männer sind von den Checkpoints verschwunden.
Bewaffnete Teenager haben nun die Aufgabe übernommen, Fahrzeuge und
Passagiere an den Zufahrtsstraßen zur Dahieh zu kontrollieren. Sie
sollen weitere Anschläge verhindern. Zwei Autobomben hatten in den
letzten drei Monaten in den schiitischen Wohngebieten im Süden Beiruts
über 20 Menschen getötet und Hunderte verwundet.
Dahieh gilt als
Hochburg der Hisbollah, die wegen ihrer militärischen Unterstützung der
Regimetruppen Präsident Bashar al-Assads im Fadenkreuz der syrischen
Opposition steht. Die europäische Union setzte im Juli den militärischen
Arm der Partei Gottes, die vom Iran finanziell und militärisch
unterstützt wird, auf ihre Liste von Terrororganisationen.
In anderen
schiitischen Städten und Dörfern des Libanons wurden ähnliche
Beobachtungen gemacht. In den letzten fünf Tagen sollen auch dort
Hisbollah-Kämpfer ihre üblichen Posten verlassen haben. Bewohner in
Tyrus, der Hafenstadt am Mittelmeer im Süden des Landes, sprachen von
einer Generalmobilmachung der Miliz. In Baalbek, einer Stadt im
nördlichen Bekaa-Tal, wurde behauptet, selbst Kanoniere seinen
verschwunden. "Sie mussten ihre Handys ausschalten, um sie nicht
aufspüren zu können."
Unterirdische Hisbollah-Tunnelsysteme
Im Süd- und
Nordlibanon werden unterirdische Tunnelsysteme der Hisbollah vermutet –
mit Bunkern, Waffenlagern und mobilen Raketenabschussbasen. Insgesamt
soll Hisbollah zwischen 40.000 und 50.000 Raketen besitzen. Die meisten
davon sind Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 75
Kilometern. Nur ein Teil des Arsenals hat eine längere Reichweite (100
bis 400 km).
Israel und die
USA glauben, Hisbollah habe sogar einige Scud-Raketen. Vermutet wird
auch ein modernes Luftabwehrsystem, mit dem Kampfflugzeuge abgeschossen
werden können.
Hisbollah hat
gedroht, sollte ein US-Militäreinsatz in Syrien das Ziel eines
Regimewechsels haben, würden Vergeltungsschläge gegen Israel ausgeführt.
Obwohl Israel mit Iron Dome ein neues effizientes Raketenabwehrsystem
hat, wäre ein Hisbollah-Angriff ein Desaster. Ihre Raketen können jede
israelische Stadt beschießen.
Hat Assad "die Nerven verloren" – und warum?
Die libanesische
Tageszeitung "al-Akhbar", die gute Beziehungen zur Partei Gottes und
zum syrischen Regime besitzt, meldete: "Der islamische Widerstand hat
alle seine Offiziere und Soldaten aufgefordert, ihre Positionen für den
Ernstfall einzunehmen."
Als Verbündeter
von Assad, der mit der syrischen Armee in Homs, Aleppo und Damaskus
kämpft, ist Hisbollah ein legitimes Ziel der USA. Zumal die Partei
Gottes vom Chemieangriff der Regierungstruppen informiert war. Das geht
aus dem Bericht des Präsidenten des deutschen Bundesnachrichtendienstes
(BND) hervor.
Gerhard
Schindler behauptete, man habe ein Telefonat zwischen einem hochrangigen
Hisbollah-Funktionär und einem Mitglied der iranischen Botschaft in
Beirut abgehört. Darin habe der Mann der libanesischen Miliz den
Giftgaseinsatz des Regimes eingeräumt. Assad seien die Nerven
durchgegangen und habe mit dem Einsatzbefehl einen großen Fehler
begangen.
Das abgehörte
Gespräch könnte ein weiteres, wichtiges Indiz in der Beweiskette gegen
den syrischen Präsidenten und seinen Militärapparat werden. Obwohl nicht
klar ist, warum Assad die "Nerven verloren haben" soll. Seine Truppen
befanden sich in Damaskus gegen die Rebellen auf dem Vormarsch und
hatten Erfolge wie nie zuvor.
Vernichtender Gegenschlag zu erwarten
Vom Libanon aus
will Hisbollah keine Vergeltungsangriffe starten. Man würde dort nicht
seine taktischen und strategischen Raketenrampen benutzen, versicherte
ein Hisbollah-Offizier der kuwaitischen Tageszeitung al-Rai: "Wir
kontrollieren viele Kilometer im Umkreis von Homs und zögern nicht an
einem Angriff teilzunehmen, in dem wir Boden-zu-Boden-Raketen
abschießen."
Für diese
Möglichkeit sprechen Berichte, die syrische Armee habe gemeinsam mit
Hisbollah eine neue Kommandozentrale für einen Raketeneinsatz
eingerichtet. Diese Zentrale soll direkt mit alleine Einheiten von
syrischen Raketenbasen verbunden sein.
In Israel weiß
man um die eigene militärische Stärke. Aber israelische Zeitungen haben
mit Recht besorgt auf die umfangreiche Zahl von Scud-D-Raketen sowie von
Geschossen russischer und chinesischer Bauart mit mehreren hundert
Kilometern Reichweite verwiesen. Sie können jederzeit landesweit in
Israel einschlagen.
Mit Sicherheit
wird ein Angriff aus Syrien auf den jüdischen Staat mit einem
vernichtenden Gegenschlag beantwortet. Für Hisbollah stellt sich die
Frage, ob die israelische Luftwaffe ihre Vergeltung auch auf den Libanon
ausweitet und ob möglicherweise eine neue Bodeninvasion bevorsteht. Die
libanesische Miliz ist abgetaucht und scheint die letzten
Vorbereitungen, wie üblich für alle erdenklichen Szenarios, zu treffen.
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