In der syrischen Hauptstadt atmen viele Menschen nach der
Verschiebung des Militärschlags auf. Doch auch die Armee des Regimes
nutzt die Zeit. Die Enttäuschung der Opposition ist groß. Von Alfred Hackensberger
"Prima, wir haben eine
Schonfrist bekommen", sagt Mohammed, der ein Hotel in der Nähe der
Altstadt von Damaskus besitzt. "Ich dachte, die USA werden sofort
losschlagen, nachdem die UN-Inspektoren am Samstag in den Libanon
ausreisten." Der Hotelier ist erleichtert. "Eine Woche scheint nicht
viel Zeit zu sein, aber bis zum 9. September kann viel passieren."
An diesem Tag will der US-Kongress über einen Militäreinsatz gegen
Syrien entscheiden. "Wir sind in jedem Falle vorbereitet", meint
Mohammed. Er habe wie alle Bewohner der syrischen Hauptstadt Wasser,
Brot und ganz wichtig auch Lebensmittel in Dosen gehortet. Da die
Elektrizität ständig ausfällt, verderbe das Essen im Kühlschrank. "Wenn
die USA angreifen, wird sich die Situation mit Sicherheit
verschlechtern."
"Wir haben uns daran gewöhnt"
Der Militäreinsatz ist jedoch erst einmal vertagt. Die syrischen Rebellen
sind enttäuscht, obwohl ihre Erwartungshaltungen gegenüber den USA und
dem Westen generell minimal sind. "Wir sind daran gewöhnt", sagt
Bataillonsführer Mahmoud während seines Kriegsurlaubs in der türkischen
Auf den Punkt
bringt es Muhammad Scheich, der in Rastan einen Rebellentrupp anführt.
"Sie spielen einfach mit uns", stellte der desertierte Leutnant der
Syrischen Armee verärgert fest. In al-Ghuta, der von einem Chemieangriff
mutmaßlich betroffenen Region, ist die Stimmungslage wenig anders. "Es
fängt doch schon mit dieser verschrobenen Haltung an, keinen
Regimewechsel zu wollen", sagt Abu Younis. Er ist der Leiter eines
Feldlazaretts, in dem Hunderte von Opfern behandelt wurden. Letztendlich
käme das nicht überraschend. "So ist eben Politik", erklärt der
Mediziner. "Wir Menschen interessieren niemand."
Das Regime verlegt sein Militär
Der Sprecher des
Militärrats der Freien Syrischen Armee (FSA) in Damaskus behauptete,
die Verzögerung der ausländischen Intervention bringe dem Regime von
Präsident Baschar al-Assad wichtige
Vorteile. "Waffen und Soldaten werden in Schulen untergebracht", sagte
Musab Abu Katada. "Komplette Geheimdienstabteilungen sind in die
Wohnheime von Universitäten verlegt worden."
Die Syrische
Armee scheint undercover zu gehen. Das Hauptquartier der Armeeführung am
Umayyaden-Platz ist geräumt, ebenso die Kommandantur der Luftwaffe. Das
Gelände der Sicherheitsdienste in Kafr Suseh ist verwaist. "Man kann
eine Stecknadel fallen hören", stellte ein Bewohner des Stadtteils fest.
An der
Mittelmeerküste in Latakia liegen Schiffe der Kriegsmarine neben zivilen
Handelsschiffen, um eine Identifizierung aus der Luft zu vermeiden.
Alle wichtigen Kommandoposten wurden in Schulen oder unterirdischen
Bunkern eingerichtet. Ob all diese Vorsichtsmaßnahmen greifen, wird sich
erst im Ernstfall herausstellen. Sie könnten zumindest Schäden
minimieren.
Der Präsidentenpalast würde nicht ausgelassen
Bisher ist noch
völlig unklar, welche Ziele die USA im Visier haben. Es könnte gut
möglich sein, dass sie den Militärflughafen von Mezzeh bombardieren. Von
dort wurden angeblich die Chemiewaffen
am 21. August abgeschossen. Die Einrichtungen der 4. Division kommen
ebenfalls infrage. Die Elitetruppen sollen den Chemieangriff lanciert
haben.
Den
Präsidentenpalast von Baschar al-Assad wird man mit Sicherheit nicht
auslassen. Ein zumindest teilweise zerstörter Amtssitz Assads wäre ein
Signal mit großer Symbolkraft. Ebenso dürften die Zentralen des
militärischen wie zivilen Geheimdienstes als Ziele nicht fehlen.
Das Regime in
Damaskus gibt sich weiter unbeirrt. In der staatlichen Tageszeitung
"al-Thawra" wurde die Entscheidung von Barack Obama, den Kongress um
eine Abstimmung zu bitten, als Triumph gefeiert. "Ob der Kongress nun
grünes oder rotes Licht gibt, der US-Präsident hat damit einen
historischen amerikanischen Rückzug gestartet."
In der Tat sei
dies etwas Besonderes, sagt Mohammed, der Hotelbesitzer. "Die Amerikaner
fackeln doch normalerweise nicht lange und schlagen zu." Aber seiner
Meinung nach solle sich das Regime nicht zu früh freuen. "Das dicke Ende
kann noch kommen."
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