Mehr als 1000 Tote gab es bei einem chemischen
Angriff im August. Dafür könnte auch die Bundesregierung verantwortlich
sein, sagen Kritiker
Von
Alfred Hackensberger
Familien wurden in
ihren Wohnungen im Schlaf überrascht. Manche starben am Giftgas, als sie
Verwundete aus zerstörten Häusern ziehen wollten. Am 21. August gab es
über 1000 Tote beim Sarin-Angriff auf Vororte von Damaskus in der Region
al-Ghuta. Tragen deutsche Firmen Mitschuld am Tod dieser Menschen?
Sicher ist, dass deutsche
Firmen nach Recherchen der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen
(OPCW) eine große Rolle beim Aufbau des syrischen Giftgas-Programms
gespielt haben. Das Ausmaß geht aus einer Mitteilung der Organisation an
die Bundesregierung hervor, aus der der NDR und die "Süddeutsche
Zeitung" berichten. Auf der Liste würden mehr als 50 Lieferungen
deutscher Firmen aufgezählt, die 1982 bis 1993 an Syrien gegangen sein
sollen.
Dem Dokument
zufolge wurden über ein Jahrzehnt lang Steuerungsanlagen, Pumpen,
Kontrollventile, Gasdetektoren, eine Chemiewaschanlage und 2400 Tonnen
einer Schwefelsäure, die zur Produktion des Giftgases Sarin genutzt
werden kann, nach Syrien verkauft. Auch seien deutsche Projektskizzen
für den Bau von zwei Anlagen für die Produktion von Vorstoffen für den
Nervenkampfstoff Sarin aus den Jahren 1983 und 1984 gefunden worden.
Neben deutschen Unternehmen waren auch Firmen zahlreicher anderer
Staaten wie Russland, Frankreich und China am Aufbau des syrischen Giftgasprogramms beteiligt.
Das Auswärtige
Amt übermittelte die deutsche OPCW-Liste an den Generalbundesanwalt, der
nun prüfe, ob strafrechtliche Ermittlungen gegen Verantwortliche von
Firmen eingeleitet werden könnten. Allerdings gilt bei Verstößen gegen
das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen eine Verjährungsfrist von
zehn Jahren. Zudem sind nach Auffassung der Bundesregierung viele
Lieferungen zu einem Zeitpunkt erfolgt, als es für diese Güter noch
keine Genehmigungspflichten oder sonstigen ausfuhrrechtlichen Kontrollen
gab.
Chemische Waffen
oder chemische Kampfstoffe seien "zu keinem Zeitpunkt" an Syrien
geliefert worden, teilte die Bundesregierung in einer Antwort auf eine
Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion mit. Die Regierung lehnt es dem
Bericht zufolge ab, die Namen der deutschen Lieferanten zu nennen. Es
sei ein "Hohn", dass die Bundesregierung diese Informationen
zurückhalte, erklärte dazu der Bundestagsabgeordnete Jan van Aken von
der Linken. "Wer Giftgasanlagen im Ausland" mit aufbaue, dürfe sich
"nicht in der Anonymität verstecken", zitierte ihn die "Süddeutsche
Zeitung".
Schon im Herbst
letzten Jahres hatte die Bundesregierung zugegeben, dass chemische
Stoffe an Syrien geliefert wurden, die zur Herstellung von Chemiewaffen
benutzt werden konnten.
Insgesamt sollen
es 111 Tonnen an Chemikalien gewesen sein, die zur Produktion von Sarin
verwendet werden können, also jenes Giftes, mit dem in Ghuta Hunderte
umgebracht wurden. Damals drohten die USA
mit Luftschlägen gegen Syrien, die der syrische Diktator Baschar
al-Assad nur abwenden konnte, indem er einer Abgabe seines
C-Waffenarsenals zustimmte. Die Ausfuhr von solchen "Dual Use"-Gütern –
also von Waren, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden
können – wird erst seit Mitte der 90er-Jahre international geregelt und
überwacht. Den deutschen Handel mit solchen Stoffen und Geräten gibt es
jedoch schon wesentlich länger.
In den
80er-Jahren waren deutsche und französische Firmen entscheidend beim Bau
der Giftgasanlagen im Irak und Libyen beteiligt. Die "New York
Times" enthüllte 1989 die Beziehungen der deutschen Imhausen Chemie mit
der Giftgasanlage im libyschen Rabita. Die US-Presse sprach damals von
"Auschwitz in the sand". In den folgenden Jahren wurden von den
deutschen Behörden mehr als 150 Manager angeklagt, weil sie angeblich am
Waffenprogramm des irakischen Diktators Saddam Hussein beteiligt waren.
Der
Gewaltherrscher hatte Tausende von Kurden mit Giftgasangriffen töten
lassen. Das größte Massaker ereignete sich in Halabdscha am 16. März
1988. Damals starben zwischen 3.200 und 5.000 Menschen durch Giftgas aus
Saddams Programm, an dem auch deutsche Firmen mitgewirkt hatten.
Doch etwa die
Hälfte der Verfahren gegen Mitarbeiter deutscher Firmen wurde
eingestellt, nur eine Hand voll wurde zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Alle anderen wurde entweder freigesprochen oder zahlten eine Geldstrafe.
Die Sowjetunion
sei für den Aufbau des syrischen Waffenprogramms verantwortlich
gewesen, sagte kürzlich Gary Crocker, der in den 70er- und 80er-Jahren
beim US-Außenministerium an Geheimdienst- und Forschungsthemen
arbeitete. Die Syrer hätten von ihren sowjetischen Partnern viel über
die Giftgasproduktin gelernt. "Später kamen aber dann die Deutschen
hinzu."
1989 gab auch
der damalige CIA-Chef Wiliam Webster bei einer Anhörung des US-Senats
bereits zu Protokoll: "Westeuropäische Firmen waren entscheidend
behilflich bei der Lieferung von chemischen Ausgangsstoffen und von
Ausrüstung." Als der Geheimdienstchef nach dem Grund der Lieferungen an
Syrien gefragt wurde, antwortete er: "Einige der Firmen kannten nicht
das Endziel ihrer Produkte, andere dagegen schon. Im letzteren Fall kann
man nur Gier als Motiv unterstellen."
Wer genau weiß,
wann, welche Firmen, welche Chemikalien und technischen Teile an Syrien
lieferte, ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Hier
werden die Genehmigungen für die sogenannte Dual-Use-Güter vergeben.
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