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Menschen, die wie Geister aussehen

Im Syrien-Konflikt haben die UN Einsätze von zivilen Helfern und Hilfslieferungen durchgesetzt. Doch für viele Zivilisten kommt Unterstützung zu spät – so wie im Flüchtlingslager Yarmouk. Von Alfred Hackensberger

Menschenströme im Flüchtlingslager Yarmouk. Der Andrang gilt Hilfslieferungen der UN
Foto: AP Menschenströme im Flüchtlingslager Yarmouk. Der Andrang gilt Hilfslieferungen der UN

Sie kamen zu Tausenden, sie standen Schlange und waren glücklich, wenn sie nur ein wenig von den Hilfslieferungen abbekamen. Verängstigte, verzweifelte und ausgemergelte, vor allem aber hungrige Menschen. "Sie sahen wie Geister aus", sagt Filippo Grandi, der Direktor des Hilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA), das Nahrungsmittelpakete in Yarmouk verteilte.
Das palästinensische Flüchtlingslager, nur acht Kilometer vom Zentrum der syrischen Hauptstadt entfernt, ist seit über einem Jahr Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen Rebellen und Regimetruppen. Seit Juni hatte es die syrische Armee eingekesselt und damit von der Außenwelt abgeschnitten.
Im Januar erreichten zum ersten Mal Hilfslieferungen das Camp. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 48 Menschen an den Folgen von Unterernährung und mangelnder medizinischer Behandlung gestorben, so die palästinensische Vereinigung für Menschenrechte. Den ersten Toten hatte es bereits am 2. November gegeben. Es war der sechsjährige Abdelhay Youssef.
Bewohner des Camps, die über die Abwasserleitungen geflohen waren, berichteten von rund 100 Opfern. Mittlerweile konnten 7493 Lebensmittelpakte an die 18.000 noch verbliebenen Bewohner verteilt werden. "Ein Tropfen auf den heißen Stein", geben die Vereinten Nationen zu. Man hätte gerne mehr geliefert, aber die Kampfhandlungen ließen dies selten zu.

Seit einer Woche Zugang für Hilfskräfte im Land

Seit einer Woche gibt es eine einstimmig beschlossene Resolution des UN-Sicherheitsrats. Sie sieht den sofortigen Zugang von humanitärer Hilfe in ganz Syrien vor. "Das ist natürlich ein gutes Werkzeug, mit dem wir jetzt Druck machen können", meint UNRWA-Chef Grandi. "So etwas hatten wir bisher in Syrien nie."
In Yarmouk leben normalerweise rund 150.000 Menschen. Die meisten waren nach der Besetzung des Lagers im Dezember 2012 durch Rebellengruppen geflohen. Milizen der Liwa al-Asifa, aber auch Al-Qaida-Gruppen wie al-Nusra und Islamischer Staat im Irak und der Levante (Isil) waren eingedrungen und hatten militante palästinensische Gruppen auf der Seite Assads vertrieben.
Die syrische Armee begann, das Camp mit Artillerie zu beschießen und aus der Luft zu bombardieren. "Die Zerstörung ist unglaublich", sagt Grandi, der das Flüchtlingslager diese Woche zum ersten Mal betreten konnte. "Es gibt kein einziges Gebäude, das nicht in irgendeiner Form zerstört ist."
Noch mehr geschockt war der 57-Jährige von den Bewohnern. "Diese Leute sind nie rausgekommen, waren eingeschlossen, nicht nur ohne Lebensmittel, Medizin und frisches Wasser, sondern ohne alle lebensnotwendigen Dinge." Grandi habe versucht, mit vielen zu sprechen, aber die meisten brachten kaum ein Wort heraus.

Ausbruch von Krankheiten befürchtet

Die Lage in Yarmouk ist trotz neuer Hilfsgüter immer noch dramatisch. Die Vereinten Nationen befürchten einen Ausbruch von Krankheiten, sollte sich die Situation nicht sehr bald ändern. Es gibt Berichte über Frauen, die im Kindbett sterben. Großfamilien, die sich nur mit Tierfutter am Leben erhalten können. "Alles ist noch völlig chaotisch", stellt Grandi fest. Hilfslieferungen ins Lager zu bringen sei noch immer ein sehr komplexer Prozess. "Man muss mit so vielen unterschiedlichen Gruppen verhandeln."
Yarmouk galt als ein Beispiel für den Hunger als Waffe, den die syrische Armee als neue Strategie einsetzt. Wenn Rebellen trotz wochenlanger oder sogar monatelanger Bombardierung und unablässigen Artilleriebeschusses nicht aufgeben, werden die betroffenen Gebiete umzingelt und ausgehungert.
So vermeidet die syrische Armee Verluste in den eigenen Reihen, die sie bei einer Großoffensive zwangsläufig erleiden würde. Es ist nur eine Frage der Zeit und der Geduld bis man das betreffende Territorium kampflos einnimmt.
Der Hunger als Waffe wurde nicht nur in Yarmouk, sondern auch in einigen Stadtteilen und ländlichen Vororten von Damaskus erfolgreich angewandt. Andere Teile der Hauptstadt wie Duma, Hajar al-Aswad, Yalda, al-Goutha oder Joba werden noch belagert. Die Taktik der Aushungerung sei eine neue Dimension des syrischen Bürgerkrieges, glaubt Joshua Landis vom Zentrum für Studien zum Mittleren Osten der US-Universität Oklahoma. "Nach fast drei Jahren Krieg machen sich Abnutzungserscheinungen bemerkbar."

Hunger als Waffe ist kein Tabu mehr

Beide Konfliktparteien wüssten, dass es keinen schnellen Sieg gebe und der Krieg noch Jahre dauern könne. "Vor ein oder zwei Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, ganze Stadtteile auszuhungern", sagt Landis. "Das wäre eine feige, hinterhältige Tat gewesen. Heute scheint das kein Tabu mehr zu sein."
Die neue UN-Resolution über den freien Zugang humanitärer Hilfe wird die Belagerungen und den Hunger nicht beenden. Aber, wie in Yarmouk, kann sie der Bevölkerung Erleichterung bringen und den sicheren Tod verhindern.

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