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Assad warnt USA vor einem zweiten Vietnam

Syriens Präsident bestreitet Einsatz von Chemiewaffen – UN-Inspektoren beschossen Von
Mit insgesamt sechs Fahrzeugen verließ das Team der Vereinten Nationen am Montagmorgen das Luxushotel "Vier Jahreszeiten" in Damaskus. Nach schwierigen Verhandlungen mit der syrischen Regierung hatten die UN-Experten für chemische Waffen endlich grünes Licht bekommen. Fünf Tage nach dem mutmaßlichen Einsatz von chemischen Kampfstoffen in zwei Vororten der syrischen Hauptstadt kann das internationale Spezialistenteam die grauenhaften Ereignisse untersuchen. "Mehr als 1600 Menschen sind gestorben", behauptete Salim Idris, der Chef der Freien Syrischen Armee (FSA), die seit dem Jahr 2011 das Regime von Präsident Baschar al-Assad bekämpft.
Ärzte ohne Grenzen berichtete am Wochenende von 3600 Patienten, die in ihren Einrichtungen behandelt wurden, 355 von ihnen seien gestorben. Alle Symptome der Opfer deuteten auf einen Einsatz "neurotoxischer Stoffe" hin, also Nervengift, hieß es in der Erklärung der Hilfsorganisation. Vermutungen über die Art der eingesetzten Substanz wurden vermieden. "Wir können wissenschaftlich nichts beweisen noch Aussagen darüber treffen, wer dafür verantwortlich ist." Bekannte tödliche Nervengase scheinen für den Tod der Menschen am vergangenen Mittwoch nicht verantwortlich zu sein. "Das war kein Militärschlag mit Sarin oder BZ (auch Agent15 genannt; d. Red.)", sagt Dan Kaszeta, ein ehemaliger Offizier des chemischen Corps der US-Armee. "Die Symptome der Opfer sind dafür nicht konsistent." In seinen 22 Berufsjahren musste Kaszeta im Notfalltraining mehrfach Versuchstiere "retten", die mit chemischen Kampfstoffen verseucht waren.
Für das UN-Team wird es keine leichte Aufgabe. In die betroffenen Orte Zamalka und Ein Tarma im Osten der Hauptstadt sind es vom Hotel nicht mehr als 15 Kilometer. Aber auf dem Weg dorthin und auch in den Südwesten muss der Konvoi die Frontlinien zwischen Rebellen und Regierungstruppen passieren. Eine Waffenruhe wurde vereinbart, nur ist nicht gewiss, ob sich alle Gruppen daran halten. Am Montag waren bereits zwei Mörser in der Nähe des Hotels der UN-Kommission eingeschlagen. Das Team wurde auf seinem Weg in den südwestlichen Bezirk Muadhamia dann auch mehrfach von Scharfschützen beschossen und musste umkehren. Später konnte der Konvoi weiterfahren und erreichte den Ort, um Proben zu nehmen, bevor er wieder nach Damaskus zurückkehrte. Syrische Staatsmedien machten "Terroristen" für den Beschuss verantwortlich. Das UN-Team will insgesamt fünf Orte besuchen, um Beweise zu sammeln.
Für den britischen Außenminister William Hague kommt die Mission zu spät. Offensichtlich habe das Regime von Präsident Assad etwas zu verbergen. "Viele der Beweise könnten inzwischen durch Artilleriebeschuss zerstört worden sein", sagte Hague. "Die belastenden Stoffe könnten zerfallen sein." Tatsächlich aber sei eine Untersuchung bis zu 14 Tage nach einem Chemieangriff sinnvoll, meint Steven Johnson von der britischen Cranfield-Universität, der auch Expertisen für das britische Verteidigungsministerium erstellt. "Anhand von Blut- und Urinproben sowie Bodentests lassen sich Nachweise auch dann noch erbringen." Für Großbritannien gibt es "kaum Zweifel", dass die syrische Armee chemische Waffen eingesetzt hat. Darüber habe sich Premierminister David Cameron mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten François Hollande verständigt, verlautete aus der Downing Street. "Ein Chemiewaffenangriff dieses Ausmaßes bedarf einer harten Reaktion der internationalen Gemeinschaft", hieß es aus London weiter. Als einzige Option komme, und da ist man sich mit Paris einig, nur ein Militärschlag infrage. Dafür sei nicht unbedingt eine "völlige Einigkeit" des UN-Sicherheitsrats notwendig, meinte Außenminister Hague. "Sonst wäre es ja nicht möglich, auf solche unglaublichen Verbrechen zu antworten." Hague verweist auf die Rolle Russlands im UN-Sicherheitsrat: Moskau ist, neben dem Iran, der stärkste Unterstützer von Präsident Assad und torpediert jeden negativen Beschluss gegen das Regime mit seinem Vetorecht.
Frankreich und Großbritannien stehen in der Syrienfrage in engem Kontakt mit dem Weißen Haus in Washington. Auf einer Pressekonferenz in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur hatte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel erneut bestätigt: "Präsident Barack Obama hat das Verteidigungsministerium beauftragt, einen Krisenplan für alle Eventualitäten vorzubereiten." Natürlich gehöre zu den Optionen ein militärisches Eingreifen, fügte Hagel hinzu. Die US-Marine hat inzwischen ein weiteres, viertes Kriegsschiff, das mit Marschflugkörpern ausgerüstet ist, ins Mittelmeer entsandt. Das Pentagon soll zudem die Liste von Zielen für mögliche Luftangriffe aktualisiert haben, berichteten amerikanische Medien. Einen klaren Zeitplan soll es noch nicht geben. Zuerst muss offenbar geklärt werden: Wie kann man den UN-Sicherheitsrat umgehen, in dem die Entscheidung für einen Militärschlag am Einspruch Russlands scheitern wird? Washington ist auf der Suche nach einem größeren Bündnis.
US-Außenminister Kerry besuchte in den vergangenen Tagen einige der Nachbarländer Syriens, um die Stimmungslage zu sondieren und für einen möglichen Angriff zu werben. In der Türkei lief er offene Türen ein. Das Land ist ein erklärter Gegner des Assad-Regimes. Die türkische Regierung erlaubt den Rebellen, Waffen über ihre Grenzen zu schmuggeln, und lässt radikale Islamisten auf dem Weg nach Syrien passieren. "Wir bevorzugen es stets, mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten", erklärte Außenminister Ahmet Davutoglu in der Tageszeitung "Milliyet". "Aber wenn es keine Entscheidung des UN-Sicherheitsrats gibt, dann muss man eben nach Alternativen suchen." Der 54-jährige Politiker versicherte, 36 oder 37 Länder würden derzeit Alternativen diskutieren. "Sollte aus diesem Prozess eine Koalition entstehen, würde die Türkei mit Sicherheit dazugehören."
Alles scheint auf einen Militäreinsatz in Syrien hinzuweisen – obwohl die Experten der Vereinten Nationen ihre Untersuchungen in der Provinz Damaskus gerade erst aufgenommen haben und die Auswertung ihrer Proben von den mutmaßlichen Orten des Chemiewaffeneinsatzes mehrere Wochen dauern kann. Zudem hat das Team nicht die Aufgabe herauszufinden, wer die mutmaßliche chemische Verseuchung verursacht hat. Einen Nachweis, dass die syrische Armee verantwortlich ist, selbst wenn es der gegenwärtige Erkenntnisstand naheliegt, wird es nicht geben.
Der syrische Präsident Assad hat in einem Interview mit der russischen Zeitung "Iswestija" die Erklärung seines Militäroberkommandos bekräftigt: "Syrien hat keine Chemiewaffen eingesetzt." Es entbehre jeder "vernünftigen Logik", wenn die eigenen Truppen, die nur wenige Kilometer entfernt seien, in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Nach Berichten der amtlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana haben Regierungssoldaten an der Front in Damaskus selbst unter Atemproblemen gelitten. Das Staatsfernsehen veröffentlichte Bilder von Tunneln, in denen chemisches Material und Gasmasken der Rebellen gefunden worden seien. Assad warnte die USA vor einem militärischen Eingreifen in den Konflikt in seinem Land. Amerika drohe ein Scheitern wie in allen bisherigen Kriegen, sagte er in der "Iswestija", und verwies auf Vietnam. Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow warnte den Westen vor einem militärischen Eingreifen: "Ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats wäre es ein schwerer Verstoß gegen internationales Recht."

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