Syriens Präsident bestreitet Einsatz von Chemiewaffen – UN-Inspektoren beschossen Von Alfred Hackensberger
Mit insgesamt sechs
Fahrzeugen verließ das Team der Vereinten Nationen am Montagmorgen das
Luxushotel "Vier Jahreszeiten" in Damaskus. Nach schwierigen
Verhandlungen mit der syrischen Regierung hatten die UN-Experten für
chemische Waffen endlich grünes Licht bekommen. Fünf Tage nach dem
mutmaßlichen Einsatz von chemischen Kampfstoffen in zwei Vororten der
syrischen Hauptstadt kann das internationale Spezialistenteam die
grauenhaften Ereignisse untersuchen. "Mehr als 1600 Menschen sind
gestorben", behauptete Salim Idris, der Chef der Freien Syrischen Armee
(FSA), die seit dem Jahr 2011 das Regime von Präsident Baschar al-Assad
bekämpft.
Ärzte ohne Grenzen
berichtete am Wochenende von 3600 Patienten, die in ihren Einrichtungen
behandelt wurden, 355 von ihnen seien gestorben. Alle Symptome der Opfer
deuteten auf einen Einsatz "neurotoxischer Stoffe" hin, also
Nervengift, hieß es in der Erklärung der Hilfsorganisation. Vermutungen
über die Art der eingesetzten Substanz wurden vermieden. "Wir können
wissenschaftlich nichts beweisen noch Aussagen darüber treffen, wer
dafür verantwortlich ist." Bekannte tödliche Nervengase scheinen für den
Tod der Menschen am vergangenen Mittwoch nicht verantwortlich zu sein.
"Das war kein Militärschlag mit Sarin oder BZ (auch Agent15 genannt; d.
Red.)", sagt Dan Kaszeta, ein ehemaliger Offizier des chemischen Corps
der US-Armee. "Die Symptome der Opfer sind dafür nicht konsistent." In
seinen 22 Berufsjahren musste Kaszeta im Notfalltraining mehrfach
Versuchstiere "retten", die mit chemischen Kampfstoffen verseucht waren.
Für das UN-Team
wird es keine leichte Aufgabe. In die betroffenen Orte Zamalka und Ein
Tarma im Osten der Hauptstadt sind es vom Hotel nicht mehr als 15
Kilometer. Aber auf dem Weg dorthin und auch in den Südwesten muss der
Konvoi die Frontlinien zwischen Rebellen und Regierungstruppen
passieren. Eine Waffenruhe wurde vereinbart, nur ist nicht gewiss, ob
sich alle Gruppen daran halten. Am Montag waren bereits zwei Mörser in
der Nähe des Hotels der UN-Kommission eingeschlagen. Das Team wurde auf
seinem Weg in den südwestlichen Bezirk Muadhamia dann auch mehrfach von
Scharfschützen beschossen und musste umkehren. Später konnte der Konvoi
weiterfahren und erreichte den Ort, um Proben zu nehmen, bevor er wieder
nach Damaskus zurückkehrte. Syrische Staatsmedien machten "Terroristen"
für den Beschuss verantwortlich. Das UN-Team will insgesamt fünf Orte
besuchen, um Beweise zu sammeln.
Für den
britischen Außenminister William Hague kommt die Mission zu spät.
Offensichtlich habe das Regime von Präsident Assad etwas zu verbergen.
"Viele der Beweise könnten inzwischen durch Artilleriebeschuss zerstört
worden sein", sagte Hague. "Die belastenden Stoffe könnten zerfallen
sein." Tatsächlich aber sei eine Untersuchung bis zu 14 Tage nach einem
Chemieangriff sinnvoll, meint Steven Johnson von der britischen
Cranfield-Universität, der auch Expertisen für das britische
Verteidigungsministerium erstellt. "Anhand von Blut- und Urinproben
sowie Bodentests lassen sich Nachweise auch dann noch erbringen." Für
Großbritannien gibt es "kaum Zweifel", dass die syrische Armee chemische
Waffen eingesetzt hat. Darüber habe sich Premierminister David Cameron
mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen
Präsidenten François Hollande verständigt, verlautete aus der Downing
Street. "Ein Chemiewaffenangriff dieses Ausmaßes bedarf einer harten
Reaktion der internationalen Gemeinschaft", hieß es aus London weiter. Als einzige Option komme, und da ist man sich mit Paris
einig, nur ein Militärschlag infrage. Dafür sei nicht unbedingt eine
"völlige Einigkeit" des UN-Sicherheitsrats notwendig, meinte
Außenminister Hague. "Sonst wäre es ja nicht möglich, auf solche
unglaublichen Verbrechen zu antworten." Hague verweist auf die Rolle
Russlands im UN-Sicherheitsrat: Moskau ist, neben dem Iran, der stärkste
Unterstützer von Präsident Assad und torpediert jeden negativen
Beschluss gegen das Regime mit seinem Vetorecht.
Frankreich
und Großbritannien stehen in der Syrienfrage in engem Kontakt mit dem
Weißen Haus in Washington. Auf einer Pressekonferenz in der malaysischen
Hauptstadt Kuala Lumpur hatte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel
erneut bestätigt: "Präsident Barack Obama hat das
Verteidigungsministerium beauftragt, einen Krisenplan für alle
Eventualitäten vorzubereiten." Natürlich gehöre zu den Optionen ein
militärisches Eingreifen, fügte Hagel hinzu. Die US-Marine hat
inzwischen ein weiteres, viertes Kriegsschiff, das mit Marschflugkörpern
ausgerüstet ist, ins Mittelmeer
entsandt. Das Pentagon soll zudem die Liste von Zielen für mögliche
Luftangriffe aktualisiert haben, berichteten amerikanische Medien. Einen
klaren Zeitplan soll es noch nicht geben. Zuerst muss offenbar geklärt
werden: Wie kann man den UN-Sicherheitsrat umgehen, in dem die
Entscheidung für einen Militärschlag am Einspruch Russlands scheitern
wird? Washington ist auf der Suche nach einem größeren Bündnis.
US-Außenminister
Kerry besuchte in den vergangenen Tagen einige der Nachbarländer
Syriens, um die Stimmungslage zu sondieren und für einen möglichen
Angriff zu werben. In der Türkei
lief er offene Türen ein. Das Land ist ein erklärter Gegner des
Assad-Regimes. Die türkische Regierung erlaubt den Rebellen, Waffen über
ihre Grenzen zu schmuggeln, und lässt radikale Islamisten auf dem Weg
nach Syrien passieren. "Wir bevorzugen es stets, mit der internationalen
Gemeinschaft zusammenzuarbeiten", erklärte Außenminister Ahmet
Davutoglu in der Tageszeitung "Milliyet". "Aber wenn es keine
Entscheidung des UN-Sicherheitsrats gibt, dann muss man eben nach
Alternativen suchen." Der 54-jährige Politiker versicherte, 36 oder 37
Länder würden derzeit Alternativen diskutieren. "Sollte aus diesem
Prozess eine Koalition entstehen, würde die Türkei mit Sicherheit
dazugehören."
Alles scheint
auf einen Militäreinsatz in Syrien hinzuweisen – obwohl die Experten der
Vereinten Nationen ihre Untersuchungen in der Provinz Damaskus gerade
erst aufgenommen haben und die Auswertung ihrer Proben von den
mutmaßlichen Orten des Chemiewaffeneinsatzes mehrere Wochen dauern kann.
Zudem hat das Team nicht die Aufgabe herauszufinden, wer die
mutmaßliche chemische Verseuchung verursacht hat. Einen Nachweis, dass
die syrische Armee verantwortlich ist, selbst wenn es der gegenwärtige
Erkenntnisstand naheliegt, wird es nicht geben.
Der syrische
Präsident Assad hat in einem Interview mit der russischen Zeitung
"Iswestija" die Erklärung seines Militäroberkommandos bekräftigt:
"Syrien hat keine Chemiewaffen eingesetzt." Es entbehre jeder
"vernünftigen Logik", wenn die eigenen Truppen, die nur wenige Kilometer
entfernt seien, in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Nach
Berichten der amtlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana haben
Regierungssoldaten an der Front in Damaskus selbst unter Atemproblemen
gelitten. Das Staatsfernsehen veröffentlichte Bilder von Tunneln, in
denen chemisches Material und Gasmasken der Rebellen gefunden worden
seien. Assad warnte die USA
vor einem militärischen Eingreifen in den Konflikt in seinem Land.
Amerika drohe ein Scheitern wie in allen bisherigen Kriegen, sagte er in
der "Iswestija", und verwies auf Vietnam.
Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow warnte den Westen vor
einem militärischen Eingreifen: "Ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats
wäre es ein schwerer Verstoß gegen internationales Recht."
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