Die kurdische Minderheit erklärt den Islamisten den Krieg.
Der Konflikt innerhalb der Anti-Assad-Koalition eskalierte nach dem
Mord an einem kurdischem Politiker und Angriffen auf die Ölquellen. Von Alfred Hackensberger
Sie haben den
Islamisten den offenen Krieg erklärt und zur Generalmobilmachung
aufgerufen. Die Partei der Demokratischen Union (Ypd) in Syrien wendete
sich diese Woche an das kurdische Volk und forderte "jeden, der fähig
ist, eine Waffen zu tragen", sich den "Verteidigungskomitees"
anzuschließen. Die Partei-Milizen sollen vor den "Angriffen der
dschihadistischen bewaffneten Gruppen schützen".
Gemeint sind
damit Dschabhat al-Nusra und der Islamische Staat im Irak und Syrien
(Isis). Beide sind Al-Qaida-Organisationen, wobei al-Nusra sich als
eigenständige, syrische Filiale versteht, während Isis ein Teil des
irakischen Terrornetzwerks ist.
In der
Kriegserklärung der Pyd werden der Syrische Nationalrat und die Führung
der Freien Syrischen Armee (FSA) für diese gefährliche Eskalation
verantwortlich gemacht. "Trotz mehrfacher Appelle, haben diese
Organisationen versagt, eine klare Position einzunehmen." Die
Al-Qaida-Milizen gelten als die schlagkräftigsten und erfolgreichsten
Truppen der Rebellen im Kampf gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad.
Weder der
Nationalrat, noch die Freie Syrische Armee können sich gegen al-Nusra
und Isis stellen. Die Extremisten, die besser bewaffnet und jeder Zeit
bereit sind, als Märtyrer zu sterben, werden an der Front gebraucht. Die
Söldner al-Qaidas haben sich innerhalb der letzten zwei Jahre zu einem
bestimmenden Machtfaktor im syrischen Bürgerkrieg entwickelt.
Es begann mit dem Mord an einem ranghohen Kurden
Zum Aufruf zur
Generalmobilmachung kam es, nachdem ein prominentes Mitglied des
obersten kurdischen Rats ermordet worden war. Der 60-jährige Isa Huso
starb durch eine Autobombe in Kamischli, einem Grenzort zur Türkei im
Norden des Landes. Zwischen Islamisten und den Kurden, die rund 10
Prozent der syrischen Bevölkerung ausmachen, war es in der Vergangenheit
mehrfach zu schweren bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen.
Zuletzt in Ras
al-Ain, ebenfalls ein Grenzort zum türkische Nachbarland. Die kurdischen
Milizen besiegten dort Dschabhat al-Nusra und das nicht zum ersten Mal.
Bereits im vergangenen Jahr erteilten die Verteidigungskomitees den
Islamisten in Aleppo eine empfindliche Niederlage, als sie am Ende des
Ramadans in ein Kurdenviertel der Industriemetropole eindringen wollten.
PKK ist mit dabei
Die Milizen der Pyd werden von Kämpfern der nahestehenden kurdischen Arbeiterpartei (PKK) verstärkt. Die PKK
kämpfte über drei Jahrzehnte lang für einen unabhängigen Kurdenstaat in
der Region, bis ihr Führer Abdullah Öcalan im Mai einen Waffenstillstand mit der Türkei erklärte. Die kurdischen Kämpfer sind erfahren und gut ausgebildet.
In ihren Reihen
kämpfen auch Frauen, was für die Islamisten undenkbar ist. Sie wollen
das weibliche Geschlecht als Mutter im Haus und am Herd sehen. Schon gar
nicht an der Front und das auch noch unverschleiert, wie es die
kurdischen Frauen sind. "Wir sind völlig gleichberechtigt", sagt Rocan,
eine kurdische Kommandeurin. Die 27-Jährige hat im Iran, im Irak und in
der Türkei gekämpft. Im Alter von 14 Jahren trug sie zum ersten Mal eine
Waffe. Heute befehligt sie in Aleppo eine Frauenbrigade mit 100
Kämpferinnen.
Die türkische
PKK sowie ihr syrischer Ableger Pyd sind politisch links und säkular
orientiert. Die Präsenz von radikal-islamistischen Gruppen wurde in den
von Kurden kontrollierten Gebieten während des Bürgerkriegs nie
geduldet. Man versteht die islamistische Vision eines Kalifats auf der
Basis des islamischen Rechts der Scharia als Bedrohung der kulturellen
Identität und Freiheit des kurdischen Volkes.
Es geht auch um Ölfelder
Der Konflikt
zwischen beiden Parteien hat jedoch nicht nur ideologische Gründe. Es
geht auch um die Sicherung von Ressourcen. In den Kurdengebieten im
Nordosten liegen die großen Ölfelder
von Rmeilan und Suweidiah. Bei den gestiegenen Benzinpreisen sichern
sie Einkünfte in Millionenhöhe. Damit kann man die eigene Bevölkerung
unterstützen, aber natürlich ebenso Waffen und Munition kaufen.
Islamistische Gruppen versuchten mehrfach, diese Ölfelder einzunehmen.
Daran beteiligt
waren nicht nur Dschabhat al-Nusra und Isis, sondern auch Ahrar
al-Scham, die wohl größte radikal-islamistische Organisation in Syrien.
Die Freien Männer Syriens gehören nicht zu al-Qaida, wollen aber
ebenfalls die Herrschaft eines Emirs in einem Kalifat.
Dschabhat
al-Nusra und Isis haben bereits Ölfelder in der Nähe der Stadt Deir Zor
im Osten Syriens besetzt. Sollten sie auch noch die kurdischen Ölquellen
erobern, würden sie einen beträchtlichen Anteil des gesamten
Benzinmarktes in Syrien kontrollieren.
Die Islamisten
mögen ideologisch wirr und fern jeder Realität erscheinen, was aber die
Kriegs-Ökonomie betrifft, sind sie clever. In Aleppo besetzten sie
reihenweise Fabriken. Wenn Unternehmen nicht rentabel gemacht werden
konnten, verkaufte man den Maschinenpark in die Türkei.
Der Brotmangel dient nur als Vorwand
Als in Aleppo
Brotmangel herrschte, übernahm Dschabhat al-Nusra die Organisation der
Bäckereien. Die Menschen bekamen wieder Brot, aber dafür kontrollierten
sie die Getreideernte und die Produktion von Mehl. "Sie sind sehr gute
Kämpfer", sagt Abu Ali, ein FSA-Kommandant
in Aleppo. "Aber sie bestehlen und plündern das syrische Volk nach
Strich und Faden. Sie wollen sich ökonomisch unabhängig machen und dabei
ist ihnen jedes Mittel Recht."
Andere Gruppen,
die aus ihrer Ablehnung der Islamisten keinen Hehl machten,
verschwanden von einem Tag auf den anderen. Sie wurden der Korruption
beschuldigt, ihre Führer verhaftet und die Waffen beschlagnahmt.
"Nachdem wir Assad besiegt haben, müssen wir diese Islamisten
bekämpfen", erklärt Abu Ali nachdenklich, aber bestimmt. "Da bleibt uns
keine Wahl, wenn wir Demokratie wollen."
Die Kurden
haben diesen Kampf jetzt schon aufgenommen. Es ist der erste, erklärte
Krieg unter den Rebellen – die erste Front entlang ethnischer Linien.
Gleichzeitig hat die Pyd hat eine autonome Verwaltung in den von ihr
kontrollierten Gebieten angekündigt.
Die Türkei
wollte ein staatsähnliches Gebilde der Kurden an ihrer Südgrenze nie
tolerieren. Trotzdem wurde Saleh Muslim, der Führer der Pyd, für
zweitägige Gespräche nach Istanbul eingeladen. Der Besuch zeigt, wie
schnell aus Gegnern Freunde werden können, wenn es plötzlich einen
großen gemeinsamen Feind gibt.
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