Direkt zum Hauptbereich

Vor dem Luftschlag kommt der Kampf um die Wahrheit

Während westliche Streitkräfte Bombardements in Syrien vorbereiten, tobt der Streit um die Deutung des Chemiewaffeneinsatzes. Aber was können Luftangriffe ausrichten? Von

Bau und Einsatz von Chemiewaffen können dem Assad-Regime bislang nicht nachgewiesen werden
Foto: Infografik Die Welt Bau und Einsatz von Chemiewaffen können dem Assad-Regime bislang nicht nachgewiesen werden
Die Vereinigten Staaten bereiten einen auf wenige Tage begrenzten Militärschlag gegen das syrische Regime vor. Laut US-Medien könnte der Angriff schon am Donnerstag erfolgen. Noch hat Präsident Barack Obama die endgültige Entscheidung nicht getroffen, war am Dienstagnachmittag zu hören; in der amerikanischen Hauptstadt heißt es aber, nur ein dramatisches Einlenken des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad oder Russlands könne den Angriff noch verhindern. Der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, sagte am Abend:"Das syrische Regime ist für den Einsatz von Chemiewaffen am 21. August in der Nähe von Damaskus verantwortlich."
Der Einsatz von Marschflugkörpern, die von US-Kriegsschiffen im Mittelmeer abzufeuern wären, und möglicherweise von Langstreckenbombern, soll ausdrücklich eine Strafaktion für den Giftgasangriff und die Verletzung "internationaler Normen" sein. Das Weiße Haus legt Wert darauf, dass ein Eingreifen der USA keine Parteinahme im syrischen Bürgerkrieg bedeute. Ob diese Unterscheidung nach den Maßstäben des Internationalen Recht Bestand hätte, ist unklar.
Eine vollkommen zweifelsfreie Rechtfertigung eines Militäreinsatzes in Syrien wäre durch ein Mandat des UN-Sicherheitsrats gegeben. Aber so einen Beschluss wird nicht kommen. Russland und China, die beiden verbündeten Syriens, blockieren jede Entscheidung gegen Assad und sein Regime. "Wenn es keine Entscheidung des Sicherheitsrats gibt, dann muss man eben nach Alternativen suchen", sagte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu am Wochenende. "36 oder 37 Länder diskutieren derzeit einen Einsatz", so Davutoglu.

Kerrys emotionaler Auftritt

Doch selbst, wenn die endgültige Entscheidung im Weißen Haus noch nicht gefallen ist – die Lufteinsätze in Kooperation mit Großbritannien und Frankreich werden bereits intensiv vorbereitet. Auf dem britischen Stützpunkt auf Zypern soll eine ungewöhnlich große Anzahl von Kampfflugzeugen gesichtet worden sein.
US-Außenminister John Kerry ist nicht als Hitzkopf bekannt, eher als besonders cool. Wenn er den Giftgaseinsatz in Syrien als "moralische Obszönität" und "Schock für das Gewissen der Welt" brandmarkt, dann beschreibt er damit auch die politische Grundlage, auf der Washington handeln dürfte: Die Notwendigkeit einer Strafe für den Bruch internationaler Normen. Eindringlich berichtete der Vater zweier Töchter von Familien, die im Schlaf starben. In Kerrys Stimme war so etwas wie echte Empörung zu spüren, nicht nur professioneller Zorn.
Allem Anschein nach verfügt die US-Regierung – ebenso wie angeblich Israel – über noch mehr Beweise, die sie mit Alliierten teilt, die sie aber nicht veröffentlicht. Dennoch will das Weiße Haus angeblich noch den Bericht der Geheimdienste zum Giftgaseinsatz abwarten.
Ein Angriff scheint trotz allem nur eine Frage der Zeit zu sein. Die Inspektoren der UN haben mindestens noch eine Woche in Syrien zu tun. Sie müssen zuerst Proben an den fünf Orten der mutmaßlichen chemischen Angriffe in der Region Ghouta bei Damaskus abnehmen. Danach käme die Untersuchung drei weiterer Fälle, die der ursprüngliche Anlass ihrer Mission waren.

Chemie-Spurensuche live im Netz

Wie schwierig und zeitaufwendig diese Aufgabe ist, zeigte sich bei der ersten Fahrt der Inspektoren nach Muadamiha, eines der angeblich mit Chemiewaffen beschossenen Gebiete. 15 Minuten ist man normalerweise vom Zentrum der Hauptstadt dorthin unterwegs. Der UN-Konvoi wurde von Heckenschützen mehrfach beschossen, das 12-köpfige Team traf schließlich mit vierstündiger Verspätung am Zielort ein.
"Statt der geplanten sechs Stunden blieben sie nur 90 Minuten", sagt Dr. Abu Akram, der in Muadamiha eine improvisierte Klinik leitet. "Sie haben mit 20 Opfern gesprochen und die Gespräche auf Video aufgenommen. Natürlich wurden auch Boden-, Blut-, Urin- und Haarproben genommen." Zudem hätten die Inspektoren Tiere untersucht und sogar ein Huhn mitgenommen. "Die Reste der chemischen Rakete wollten sie aber nicht", berichtete Dr. Akram. "Anscheinend durften sie sie nicht mitnehmen."
Die Inspektoren konnte nur eineinhalb Stunden bleiben, weil ihnen die syrische Armee angeblich mitteilte, sie könnten nicht länger für Sicherheit garantieren. Den Aufenthalt des UN-Teams konnte man live im Internet verfolgen. Der Arzt aus Muadamiha gab an, am Tag des Angriffs vom 21. August mehr als 2000 Opfer behandelt zu haben. 500 seien in einem kritischen Zustand gewesen, 80 seiner Patienten seien gestorben.

Assads PR-Profis schlagen zurück

Die Propagandamaschine des Regimes in Damaskus tut derzeit alles, um den Verdacht von sich abzulenken. Das Staatsfernsehen zeigte Bilder von Tunneln, in denen die Rebellen Chemikalien für Kampfstoffe gelagert hätten. Libanesische Tageszeitungen meldeten, dass vier Kämpfer der schiitischen Hisbollah, die auf Seiten der syrischen Armee kämpft, mit Vergiftungen aus diesen Tunnels in einem Beiruter Krankenhaus behandelt würden.
Die UN-Untersuchungskommission könnte mit ihrer Mission Aufklärung schaffen. Selbst wenn sie keine handfesten Beweise findet, könnte sie weitere belastende Indizien liefern. Die Auswertung ihrer Untersuchungen dürfte aber noch Wochen dauern. Ob die USA, Großbritannien oder auch Frankreich solange warten wollen, ist fraglich. Man will möglichst bald Stärke beweisen und dem Assad-Regime handfeste Grenzen aufzeigen.
Aber welche Optionen gibt es für einen Militärschlag gegen Syrien tatsächlich? Stellungen der syrischen Armee angreifen, ihre Panzer, Artillerie und die Luftwaffe ausschalten? In einer Nacht Hunderte von Zielen angreifen, wie einst in Libyen? Die Verbündeten Syriens, allen voran Russland, der Iran und China, haben bereits vor "katastrophalen Folgen" für die Region gewarnt.
"Wer versucht, ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrates wieder einmal mit vorgeschobenen Gründen eine Militärintervention zu rechtfertigen", hieß es in einer Verlautbarung des russischen Außenministeriums, "der erhöht nur das Leiden in Syrien und anderswo".

Mehrheit der Deutschen gegen Militärschlag

Mehr als zwei Drittel der Deutschen lehnen einen internationalen Militärschlag gegen Syrien ab. In einer Umfrage für das Magazin "Stern" sprachen sich 69 Prozent der Befragten dagegen aus. Nur 23 Prozent waren dafür.
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück warnt vor einer schnellen Interervention. "Wir sollten uns nicht vorschnell eine militärische Logik zu eigen machen", sagte Steinbrück in einem Interview mit der "Stuttgarter Zeitung". Zwar forderte er im Falle eines Giftgasangriffs Konsequenzen, allerdings sei die Frage nach dem Ziel eines Militäreinsatzes noch unbeantwortet. Die Situation könne schnell eskalieren. Steinbrück will erst die Ergebnisse der UN-Inspektoren abwarten. "Als Erstes sollte der Versuch unternommen werden, mit Russland und China den politischen Druck auf Syrien zu erhöhen", sagte er der Zeitung. "Vielleicht ergibt sich durch den Chemiewaffeneinsatz auch für Moskau eine neue Lage."
Ganz vom Tisch nehmen will er die Option einer Militärintervention aber nicht. Die Völkergemeinschaft könne "einen solchen Giftgasangriff nicht stillschweigend hinnehmen.". Komme es zu einer Intervention in Syrien, würde Steinbrück eine Mandatierung durch die Vereinten Nationen anstreben. "Wenn der Sicherheitsrat ein solches Mandat nicht erteilt, weil China und Russland ihr Veto einlegen, ist zu beraten, ob es eine Nato-Position gibt."
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Montag mitgeteilt, dass ein eventueller Giftgaseinsatz geahndet werden müsse. "Es handelt sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um einen Giftgas-Angriff. Er darf nicht folgenlos bleiben", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Zu einem möglichen militärischen Eingreifen des Westens und einer deutschen Beteiligung daran äußerte er sich aber nicht näher.
Seibert sagte weiter: "Wir wollen alles, was wir können, dazu beitragen, damit es eine politische Lösung gibt." Er erklärte zugleich: "An diesem Ort ist ein entsetzliches Verbrechen an Männern, Frauen und Kindern verübt worden." Die Chemiewaffenkonvention verlange, dass es darauf eine sehr deutliche Antwort gebe. Die UN-Inspektoren sollten allerletzte Gewissheit schaffen.

Was kommt nach dem Angriff?

Einen vernichtenden Angriff westlicher Länder mit Hunderten von Marschflugkörpern auf die Truppen des Regimes werden die syrischen Verbündeten sicherlich nicht einfach hinnehmen. Die Hisbollah im Libanon, ein verlängerter Arm des Iran, hat angekündigt, jeden Einsatz von US-Raketen in Syrien zu rächen.
Ein nicht unrealistisches Szenario wären Angriffe der libanesischen Miliz aus Israel. Die Miliz soll über ein Raketenarsenal verfügen, mit dem sie Tel Aviv und jeden anderen Ort im "zionistischen Staat" erreichen kann. Die Möglichkeit eines Angriffes auf Israel sieht auch der regimetreue Wissenschaftler Bassam Abu Abdullah von der Universität in Damaskus: "Israel ist der Repräsentant der USA in der Region und kann für die Aktionen seines großen Verbündeten verantwortlich gemacht werden."
Obama und seine Sicherheitsberater werden die Ziele eines Angriffs genau abwägen, um eine Eskalation zu vermeiden. Das Militär Assads darf auch nicht entscheiden geschwächt werden, denn ein plötzlicher und überwältigender Sieg der Rebellen würde neue Risiken mit sich bringen. Die al-Qaida-nahen Islamisten haben im Laufe des Jahres die Oberhand unter den Rebellen gewonnen.
Sie sind berüchtigt für Folter, Exekutionen und ihren Wunsch, alle nicht-sunnitischen Minderheiten in Syrien auszulöschen. Sollten diese Gruppen die Mittelmeerküste mit den Städten Latakia und Tartus erobern, wäre ein Blutbad mit Tausenden von Toten unausweichlich. Dort leben überwiegend Alawiten, eine schiitische Glaubensrichtung des Islam, zu der auch Präsident Assad gehört.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Geschützt, verdrängt, geduldet

Jüdisches Leben in islamischen Ländern – eine gefährdete Tradition Der durch den Nahostkonflikt genährte Antizionismus in der arabischen Welt lässt beinahe vergessen, dass auch in muslimischen Ländern jüdische Gemeinschaften leben. Allerdings hat die Abwanderung aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund von politischem Druck fast überall zu einem starken Rückgang der jüdischen Bevölkerung geführt. Im jüdischen Kasino von Tanger scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Gut gekleidete Damen und Herren sitzen an mit grünem Filz belegten Tischen und spielen Karten. Mehrere Kronleuchter geben dem grossen Saal eine exklusive Atmosphäre. Wem nicht nach Kartenspiel zumute ist, der sitzt an der Bar und lässt sich einen Apéritif oder auch nur ein Bier servieren. Eine Abendgesellschaft im Klub, wie sie vo...

Christoph Luxenberg - Interview/ English

The Virgins and the Grapes: the Christian Origins of the Koran A German scholar of ancient languages takes a new look at the sacred book of Islam. He maintains that it was created by Syro-Aramaic speaking Christians, in order to evangelize the Arabs. And he translates it in a new way by Sandro Magister That Aramaic was the lingua franca of a vast area of the ancient Middle East is a notion that is by now amply noted by a vast public, thanks to Mel Gibson’s film “The Passion of the Christ,” which everyone watches in that language. But that Syro-Aramaic was also the root of the Koran, and of the Koran of a primitive Christian system, is a more specialized notion, an almost clandestine one. And it’s more than a little dangerous. The author ...

Der schwarze Block von Kurdistan

US-Präsident Donald Trump hat die Kurden im Stich gelassen. Jetzt fürchten sie, dass ein Angriff aus der Türkei kurz bevorsteht. Sie trainieren in Camps für den Ernstfall – und hoffen auf die Hilfe linksradikaler Utopisten aus Europa. Von  Alfred Hackensberger S o sieht also die Hoffnung der Kurden in  Nordsyrien  aus. In einem Hof, der von einer Mauer umgeben ist, spielen ein Franzose und drei Dänen mit kleinen Hunden. „Eine der wenigen Abwechslungen“, sagt ein junger Mann, er kommt aus Paris. In Frankreich war er in anarchistischen Zirkeln aktiv. Auch die jungen Leute aus Dänemark sind Anarchisten. Ihre Mitstreiter aus der Türkei sind wiederum Marxisten. Ihre Namen geben sie nicht preis. Fotografieren lassen sie sich nur vermummt, sie befürchten rechtliche Konsequenzen in ihren Heimatländern. Die Internationale Brigade ist ein Sammelbecken von Linksidealisten, die alle auf ihre Weise von einem sozialistischen Paradies träumen. Und das liegt für sie im Norden Syri...