Ausländische Dschihadisten dominieren den syrischen
Bürgerkrieg. Unter ihnen ist auch ein ehemaliger Berliner Musiker Von Alfred Hackensberger
Sie kamen am frühen
Abend: Acht maskierte Männer, ganz in Schwarz, im Stil von Dschihadisten
gekleidet und schwer bewaffnet. Sie schlugen gegen die Tür,
entsicherten ihre Kalaschnikows und luden sie durch. Die beiden
Leibwächter des Journalisten hatten keine Chance. Der spanische Reporter
wurde von den Heiligen Kriegern des Islamischen Staates im Irak und der
Levante (Isil) in ihr Gefängnis verschleppt. Dort saß er in einer
winzigen Zelle, die Wände mit Blut besudelt, und hörte Tag und Nacht die
Schmerzensschreie anderer Gefangener, die gefoltert wurden. Dreimal
knallten Schüsse, die den Klagelauten ein abruptes Ende bereiteten. "Ich
weiß nicht, warum, aber nach acht Tagen wurde ich freigelassen", sagte
der 42-jährige Spanier. "Es war wie ein Wunder."
Allein im letzten Monat
verschwanden mindestens acht Pressevertreter. Die al-Qaida nahestehenden
Gruppen Isil und Dschabhat al-Nusra scheinen systematisch gegen all
jene vorzugehen, die ihnen negative Berichtserstattung bringen könnten.
Die Gewaltwelle gegen Journalisten ist nur ein Symptom des wachsenden
Einflusses radikaler Islamisten in Syrien. "Niemand kann die Extremisten
mehr stoppen", sagt ein Aktivist aus Aleppo. "Sie können machen, was
sie wollen. Sie übernehmen jetzt die Macht." Seinen Namen will der junge
Mann aus Angst vor Racheakten nicht nennen. "Dann erschießen sie mich
sofort." Dass sie so stark geworden sind, liegt unter anderem an dem
regen Zustrom ausländischer Extremisten – auch aus Europa, auch aus Deutschland.
Ein neues Video
im Internet zeigt Denis Cuspert in Syrien in Kampfmontur an einem
Wasserfall. Der 37-jährige Berliner, der früher als Gangsta-Rapper
unter dem Namen Deso Dogg bekannt zu werden versuchte, mutierte zum
radikalen Salafisten und wird in Deutschland seit Juni 2012 per
Haftbefehl gesucht. Nachdem er sich nach Ägypten
abgesetzt hatte, soll er nun nach Syrien gereist sein. Mit ihm kämpfen
etwa 50 weitere Deutsche aufseiten der Extremisten. "Strengt euch an für
das Paradies", singt der Sohn eines Ghanaers und einer Deutschen in dem
kurzen Video, "es ist Pflicht für uns, in die Schlacht zu ziehen!" Der
Clip scheint ein Ausschnitt aus einer längeren Dokumentation über
Cuspert zu sein. Digitale Werbung für das weitere Wachstum der
Islamisten.
Die
Befürchtungen in vielen westlichen Ländern haben sich bestätigt: Syrien
ist zu einer Hochburg al-Qaidas und ähnlich extremistisch ausgerichteter
Gruppen geworden. Im Norden und Osten des Landes sind sie die
bestimmenden Kräfte. Sie haben die besten Waffen und das meiste Geld.
Ihre Kämpfer sind bereit, als Märtyrer zu sterben, und gelten als
Elitetruppen unter den Rebellen, die seit 2011 das Regime von Präsident
Baschar al-Assad stürzen wollen.
Drei große
Gruppen vertreten die Ideologie jenes Terrornetzwerks, das einst Osama
Bin Laden in Afghanistan ins Leben rief: Dschabhat al-Nusra wurde im
Auftrag von al-Qaida im Januar 2012 gegründet. Aus einigen Hundert
Kämpfern sind mittlerweile 8000 geworden. Sie erkennen Aiman
al-Sawahiri, den Al-Qaida-Chef in Pakistan, als obersten Emir an. Isil
dagegen folgt Abu Bakr al-Bagdadi, dem Terrorführer aus dem Irak. Das
US-Außenministerium meldete im August, dass Bagdadi sein Hauptquartier
aus dem Nachbarland nach Syrien verlegt habe. In den Reihen von Isil
befinden sich auch Dschihadisten aus westlichen Ländern. Neben
Franzosen, Briten und Australiern auch einige Deutsche.
Deutsche
Sicherheitsbehörden beobachten mit Sorge eine Zunahme der Ausreisen in
das Konfliktgebiet. Hochideologisierte Islamisten die mit dem konkreten
Ziel des Dschihad aus Deutschland nach Syrien reisten, seien am
gefährlichsten, aber sie seien die Ausnahme. Vor allem befürchten die
deutschen Behörden, dass junge Männer mit ursprünglich nur vagen
islamistischen Ansichten von ihrer Syrien-Reise als radikalisierte
Terroristen zurückkehren. "Bei vielen derjenigen, die nach Syrien
reisen, ist zunächst gar nicht klar, wie ernst sie es mit dem Kämpfen
meinen", sagte ein Ermittler der "Welt". Der Konflikt an sich biete
Potenzial für Radikalisierung. So mancher Kämpfer entwickle sich erst
durch die Kriegserfahrung zu einem Terroristen warnen
Nachrichtendienstler.
Die Gruppe
Dschaisch al-Muhadschirin wa al-Ansar, die dritte einflussreiche
Dschihadisten-Fraktion in Syrien, setzt sich ausnahmslos aus Ausländern
zusammen und wird von Abi Omar al-Tschetschen geführt, einem ehemaligen
Kämpfer gegen die russische Armee in Tschetschenien. Im Hauptquartier
der Ausländertruppe am syrischen Grenzübergang Bab al-Hauwa kann man
Tunesier, Marokkaner, Libyer, Saudis, Iraker, Tschetschenen und einige
wenige Europäer treffen. Insgesamt sollen zwischen 10.000 und 17.000
Ausländer in den Heiligen Krieg in Syrien gezogen sein. Die
al-Qaida-nahen Gruppen arbeiten eng mit Ahrar al-Scham zusammen. Die
"freien Männer Syriens" wollen ebenfalls ein Kalifat auf Basis der
Scharia, des islamischen Rechts. Im Gegensatz zu anderen Gruppen haben
sie keine Intention, den Heiligen Krieg über die Grenzen ihres Landes
hinauszutragen. Doch ihr Gesellschaftsideal hat nichts mit Demokratie
und Menschenrechten zu tun.
Die als moderat
geltende Freie Syrische Armee (FSA) will gegen die Islamisten bisher
nicht vorgehen. Und das, obwohl Isil einige FSA-Kommandeure ermordete
und ihnen wie "Ungläubigen" den Kopf abschnitt. Die Einzigen, die es
wagen, sich gegen die Islamisten zu stellen, sind die Milizen der
kurdischen Minderheit in Syrien. Sie haben Isil und Dschabhat al-Nursa
aus ihren Gebieten in Grenznähe zur Türkei
gewaltsam vertrieben. "Wir müssen zuerst Assad stürzen", erklärte ein
FSA-Kommandant in Aleppo. "Danach werfen wir al-Qaida aus unserem Land."
Die Frage ist nur, ob es dafür nicht irgendwann zu spät ist.
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