"Bestimmte Namen und Orte kann ich Ihnen
nicht nennen, sonst verliere ich meinen Kopf", erklärt Alah al-Fakhri
(Name geändert) vor Beginn des Gesprächs. Dabei fährt er mit der Hand
quer über seine Kehle. "Sie wissen doch, diese Leute verstehen keinen
Spaß." Der 43-Jährige hat in Syrien auf Seiten der al-Qaida-nahen Gruppe
Dschabhat al-Nusra (JAN) gekämpft. Er ist der erste ausländische
Kämpfer, der darüber bereitwillig erzählen will – und das ohne die
übliche Dschihad-Propaganda von der göttlichen Scharia, dem
Märtyrer-Paradies oder der Errichtung eines glorreichen Kalifats wie vor
1400 Jahren.
Das Treffen mit al-Fakhri
findet in einem Dorf knapp eine Autostunde von Bengasi entfernt statt.
Es ist kein Zufall, dass er aus Libyen in den syrischen Bürgerkrieg zog.
Nach dem Ende des Regimes von Muammar al-Gaddafi ist Libyen zur
Terrordrehscheibe geworden. Von hier werden Kämpfer und Waffen nach
Syrien geschleust. Und seit Libyen in von Milizen beherrschte
Einzelteile zerfallen ist, wird es von Terroristen als Rückzugsraum
benutzt. Und für Konferenzen, auf denen die Terrorfürsten ihre Strategie
in der Region abstimmen.
Al-Fakhri stammt aus der
Hafenstadt im Osten Libyens, in der am 15. Februar 2011 die Revolution
gegen Gaddafi begann. "Ich war vom ersten Tag an dabei und habe bis zum
Ende der Revolution an der Front gekämpft." Er wisse, welche Opfer nötig
sind, um seine Freiheit zu erkämpfen. Deshalb habe er sich
entschlossen, dem syrischen Volk zu helfen. Aus eigener Kraft schien es
nicht mehr weiterzukommen. "Vom 2. Februar bis zum 10. März war ich in
Aleppo, hatte aber dann genug", gesteht al-Fakhri. Es sei alles nicht so
gewesen, wie er sich das vorgestellt hatte. "Diese Leute sind schlimmer
als der syrische Präsident Baschar al-Assad."
Der Libyer kämpfte mit Ansar
al-Allah, einer Gruppe von rund 100 Männern, von denen gut die Hälfte
extreme Dschihadisten waren. Man durfte sich nicht rasieren. Selbst ein
Schnauzbart war verboten, denn Prophet Mohammed soll Vollbart getragen
haben. Verboten waren auch Fernsehen, Radio und jede Form von Musik.
Handys wurden abgenommen. Rauchen war ebenfalls untersagt. "Für mich das
schwierigste Problem", meint al-Fakhri lachend und zündet sich eine
Zigarette im geräumigen Salon seines Hauses an. Ansar al-Allah kämpfte
unter der Leitung von JAN am internationalen Flughafen von Aleppo und in
den östlichen Dörfern in der Umgebung der nordsyrischen
Industriemetropole. "Manchmal bekämpften wir auch Einheiten der Freien
Syrischen Armee, die von unseren Führern als Kuffer (Ungläubige)
bezeichnet wurden, weil sie vom Westen infiltriert seien und Demokratie
wollten." In den vier Wochen, in denen er da war, habe es insgesamt
sechs "Märtyrer", also Gefallene, gegeben. "Relativ wenig", hält der
erfahrene Revolutionär fest. Als Ausrüstung hatte er in Aleppo eine
Kalaschnikow und neue russische Handgranaten erhalten.
Zwei Scheichs kamen einmal pro
Woche, um die Gruppe zu kontrollierten, Einsatzbefehle zu geben, den
Bedarf an Waffen und Proviant aufzunehmen. Die Namen der beiden
Führungsfiguren will al-Fakhri nicht preisgeben. Er sagt nur so viel:
"Es waren ein Syrer und ein Ägypter, die noch weitere Gruppen unter
ihrem Befehl hatten." Von syrischen Rebelleneinheiten sei der Libyer
gewarnt worden: "Die Leute deiner Truppe sind äußerst gefährlich und
schlachten rücksichtslos Menschen ab." Der Familienvater von fünf
Kindern will nie derartige Untaten beobachtet haben. Er kenne das nur
aus Erzählungen. Man glaubt es ihm kaum. Sein Gesicht versteinert
buchstäblich bei diesem Thema. Zu groß sind zudem seine Enttäuschung und
die Ablehnung der Dschihadisten.
"Sie kämpfen nicht für die
Freiheit des syrischen Volkes", schimpft al-Fakhri aufgebracht. "Sie
kämpfen nur für ihre eigene Macht, für einen islamischen Staat in allen
arabischen Ländern. Wer gegen dieses Projekt ist, ob Muslim oder Christ,
ist ein Ungläubiger, und sein Todesurteil ist besiegelt." Und dann
platzt es aus ihm heraus: Es sei erschreckend gewesen, mit welcher
Bereitschaft die Dschihadisten Menschen hinschlachteten. "Das hat mit
Islam nichts zu tun", stellt er entschieden fest und sagt erneut: "Sie
sind schlimmer als Assad."
Bezahlt und organisiert wurde
al-Fakhris Syrien-Reise von der libyschen Ansar al-Sharia. Das ist eine
radikal-islamistische Organisation, die über eine der mächtigsten
Milizen in Ostlibyen verfügt. Die "Parteigänger des islamischen Rechts"
sollen für den Angriff auf das US-Konsulat im September 2012
verantwortlich sein. Vier Menschen, darunter Botschafter Christopher
Stevens, kamen ums Leben. Ansar al-Scharia unterhalten in den libyschen
Städten Sirte, Bengasi und Derna Militärbasen, Waffenlager und Camps, in
denen Kämpfer trainiert werden.
"Ansar al-Sharia ist ein
relativ neues Phänomen", erklärt Alaya Allani, Professor und
Islamismusexperte an der Manouba-Universität in Tunis. "Sie gehören zu
einem Netzwerk gleichnamiger Organisationen, die alle nach dem
Arabischen Frühling gegründet wurden." Heute operieren weitgehend
unabhängige Ansar-al- Scharia-Filialen in Libyen und sechs weiteren
arabischen Ländern: im Jemen, in Marokko, Tunesien, Mali, Ägypten
und Mauretanien. Der libysche Ableger ist einer der aktivsten und
gefährlichsten. Die Gruppe arbeitet Hand in Hand mit al-Qaida.
"Ich musste in Derna, in einem
Camp von Ansar al-Scharia, ein Training absolvieren, bevor es nach
Syrien ging", erzählt al-Fakhri. "Ich bin ein erfahrener Kämpfer und
wurde nur drei Tage im Straßenkampf trainiert. Andere, ohne Erfahrung,
können drei Monate bleiben." Derna, eine Stadt mit 80.000 Einwohnern,
liegt 290 Kilometer östlich von Bengasi am Mittelmeer.
Sie dient Ansar al-Scharia und al-Qaida als Hauptstützpunkt. Hier gibt
es schon lange keine Polizei und kein Militär mehr. Im Stadtzentrum
steht ein Werbestand von al-Qaida, eine Radiostation predigt den
Dschihad. Für Ausländer ist die Stadt tabu. In Derna leben die gesuchten
Al-Qaida-Funktionäre Abdul Basit Azuz und Abu Sufyan Bin Qumu, der
ehemalige Fahrer von Osama Bin Laden. Bin Qumu soll in Derna mit einem
gepanzerten Wagen spazieren fahren, der beim Attentat auf das
US-Konsulat erbeutet worden sein soll.
"Viele, viele Hunderte von
Dschihadisten sind hier", berichtet Abdelmalik, ein Bewohner Dernas.
"Sie kommen aus Somalia, Nigeria, Afghanistan, Tunesien, Algerien und
aus Mali." Trainiert würden sie in sechs oder sieben Camps in der Nähe
der Grünen Berge. In dieser Gegend seien auch umfangreiche
Waffenarsenale versteckt. Nur wenige Kommandeure, wie etwa Abdul Basit
Azuz, hätten Waffen direkt in Derna gelagert. Al-Fakhri, der
Syrien-Kämpfer, will sich dazu nicht auslassen. Nur so viel: In den
Trainingslagern herrsche ein stetes Kommen und Gehen.
Er reiste in einer aus verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzten Gruppe, darunter sechs Libyer, in die Türkei. In Istanbul
wird die Gruppe geteilt. Die einen fliegen nach Antakya, die anderen
nach Gaziantep. Beide Städte liegen im türkischen Grenzgebiet. Ein Mann
von Ansar al-Sharia ist immer dabei, bezahlt und sagt seinen
Schützlingen, was zu tun ist. Bevor es über die Grenze nach Syrien geht,
müssen alle ihre Reisepässe und Handys abgeben. Dazu eine Telefonnummer
hinterlegen, unter der im Todesfall angerufen wird. Sonst gibt es
keinerlei Kommunikation mit der Familie. "Meine Frau ist daran gewöhnt,
dass ich in den Krieg ziehe und längere Zeit nichts von mir hören
lasse", meint al-Fakhri lachend. Dieses Mal habe sie jedoch gedacht, er
sei tot. "Ist doch Blödsinn, nicht telefonieren zu dürfen. Bei diesem
Verbot geht es nur um die Angst, ihre Machenschaften könnten an die
Öffentlichkeit gelangen." Über die Grenze kommen sie auf illegalen, aber
von den türkischen Behörden geduldeten Routen. "Ein Kleinbus
mit syrischen Frauen und Kindern pendelte zwischen den Grenzseiten hin
und her", erinnert sich al-Fakhri. "Als Familie getarnt kamen wir alle
unbehelligt nach Syrien." Schmunzelnd fügt er an: "Die Türken hätten uns
mehrmals aufhalten können, aber sie haben keinerlei Interesse. Wie ich
gehört habe, lassen sie ausländische Kämpfer noch heute passieren."
"Libyen ist die Bastion der
Dschihadisten in Syrien", erklärt Islamismusexperte Allani. "Aber die
Bestrebungen von Ansar al-Scharia gehen über das Projekt Syrien hinaus.
Sie wollen die gesamte Region beeinflussen." Recherchen der "Welt am
Sonntag" ergaben, was bisher unbekannt war: Ansar al-Scharia hielt im
vergangenen September ein regionales Geheimtreffen in Libyen ab.
Mitglieder der Schwesterorganisationen aus Marokko, Ägypten, Tunesien
und Libyen trafen sich mit algerischen Vertretern von al-Qaida im
Maghreb (AQIM) und der radikal-islamistischen JAN aus Syrien. Drei Tage
lang konferierten die militanten Islamisten völlig unbehelligt in
Bengasi. So etwas ist nur in Libyen möglich. Die Regierung in der
Hauptstadt Tripolis besitzt nach wie vor keine Autorität. Für radikale
Islamisten ist das ein gefundenes Fressen. Sie können ungestört ihre
Strukturen aufbauen.
Einer der prominenten
Teilnehmer der Terroristenkonferenz soll Abu Ayad gewesen sein. Er ist
der Anführer der tunesischen Ansar al-Scharia und wird von den dortigen
Behörden wegen der Erstürmung der US-Botschaft in Tunis im September
2012 gesucht. Er hat nach Informationen der "Welt am Sonntag" Hilfe bei
den Glaubensbrüdern in Libyen gesucht. "Abu Ayad wollte Unterstützung
für den Fall, dass sich der Konflikt mit der tunesischen Regierung
weiter zuspitzt", sagt ein Informant, der anonym bleiben möchte.
Der Gründer von Ansar
al-Scharia hatte lange Zeit gute Beziehungen zu Ennahda, der
islamistischen Regierungspartei Tunesiens. Als man jedoch Verbindungen
zwischen den Morden an zwei Oppositionspolitikern und Ansar al-Scharia
entdeckte, wurde sie im August 2013 zur Terrororganisation erklärt und
verboten. Daraufhin kam es in der Region Mount Chaambi an der
algerischen Grenze zu Gefechten mit dem tunesischen Militär.
Ayad soll beim Terrortreffen
auch gebeten haben, keine Tunesier mehr nach Syrien zu schicken, da er
die Kämpfer dringend bei sich zu Hause brauche. "Rund 1200 Tunesier sind
in Syrien bereits im Kampf an der Seite von radikal-islamistischen
Extremisten gefallen", erläutert Professor Allani. "Weitere 1000 sollen
noch an der Front kämpfen". Den Vertretern von JAN wird die Forderung
Abu Ayads wenig gefallen haben. Sie sind auf Nachschub an ausländischen
Kämpfern angewiesen, die seit über einem Jahr von Libyen aus zu
Tausenden nach Syrien eingeschleust wurden. Angeblich soll es einen
Kompromiss gegeben haben. Die tunesischen Dschihadisten kehren zurück an
die Heimatfront. Im Gegenzug gewährleistet Ansar al-Scharia, dass alle
anderen Kämpfer, die nach Syrien gehen, unter das Kommando von JAN
gestellt werden und nicht etwa beim Islamischen Staat im Irak und der
Levante (ISIL) landen, einer bedenklich wachsenden Konkurrenz für JAN.
Zwischen den zwei Al-Qaida-Flügeln kommt es immer wieder zu Konflikten.
Der ehemalige Syrien-Kämpfer
al-Fakhri will damit nichts mehr zu tun haben. Er ist schwer enttäuscht.
Man sieht es ihm deutlich an. Der 45-Jährige war bereit, für eine "gute
Sache" zu sterben. Er wollte mit der FSA kämpfen, landete aber bei den
Dschihadisten. Ihre Vision war nicht die seine, und er machte sich
wieder auf den Heimweg. "Ich bin heute mehr über Libyen als über Syrien
besorgt", sagt er. "Wer weiß, vielleicht klappt es mit der Freien
Syrischen Armee später einmal." Doch statt in den Krieg zu ziehen, muss
er nun erst einmal Arbeit finden, um seine fünf Kinder durchzubringen.
"Dagegen hat meine Frau ausnahmsweise keine Einwände", behauptet er
schmunzelnd und zündet eine weitere seiner dünnen Zigaretten an. Er
inhaliert kurz und wieder fährt er mit der Hand quer über seine Kehle.
Diesmal folgt ein erleichtertes Lachen.
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