Direkt zum Hauptbereich

Plötzlich geht es den Iranern um das Ende des Mullah-Regimes

„Nieder mit dem Diktator“, rufen die Demonstranten: Völlig unerwartet sind im Iran Proteste gegen die Wirtschaftskrise in Ablehnung des Regimes umgeschlagen. Die von der Unterschicht gehasste Führungselite bestätigt die ersten Toten. Alfred Hackensberger

Der Nahe und Mittlere Osten kommt nicht zur Ruhe. Seit dem „arabischen Frühling“ entstehen immer neue Konflikte. Nach Syrien, dem Irak, Jemen, Bahrain und Katar trifft es nun den Iran. Völlig unerwartet sind dort Proteste gegen das religiöse Regime ausgebrochen.
„Nieder mit dem Diktator“ und „Tod dem Präsidenten“, das rufen seit vier Tagen Demonstranten in zahlreichen Städten der islamischen Republik. Die Regierung sprach von „ausländischen Initiatoren“ und „Konterrevolutionären“. Die Bürger wurden vor „illegalen Zusammenkünften“ gewarnt. Aber die Menschen scheinen sich nicht abschrecken zu lassen. Die Proteste weiten sich von Tag zu Tag aus.
Am Samstag war es sogar in der bisher ruhig gebliebenen Hauptstadt Teheran zu Zusammenstößen der Sicherheitskräfte mit Studenten an der Universität gekommen, die bis in die Nacht hinein dauerten.
Die jungen Leute hatten den Rücktritt des obersten Religionsführers Ajatollah Ali Khamenei gefordert. „Es sind hauptsächlich arme Leute und Studenten, die auf die Straße gehen“, sagte eine Architektin aus Teheran der WELT. „Gerade die Unterschicht leidet besonders unter der Wirtschaftskrise, die den Iran seit Jahren plagt.“

Trump schaltet sich ein

Nach Behördenangaben kamen sogar zwei Menschen ums Leben. Bei Zusammenstößen am Rande von „illegalen Protesten“ in der Stadt Dorud seien zwei Menschen getötet worden, sagte der stellvertretende Gouverneur der Provinz Lorestan, Habibollah Chodschastehpur, am Sonntag im Staatsfernsehen.
„Die ganze Welt versteht, dass das gute Volk des Iran einen Wandel will“, schrieb US-Präsident Donald Trump auf Twitter. „Repressive Regime können nicht für immer bestehen, und der Tag wird kommen, an dem die iranische Bevölkerung vor einer Wahl steht.“
Zuvor hatte Trump schon einen anderen Tweet zur Unterstützung der Demonstranten abgesetzt. Ein Sprecher des iranischen Außenministeriums verurteilte diese „irreführenden und opportunistischen Äußerungen“ Trumps. Die Iraner würden ihm keinen Glauben schenken.

Bilder über soziale Medien animieren andere Unzufriedene

Begonnen hatten die Proteste am Donnerstag in Mashad, einer als sehr konservativ geltenden Stadt, rund 900 Kilometer von Teheran entfernt, im Osten des Landes. Einige Tausend Menschen hatten dort gegen Korruption und hohe Preise demonstriert.
Für den gesunkenen Lebensstandard machten sie Präsident Hassan Ruhani verantwortlich. Der 69-jährige Geistliche war erst im Mai 2017 wiedergewählt worden. Seine versprochenen ökonomischen Reformen scheinen den Menschen wenig Vorteile gebracht zu haben.
Die Bilder der Demonstrationen von Mashad verbreiteten sich rasend schnell über soziale Medien und animierten andere Unzufriedene, auf die Straße zu gehen. In manchen Städten waren es nur ein paar Hundert, in anderen viele Tausend Menschen. In Sprechchören forderten sie die Rückkehr von Cyrus Reza Pahlavi als Schah. Das ist besonders pikant, da die islamische Revolution seinen legendären Vater, Mohammad Reza Pahlavi, 1979 gestürzt hatte. Bei den Protesten ging es plötzlich nicht mehr um die Wirtschaftsmisere alleine, sondern um das Ende des Regimes der Mullahs.

Geld für die Hamas ist da

Der Hass ist groß auf die Führungselite der Geistlichen. Setad, das Firmenkonglomerat, das dem Büro des Obersten Religionsführers angeschlossen ist, soll mit einem Wert von 95 Milliarden US-Dollar das mächtigste Wirtschaftsimperium des Landes sein. Der Iran gibt Milliarden für seine Militärintervention in Syrien aus und viele Millionen für die palästinensische Hamas im Gazastreifen. Nicht umsonst riefen Protestanten: „Die Menschen betteln, und die Mullahs sind wie Götter“ und „Raus aus Syrien und Gaza“.
In der am Kaspischen Meer gelegenen Stadt Rasht war es zu schweren Konfrontationen mit den iranischen Sicherheitskräften gekommen. „Polizisten, helft uns gegen die Revolutionsgarden und Basidsch-Milizen“, hatten dort die Demonstranten gerufen. Die beiden Organisationen sind die Stützpfeiler des islamischen Regimes.
Gerade die paramilitärischen Basidsch (übersetzt: Mobilisierte der Unterdrückten) sind gefürchtet wegen ihrer Brutalität. Mit ihrem gnadenlosen Einsatz hatten sie 2009 großen Anteil an der Niederschlagung der damaligen Massenproteste.
Nach der Wiederwahl des Hardliners Mahmud Ahmadineschad zum Präsidenten war es landesweit zu Protesten gekommen. Auslöser dafür waren Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung. Damals wie heute geht es den Iranern um eine Öffnung der nach strikten Islamnormen reglementierten Politik und Gesellschaft.

Zeitungen appellieren an die Regierung

Ein ikonografisches Bild gab es bei einer der Demonstrationen, als eine junge Frau ihr Kopftuch abnahm und an einen Stock band. Stehend, mit offenen Haaren, schwang sie das Zeichen der Unterdrückung als Fahne einer neuen Freiheit.
Einige Zeitungen in Teheran schrieben, dass die Behörden nun auf das „Volk hören“ sollten. „Möge Gott die Offiziellen erwecken“, stand auf einer Titelseite. Ob die Geistlichen in den staatlichen Führungsgremien sich erwecken lassen, steht zu bezweifeln. Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob sie den Ruf nach Freiheit erneut mit aller Gewalt unterdrücken.
Bisher beschränkte sich die Regierung auf die Organisation von Gegendemonstrationen, um ihre Stärke zu zeigen. Allerdings werden sich damit die Benachteiligten der Gesellschaft nicht abspeisen lassen. Sie scheinen genug zu haben vom Propagandazauber der Regierung.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Geschützt, verdrängt, geduldet

Jüdisches Leben in islamischen Ländern – eine gefährdete Tradition Der durch den Nahostkonflikt genährte Antizionismus in der arabischen Welt lässt beinahe vergessen, dass auch in muslimischen Ländern jüdische Gemeinschaften leben. Allerdings hat die Abwanderung aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund von politischem Druck fast überall zu einem starken Rückgang der jüdischen Bevölkerung geführt. Im jüdischen Kasino von Tanger scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Gut gekleidete Damen und Herren sitzen an mit grünem Filz belegten Tischen und spielen Karten. Mehrere Kronleuchter geben dem grossen Saal eine exklusive Atmosphäre. Wem nicht nach Kartenspiel zumute ist, der sitzt an der Bar und lässt sich einen Apéritif oder auch nur ein Bier servieren. Eine Abendgesellschaft im Klub, wie sie vo

Christoph Luxenberg - Interview/ English

The Virgins and the Grapes: the Christian Origins of the Koran A German scholar of ancient languages takes a new look at the sacred book of Islam. He maintains that it was created by Syro-Aramaic speaking Christians, in order to evangelize the Arabs. And he translates it in a new way by Sandro Magister That Aramaic was the lingua franca of a vast area of the ancient Middle East is a notion that is by now amply noted by a vast public, thanks to Mel Gibson’s film “The Passion of the Christ,” which everyone watches in that language. But that Syro-Aramaic was also the root of the Koran, and of the Koran of a primitive Christian system, is a more specialized notion, an almost clandestine one. And it’s more than a little dangerous. The author

Der schwarze Block von Kurdistan

US-Präsident Donald Trump hat die Kurden im Stich gelassen. Jetzt fürchten sie, dass ein Angriff aus der Türkei kurz bevorsteht. Sie trainieren in Camps für den Ernstfall – und hoffen auf die Hilfe linksradikaler Utopisten aus Europa. Von  Alfred Hackensberger S o sieht also die Hoffnung der Kurden in  Nordsyrien  aus. In einem Hof, der von einer Mauer umgeben ist, spielen ein Franzose und drei Dänen mit kleinen Hunden. „Eine der wenigen Abwechslungen“, sagt ein junger Mann, er kommt aus Paris. In Frankreich war er in anarchistischen Zirkeln aktiv. Auch die jungen Leute aus Dänemark sind Anarchisten. Ihre Mitstreiter aus der Türkei sind wiederum Marxisten. Ihre Namen geben sie nicht preis. Fotografieren lassen sie sich nur vermummt, sie befürchten rechtliche Konsequenzen in ihren Heimatländern. Die Internationale Brigade ist ein Sammelbecken von Linksidealisten, die alle auf ihre Weise von einem sozialistischen Paradies träumen. Und das liegt für sie im Norden Syriens. Doch di