In Gao werden die französischen und malischen Truppen
mit Jubel begrüßt. Mehr als sechs Monate lang mussten die Bewohner die
Herrschaft der Islamisten erdulden. Es gab Steinigungen und
Zwangsheiraten. Von Alfred Hackensberger
Die französische Militärführung sprach von einem so "schwierigen wie langen Kampf" gegen die Islamisten. Nun scheint die Operation im Norden Malis
schneller und einfacher zu verlaufen als erwartet. Binnen weniger Tage
wurden nach Diabali und Konna die Städte Duentza, Hombori und vor allen
Dingen Gao eingenommen. Die strategisch wichtige Stadt liegt am Niger,
dem bedeutendsten Fluss Westafrikas und Lebensader Malis. Nach Timbuktu
sind es 320 Kilometer und zur Grenze zu Niger nur 200. Von dort sollen
nigerische Truppen und Soldaten aus dem Tschad nach Gao kommen, um die
Stadt zu sichern.
Der Vormarsch
der Franzosen geht so rasch vor sich, weil die Rebellen kampflos aus den
von ihnen besetzten Orten abziehen. Nur in Gao soll es Gefechte gegeben
haben, bei denen "etwa ein Dutzend Kämpfer" getötet wurden. "Die
Rebellen sind nach den ersten Bombardierungen abgezogen", berichtet
Mohammedou, ein Bewohner Gaos, der als Journalist arbeitet. "Das
Kommando überließ man lokalen Kämpfern, die sich freiwillig den
Islamisten angeschlossen hatten."
Die Verteidiger
des Glaubens (Ansar al-Dine), die Bewegung für Einheit und Dschihad in
Westafrika (Mujao) sowie al-Qaida im Maghreb (Aqim) mussten durch den
Einsatz französischer Kampfflugzeuge herbe Verluste hinnehmen. Gezielt
wurden Stellungen, Ausbildungslager der radikalen Islamisten, aber vor
allen Dingen auch ihre Logistik bombardiert.
Mehrere Benzin-
und Waffenlager wurden erfolgreich zerstört. Unzählige ihrer Fahrzeuge,
die typischen Pick-Ups mit Maschinengewehrstellungen auf der Ladefläche,
gingen in Flammen auf. Mobilität ist in einem Wüstengebiet, das doppelt
so groß ist wie Deutschland, der entscheidende Faktor. Ohne
entsprechende Ressourcen sind die Islamisten leichte Beute für "die
Kreuzfahrer aus dem Westen".
"Eines Tages werden wir dich erwischen"
In Gao wurden
die französischen und malischen Truppen von einer jubelnden Bevölkerung
begrüßt. Über sechs Monate hatten die 100.000 Bewohner der von braunen
Lehmbauten geprägten Stadt die Herrschaft der Islamisten erdulden
müssen. "Die Touristen kamen nach Gao, um Dünen, Märkte, die islamischen
Heiligengräber und die antike Askia-Moschee zu sehen, deren Lehm aus
Mekka stammt", erzählt Mohammedou. Neben Sightseeing hätten sich die
Besucher auch amüsieren können. "Wir hatten zehn Nachtclubs und über 100
Bars, in denen man sich 24 Stunden betrinken konnte", fügt der
32-Jährige schwärmerisch hinzu. "Nur die Islamisten haben das alles
verboten, als sie letztes Jahr einmarschierten."
Mohammedou
erinnert sich noch gut an die drohenden Worte von Abdelkarim, dem Führer
von Mujao, die Gao zu ihrer Basis machten. "Wir wissen, dass du
heimlich rauchst. Pass nur auf, eines Tages werden wir dich erwischen."
Neben Mujao war auch ein Teil der Aqim unter dem Befehl von Mokhtar
Belmokhtar nach Gao gekommen. Der ehemalige Afghanistankämpfer gilt als Drahtzieher des blutigen Anschlags auf die algerische Gasförderanlage in Amenas, bei dem 37 Geiseln ums Leben kamen.
Anfangs galten
die Extremisten als Befreier, nachdem sie die nationale Bewegung für
einen unabhängigen Tuareg-Staat Azawad vertrieben hatten. Die MNLA hatte
im Januar 2012 eine Rebellion gegen die Zentralregierung in Bamako
gestartet und binnen dreier Monate den ganzen Norden Malis besetzt. In
Gao plünderten die Tuaregs hemmungslos. Frauen wurden vergewaltigt. "Ich
sah wie eine Gruppe der MNLA-Kämpfer mit 30 Frauen im Busch
verschwanden und erst nach einer Woche wieder zurückkamen", erzählt
Idriss, der als Fahrer für einen der Tuareg-Führer arbeitete. "Man sah
den Frauen an, dass ihnen etwas Schreckliches widerfahren ist."
"Nichts anderes als Gruppenvergewaltigungen"
Die Islamisten
verteilten Nahrungsmittel an die Bevölkerung, stoppten Plünderungen und
richteten eine Telefonhotline ein. Die Bewohner von Gao sollten Verstöße
der MLNA melden. "Mir ist ein Fall eines verschleppten Mädchens
bekannt, das von den Islamisten gerettet wurde", weiß Corinne Dufka, die
für Human Rights Watch (HRW) für Westafrika zuständig ist.
Aber bereits
nach einem Monat verschlechterte sich die Lage für die Einwohner von Gao
vehement. Eine puritanische Form der Scharia, des islamischen Rechts,
wurde eingeführt. Montag und Donnerstag hielten die Islamisten Gericht.
Die Urteile
wurden auf dem Platz der Unabhängigkeit, unweit des Gouverneurspalastes,
öffentlich vollstreckt. "Es gab zwei Steinigungen und viermal wurde
vermeintlichen Dieben die Hand abgeschnitten", erinnert sich Journalist
Mohammedou. "Ein Mann lachte hysterisch, als man ihm seine Hand
absäbelte." Danach habe man den Betroffenen zum Krankenwagen gebracht,
in dem ein Arzt wartete.
"Für die Frauen
war die Scharia eine Katastrophe", erklärt die stellvertretende
Bürgermeisterin von Gao. "Die malische Frau kann sich in der
Öffentlichkeit normalerweise frei bewegen", meint Saima Issa Maiga. "Sie
geht zur Arbeit, auf den Markt und trifft sich mit anderen. Und
plötzlich durfte sie das Haus nicht mehr verlassen. Was für eine
Groteske." Reihenweise habe es auch unter der Herrschaft der Islamisten
Vergewaltigungen gegeben, behauptet die Bürgermeisterin. "Kein
Unterschied zur MNLA."
Ganz so sieht
es die HRW-Verantwortliche Dufka nicht. "Eine lokale Organisation hat in
Gao bis Dezember 2012 insgesamt 41 Fälle gezählt und der weit
überwiegende Teil davon geht auf das Konto der MNLA." Die Islamisten
hätten eine Scharia-konforme Art der Vergewaltigung gewählt. Eine Frau
sei mit fünf Männern verheiratet worden, von denen jeder einen Teil des
Brautpreises bezahlt habe. "Das waren erzwungene Heiraten. Und man kann
es nicht anders nennen als Gruppenvergewaltigung", so Dufka.
"Nicht lachen, sondern mit uns weinen"
Die Einwohner
Gaos fanden sich mit der Herrschaft der Scharia nie ab. Immer wieder kam
es zu Demonstrationen junger Leute. Sie warnten die Islamisten auch
davor, Heiligengräber zu zerstören wie in Timbuktu. "Ihr müsst uns schon
töten, bevor wir das zulassen", sollen die Demonstranten den Islamisten
zugerufen haben. Als ein Mann als Spion beinahe zu Tode geprügelt
wurde, protestierten die Menschen erbost auf den Straßen. Kein Wunder,
dass die Bewohner Gaos lachten und applaudierten, als französische
Bomben über 100 islamistische Kämpfer töteten. "Ihr sollt nicht lachen,
sondern mit uns weinen", soll Abdelkarim, der Mujao-Führer, verzweifelt
gesagt haben. Ihm war die Kontrolle der Stadt längst entglitten.
Nach Gao
reisten alle Arten von Würdenträger aus Ländern der Region. "Politiker
wie Islamgelehrte trafen sich mit den Islamisten", weiß Mohammedou zu
berichten. "Sie kamen aus Niger, Algerien und Mauretanien." Idriss, der
Fahrer eines MNLA-Komandanten, der zu Mujao überwechselte, erinnert sich
an mehrere Geheimtreffen mit einem Emir aus Libyen. Sämtliche Führer
der Rebellen hätten ihm stets ihre Aufwartung gemacht. Darunter
Aqim-Kommandant Abu Zeid, Iayad Ghali von Ansar al-Dine und auch
Belmokhtar, der Chef von Aqim. "Sie haben den Libyer wie ihren Boss
empfangen", meint Idriss, der den Namen des hohen Besuchs nicht kennt.
Aus Libyen soll
ein Großteil der Waffen der Rebellen stammen. Belmokhtar hielt sich
2011 während der Revolution mehrere Monate in Libyen auf. Im Süden des
nordafrikanischen Landes gibt es Ausbildungslager von al-Qaida. Von dort
soll ein Teil des Kommandos stammen, das die algerische Gasanlage
Amenas überfiel. In der Stadt Derna, im Norden Libyens, trainiert
Abdulbasit Azuz einige hundert Kämpfer. Er ist ein langjähriger
Weggefährte von Ayman al-Zahahiri, dem Al-Qaida-Chef in Pakistan.
Unterstützung aus Katar?
Nach
Geheimdienstberichten soll auf dem Flughafen von Gao eine Maschine der
königlichen Familie aus Katar gelandet und nach wenigen Stunden wieder
abgeflogen sein. Katar ist das einzige Land, das im Norden Malis
offiziell mit einer NGO permanent vertreten ist. Der Rote Halbmond soll
humanitäre Hilfe für die Bevölkerung liefern. Bewohner von Gao
berichten, dass es bis zur Grenze zur Niger drei medizinische Posten der
katarischen Hilfsorganisation gibt. Sie sollen im Notfall verwundete
Islamistenkämpfer verarzten. Auf dem Flughafen von Tesalit, ganz im
Norden Malis, wurden Transportmaschinen aus Katar beobachtet. "Sie
trugen das Zeichen des Roten Halbmonds, hatten aber damit nichts zu
tun", versicherte ein europäischer Diplomat, der ungenannt beleiben
will.
Eine
Unterstützung der Islamisten durch das Golfemirat wäre kein Wunder.
Katar unterstützte die extremistischen Al-Schabab-Milizen in Somalia,
lieferte Waffen an islamistische Revolutionäre in Libyen und zurzeit
auch nach Syrien. Im malischen Fernsehen sagte Mohammed Diko vom hohen
islamischen Rat des Landes: "Wir müssen unser Verhältnis zu Katar völlig
überdenken."
In Kidal wird der Endkampf stattfinden
Für Ahmed Ould
Abdallah verschleiert der Krieg gegen die Islamisten in Mali die
eigentlichen Probleme der Region. "Der Norden Malis ist ein
Umschlagplatz für Drogen, Zigaretten, gestohlene Autos und Waffen. Dort
gibt es mit Sicherheit Gas und Erdölvorkommen, Uran, Gold und andere
Minerale", sagt Abdallah, der mehrfach Minister in Mauretanien war und
UN-Beauftragter für Somalia. Laut einem Bericht der UN-Büros für Drogen
und Verbrechen (Unodc) kamen 2009 60 Prozent der Zigaretten in Libyen
(180 Millionen Euro) und 18 Prozent (270 Millionen) in Algerien aus
Westafrika. Seit 2003 werden auch Kokain aus Südamerika nach Europa und
Haschisch aus Marokko nach Afrika über den Norden Malis geschmuggelt. Es
ist ein Milliardengeschäft, an dem Kriminelle, Islamisten und auch
Geheimdienste mitverdienen wollen.
Für Abdallah
ist die Krise Malis ein Ausdruck grundsätzlicher Probleme der Staaten
der Region. "Dazu gehören schlechte Regierungsführung, Korruption,
Ungerechtigkeit und Aussichtslosigkeit der Jugend", führt der 62-jährige
Diplomat aus. Der Waffenstrom aus Libyen nach dem Sturz von Muammar
Gaddafi sei nicht, wie vielfach behauptet, die Ursache für die
Instabilität Malis. Dies sei nur der Auslöser. "Sehen Sie, jeder der
Geld hat, kann eine Miliz gründen", erklärt Abdallah. "Ob Soldaten oder
Islamisten, alle würden für mich kämpfen, Hauptsache der Sold stimmt."
Die Truppen
Frankreichs und Malis haben nach Aussagen eines Armeesprechers sogar
schon Timbuktu eingenommen. Eine weitere Stadt, die die Islamisten
nahezu kampflos aufgegeben haben. Angeblich sollen sie bereits nach
Kidal geflüchtet sein. Dort können sie im gebirgigen Gelände unentdeckt
agieren. In der Savanne sind sie der französischen Luftwaffe
ausgeliefert. In der Umgebung von Kidal liegt zudem ein
unübersichtliches Höhlensystem. E
in Schäfer
musste bereits für das muslimische Opferfest des Eid al-Adha einige
seiner Tiere an die Rebellen liefern. Er sah in den Höhlen, die man mit
Wagen befahren kann, Hunderte von Benzinfässern, Generatoren und Waffen.
Französische Jagdflugzeuge haben die Gegend mehrfach bombardiert.
Fraglich ist, ob das weit verzweigte unterirdische System zerstört
wurde.
Nur eines
scheint sicher: In Kidal wird der Endkampf stattfinden. Vorausgesetzt,
die Islamisten verschwinden nicht plötzlich wie ein Schreckgespenst und
beginnen später mit einem blutigen Guerillakrieg.
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