Die Islamisten in Mali haben nun auch Kidal, ihre letzte
Hochburg, kampflos aufgegeben. Vermutlich haben sich in die Berge
zurückgezogen. Französische und malische Soldaten rücken weiter vor. Von Alfred Hackensberger
In der Nacht zu
Mittwoch landeten die ersten Transportmaschinen mit französischen
Soldaten und ihren Fahrzeugen. Hubschrauber kontrollierten die Umgebung.
Bei Tageslicht wurden erste Patrouillen nach Kidal geschickt.
Es ist die letzte der drei großen Städte im Norden Malis, die von den Islamisten
besetzt war. Wie schon in Gao und Timbuktu verließen die Rebellen auch
Kidal kampflos. "Die Franzosen kamen um 21.30 Uhr in drei Flugzeugen",
berichtete Haminy Maiga, der Interimspräsident der Regionalversammlung.
"Sie übernahmen den Flugplatz und fuhren in die Stadt. Es gab keine
Kampfhandlungen."
Ansar al-Din,
die Verteidiger des Glaubens, hatten den 1500 Kilometer nordöstlich der
Hauptstadt Bamako gelegenen Ort regiert. Der Flughafen von Kidal war ein
Dreh- und Angelpunkt des internationalen Schmuggels.
Von hier aus
wurden Kokain und Zigaretten über den Luftweg in die Länder Nordafrikas
gebracht. Tonnenweise wurde Haschisch aus Marokko in den Süden Afrikas
transportiert. "Das Millionengeschäft mit dem Schmuggel ist einer der
wichtigsten Hintergründe der Krise in Mali", erklärte Ahmedou Oud
Abdallah.
Der 72-Jährige
hatte mehrere Ministerposten in Mauretanien inne und war UN-Beauftragter
in Somalia. Heute ist er als Berater tätig und unterhält einen Think
Tank.
Tuaregs behaupten, sie kontrollieren die Stadt
Unklar ist
bisher noch, wer nach dem Abzug der Islamisten am Samstag die Kontrolle
der Stadt übernommen hat. Die Tuareg-Bewegung für einen unabhängigen
Staat Azawad (MNLA) behauptet, in die Stadt einmarschiert zu sein.
Die MNLA hatte
im Januar 2012 eine Rebellion gegen die Zentralregierung in Bamako
gestartet. Innerhalb von drei Monaten eroberten sie den gesamten Norden
Malis. Nach dem Ausruf des unabhängigen Staats Azawad im März wurden die
Tuareg von den Islamisten entmachtet und vertrieben.
Im Juni hatte
das islamistische Bündnis aus Ansar al-Din, der Bewegung für Einheit und
Dschihad in Westafrika (Mujao) und Al-Qaida im Islamischen Maghreb
(Aqmi) das Gebiet, das doppelt so groß wie Deutschland ist, unter ihrer
Herrschaft.
Abspaltung von Ansar al-Din erhebt Ansprüche
In Kidal
meldete sich auch die Islamische Bewegung Azawad (Ima) zu Wort, eine
Abspaltung von Ansar al-Din. "Wir haben die Stadt übernommen", hieß es
von ihrer Seite. Vor einer Woche hatte der Tuareg-Führer Alghabass Ag
Intalla die Gründung der neuen Gruppe im Radio Frankreich International
bekannt gegeben.
"Wir sind gegen
Extremismus und Terror. Wir wollen eine friedliche Lösung." Angeblich
will Ima mit dem französischen Militär in Kidal in Kontakt sein und über
den Status der Organisation verhandeln.
Der
Sinneswandel kommt etwas spät. Viele Trümpfe dürfte Ima nicht besitzen.
Mit der bisher erfolgreichen französischen Intervention stehen die
Tuareg mit dem Rücken zur Wand. Über ein halbes Jahr hatten sie mit den
islamistischen Extremisten gemeinsame Sache gemacht.
"Pragmatismus
ist in dieser Region völlig normal", erläutert der mauretanische
Ex-Diplomat Abdallah. "Sehen Sie, jeder kann hier eine Miliz gründen,
wenn nur das Geld stimmt. Und alle sind begeistert von der neue Sache."
Wo sind die Islamisten jetzt?
Die große Frage
in Kidal bleibt: Wohin sind die islamistischen Kämpfer verschwunden?
Ohne Vergeltungsmaßnahmen werden sich gerade die Al-Qaida-Kommandanten
Mokhtar Belmokhtar und Abdelhamid Abu Zeid nicht in die Wüste
zurückziehen. Beide sind berüchtigt für ihre Brutalität und Radikalität.
Belmokhtar, der
in Afghanistan auf Seiten der Taliban kämpfte, soll der Drahtzieher des
Anschlags auf die algerische Gasanlage in In Amenas sein. Abu Zeid gilt
als Verantwortlicher zahlreicher Entführungen und Exekutionen von
Europäern.
Laut Berichten
aus Kidal sollen sich beide Aqmi-Führer, zusammen mit Iyad Ag Ghaly, dem
Chef von Ansar al-Din, in die Berge nördlich der Stadt zurückgezogen
haben. Dort gibt es Höhlensysteme, die den Islamisten als logistische
Basis dienen.
Aus dem
bergigen Terrain können sie jederzeit Angriffe auf Patrouillen der
französischen oder malischen Armee starten. Von Kampfflugzeugen sind sie
nur schwer auszumachen.
Angst vor Menschenrechtsverletzungen
Über
militärische Strategien machen sich Menschenrechtsorganisationen kaum
Gedanken. Sie sorgen sich um die Zivilbevölkerung. Nach der Befreiung
von Timbuktu wurden Geschäfte von Tuareg und Arabern geplündert.
Ein Mob wollte
sogar zwei Ladenbesitzer lynchen, denen man die Unterstützung der
Islamisten nachsagte. Im letzten Moment konnte das verhindert werden –
mit Hilfe von malischen Soldaten, die alles andere als eine gute
Reputation besitzen, was die Einhaltung der Menschenrechte angeht.
Human Rights
Watch (HRW) und andere Menschenrechtsorganisationen machen sie für
Exekutionen verantwortlich. Mitte Januar sollen Soldaten Tuareg und
Araber hingerichtet haben, die man als Islamisten verdächtigte. Nicht
der erste Fall.
Im September
2012 sollen sie 16 muslimische Prediger nahe Diabali erschossen haben.
Diese Morde gelten als möglicher Grund für die Eroberung und teilweisen
Zerstörung der Kleinstadt im Westen Malis durch die Islamisten.
Der
Internationale Strafgerichtshof (ICC) hat eine Untersuchung in Mali
eingeleitet. "Ich möchte alle am Konflikt beteiligten Parteien daran
erinnern", erklärte die ICC-Chefanklägerin Fatou Bensouda, "dass mein
Büro die Jurisdiktion über alle ernsten Verbrechen hat und die Täter zur
Verantwortung gezogen werden müssen."
Die
französische Regierung will möglichst bald internationale Beobachter
nach Mali entsenden, "um die Einhaltung der Menschenrechte zu
gewährleisten", wie Premierminister Jean-Marc Ayrault in Paris
versicherte.
Angst vor Rache
In Kidal, der
Hauptstadt der Tuareg-Rebellion, wird sich zeigen, wie sehr die malische
Armee gewillt ist, internationales Recht zu respektieren. "Die Tuareg
sind doch an dem ganzen Schlamassel Schuld", lautet die populäre Meinung
in Mali. Im Norden Malis machen die Tuareg nicht mehr als 15 Prozent
der Bevölkerung aus.
Ihr
unabhängiger Staat, den sie im März ausriefen, galt als Diktat einer
ethnischen Minorität über die Mehrheit der Bewohner der Region. Unter
den Tuareg geht nun die Angst vor Racheaktionen um.
Sie gelten
wegen ihrer Hautfarbe als die "Roten". In Bamako wedelten neunjährige
Kinder auf der Straße mit französischen Flaggen und riefen: "Wir sind
Rote, wollen aber allen zeigen, dass wir nichts mit den Terroristen
gemein haben."
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