Vor zwei Jahren läuteten erste Proteste das Ende Gaddafis
in Libyen ein. Es folgten revolutionäre Umwälzungen in der gesamten
Region. Die Bilanz dieser "Arabellion" ist aber durchweg ernüchternd. Von Dietrich Alexander und Alfred Hackensberger
In Tunesien, dem
bisherigen Musterland des "arabischen Frühlings" hatten friedliche
Proteste Diktator Zine al-Abidine Ben Ali am 14. Januar 2011 zur Flucht
nach Saudi-Arabien gezwungen. Die Selbstverbrennung des
Universitätsabsolventen Mohammad Bouazizi, der sich als Obstverkäufer in
Sidi Bouzid durchs Leben schlug, gilt als Auslöser der Jasminrevolution
– und aller folgenden Volksaufstände. Doch mit dem Mord an dem
Oppositionspolitiker Schokri Belaid am 6. Februar ist die friedliche
Reputation der Jasminrevolte in Gefahr.
Seither ist kein
Tag ohne gewalttätige Auseinandersetzungen vergangen. Der Tod des
Anwalts und Menschenrechtsaktivisten, der die regierende Partei Ennahda
harsch kritisiert hatte, löste einen grundsätzlichen gesellschaftlichen
Konflikt aus. Seit die Islamisten im Oktober 2011 mehr als 40 Prozent
der Sitze in der Verfassunggebenden Versammlung gewannen, ist das Land
gespalten.
"Es gibt einen
säkularen Teil, der verhindern will, dass Ennahda Tunesien in einen
islamistischen Staat verwandelt", sagt die TV-Journalistin Moufida
Abbasi. "Wir haben von Anfang an vor Ennahda gewarnt, wurden aber als
Verschwörungstheoretiker verunglimpft." Ennahda hatte sich ein moderates
islamisches Image gegeben.
Nun stellte sich
heraus, dass die Partei enge Beziehungen zu radikalen Salafisten und
deren Milizen unterhält. Sie überfallen kritische Politiker,
Journalisten, Künstler und greifen Treffen der Opposition an. Salafisten
haben in den letzten Tagen Patrouillen aufgestellt, die in Sfax, Kef,
Mateur und einigen Stadtteilen von Tunis mit Baseballschlägern für Ruhe
und Ordnung sorgen. Premierminister Hamadi Dschebali will eine neue
Übergangsregierung von "Technokraten" bilden, um der Krise zu begegnen.
Das neue Kabinett soll Neuwahlen und eine Verfassung vorbereiten.
Ägypten: Der Fall Mursi
In den
vergangenen Wochen starben bei Unruhen in Ägypten mehr als 50 Menschen.
Das Land am Nil kommt nicht zur Ruhe, obwohl Präsident Husni Mubarak
bereits am 11. Februar 2011 zurückgetreten ist. Fast 30 Jahre lang hatte
der Autokrat Ägypten mit harter Hand geführt. Seit dem 30. Juni 2012
ist nun Mohammed Mursi neues Staatsoberhaupt.
Die Ägypter
hatten allerdings kaum eine Wahl. Mursis Gegenkandidat war Ahmed
Schafik, letzter Premier unter Mubarak. Einen Vertreter des alten,
repressiven Regimes, das man gerade mit Mühe und Not losgeworden war,
wollte kaum jemand als Vertreter eines neuen, demokratischen Staates.
Noch immer aber
ist die ägyptische Gesellschaft ebenso gespalten wie die tunesische. In
beiden Ländern demonstrierten vor allem säkulare Kräfte gegen die
Diktatoren, während Islamisten sich lange zurückhielten. Vereint waren
Liberale, Sozialdemokraten, Sozialisten und auch Konservative, die für
eine Trennung von Staat und Religion eintraten.
"Wir haben die
Revolution gewonnen", behaupteten tunesische wie ägyptische Jugendliche.
Doch nicht sie, sondern die Islamisten gewannen in beiden Ländern die
Wahlen. Als Präsident Mursi am 8.Dezember 2012 seine Amtsbefugnisse
ausweitete und sich der Judikative entzog, war der Sturm der Entrüstung
groß. "Verrat an den Zielen der Revolution", wurde dem Parteigänger der
Muslimbruderschaft vorgeworfen.
Vor dem
Präsidentenpalast in Kairo kommt es fast täglich zu Protesten. An den
Wänden finden sich Parolen, mit denen man den verhassten Mubarak
vertrieben hatte: "Hau ab!" oder "Nieder mit dem Regime". Was
Demonstranten meist vergessen: Mursi vertritt die Mehrheit der
Bevölkerung, und die ist fromm und nicht säkular. Mursi macht Politik,
ist aber wohl auch auf einer religiösen Mission.
Jemen: Eine schwere Last
Mehr als drei
Jahrzehnte war Ali Abdullah Saleh im Amt. Bei jeder Präsidentenwahl
erreichte er mindestens 90 Prozent der Stimmen. Die Demonstrationen
gegen ihn und sein Regime begannen zeitgleich mit den Revolutionen in
Tunesien und Ägypten. Arbeitslosigkeit, miserabler Lebensstandard und
Korruption trieben die Menschen im Januar 2011 auf die Straße in der
Hauptstadt Sanaa. Tausende Soldaten desertierten, Regierungsbeamte
verließen ihre Arbeit.
Gegen die
Demonstranten ließ Saleh mit Gewalt vorgehen. Am 18.März wurden 45
Menschen von Sicherheitskräften getötet. Im Gegensatz zu seinen
diktatorischen Amtskollegen in Tunesien und Ägypten ließ sich Saleh viel
Zeit mit seiner Abdankung. Für seinen Rücktritt im Februar 2012 wurde
Saleh vollkommene Immunität zugesichert. Die Straffreiheit löst noch
heute vehemente Proteste aus. "Das Volk will seinen Mörder vor Gericht
stellen", fordern Demonstranten bis heute.
Nun heißt der
Präsident Abdrabu Mansur Hadi. Er wurde ganz im Stil seines Vorgängers
gewählt. Es gab nur einen Stimmzettel mit seinem Namen darauf und einem
Ja-Kästchen. Bei einer Wahlbeteiligung von 65 Prozent bekam Hadi 99,8
Prozent der Stimmen.
Ein Wechsel in
der Machtstruktur, die Verbesserung der Lebensbedingungen und Bekämpfung
der Korruption sind schwierige Unterfangen in einer
Stammesgesellschaft. Die Elite des Jemen wurde nie zur Rechenschaft
gezogen. Für al-Qaida bleibt der Jemen ein sicheres Rückzugsgebiet, aus
dem man Terror exportiert. Islamistische Kommandeure sollen mit
finanzieller Hilfe Saudi-Arabiens und Katars mehr als 5000 Jemeniten via
Istanbul nach Syrien in den Kampf gegen Assad geschickt haben. Im
Oktober gab es vier Flüge pro Woche von Sanaa in die Türkei – alle waren
ausgebucht.
Libyen: Tages des Zorns
Die Grenzen
nach Tunesien und Ägypten sind geschlossen. Die libyschen Behörden
befürchten, die Unruhen in den beiden Nachbarländern könnten
übergreifen. Dabei hat Libyen selbst genug Probleme. Die libysche
Regierung hat 1200 zusätzliche Straßensperren im ganzen Land errichten
lassen. Demonstrationen sind vor und am zweiten Jahrestag der Revolution
kommenden Sonntag untersagt. Man braucht eine "besondere Genehmigung",
bestätigte Vize-Innenminister Omar al-Khadrawi, "um friedlich zu
protestieren".
Ausgerechnet an
einem Tag, auf den man so stolz ist, herrscht Angst. Vor zwei Jahren,
am 17. Februar 2011, hatten aufgebrachte Bürger zum Tag des Zorns
aufgerufen. Acht Monate später wurde Muammar al-Gaddafi in einer
Abwasserröhre in seiner Geburtsstadt Sirte gefunden und getötet.
In der
Hauptstadt Tripolis waren im Vorfeld des Jahrestags Flugblätter
aufgetaucht, die zu einer "zweiten Revolution" und zum "Sturz des neuen
Regimes" aufgefordert hatten. Dahinter werden "Kräfte des alten Regimes"
vermutet. Für Innenminister al-Khadrawi sind das "Indikatoren, die
Chaos und Gewalt bedeuten". In Libyen kann das verheerende Folgen haben.
Hunderte Milizen sind noch immer bewaffnet. Straßenkämpfe könnten
jederzeit eskalieren, die große allgemeine Unzufriedenheit könnte sich
entladen.
"Die Preise
steigen ständig, die Milizen machen, was sie wollen, und Korruption ist
weit verbreitet", meint ein Anwalt aus Tripolis. "Der Staat hat
keinerlei Autorität." Besondere Gefahr gehe von radikalen Islamisten
aus. Bengasi und die rund 300 Kilometer entfernte Stadt Derna sind
Zentren dieser zum Teil al-Qaida nahestehenden Gruppen.
Dort
unterhalten sie Trainingscamps. Der Anschlag auf das US-Konsulat in
Bengasi am 11. September vergangenen Jahres soll auf das Konto einer
dieser extremistischen Gruppen gehen. Am Jahrestag will die Bevölkerung
von Bengasi erneut gegen die Islamisten protestieren. Sie könnten es als
Anlass nehmen, um mit rivalisierenden Milizen abzurechnen.
Bahrain: Der Vorhof Riads
Die Revolution
in der kleinen Ölmonarchie Bahrain, diesem inselartigen Anhängsel der
Arabischen Halbinsel von der Größe Hamburgs und mit 1,3 Millionen
Einwohnern, muss als unvollendet, ja im Keim erstickt bezeichnet werden.
Als im Februar 2011 Proteste gegen die sunnitische Regierung
ausbrachen, reagierte die Regierung brutal und ließ die Armee gegen die
schiitische Bevölkerungsmehrheit vorgehen.
Der große
sunnitisch-wahhabitische Nachbar Saudi-Arabien half mit Material und
Truppen, um in seinem Vorhof keine womöglich ansteckende Epidemie
freiheitlich-demokratisch denkender Untertanen ausbrechen zu lassen.
Einer internationalen Untersuchungskommission zufolge kamen damals 35
Menschen ums Leben. Fünf von ihnen seien zu Tode gefoltert worden. Die
Opposition spricht von mehr als 80 Toten.
Bis heute gehen
oppositionelle Gruppen fast täglich auf die Straße und fordern Wahlen
sowie die Umwandlung des Königreiches in eine konstitutionelle
Monarchie. Gerade aufgenommene Versöhnungsgespräche zwischen der
Regierung und der Opposition werden belastet, weil just am zweiten
Jahrestag des Volksaufstandes (14. Februar 2011) ein Jugendlicher von
Sicherheitskräften erschossen worden war.
Der Schiit sei
im Dorf Dija nahe der Hauptstadt Manama getötet worden, berichtete die
größte Oppositionsgruppe Wefak auf ihrer Internetseite. Im kommenden
Jahr soll es Wahlen in dem Inselstaat geben, die von der Opposition als
"Ornament der Macht" bezeichnet und boykottiert werden. König Hamad Bin
Isa al-Chalifa ist ein wichtiger westlicher Verbündeter, in seinem Land
ist die Fünfte US-Flotte stationiert, um die wichtige Straße von Hormus
für den Öl-Welthandel offen zu halten. Die Opposition fordert mehr
westliche Hilfe zur Demokratisierung.
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