Zwei Wochen lang versuchte Tunesiens Premier Hamadi Dschebali, ein neues
parteiloses Kabinett zu bilden. Doch ausgerechnet die eigene Partei,
die islamistische Ennahda, entzieht ihm die Unterstützung. Von Alfred Hackensberger
Die Pressekonferenz
wurde live im Fernsehen übertragen. "Meine Initiative blieb erfolglos",
verkündete der tunesische Premierminister Hamadi Dschebali. "Wie
versprochen; trete ich nun als Regierungschef zurück."
Seit knapp zwei Wochen hatte der 63-Jährige versucht, ein neues
parteiloses Kabinett zu bilden. "Unpolitisch und von jeder Ideologie
unabhängig" wünschte es sich Dschebali. Die Opposition begrüßte das
Vorhaben. Aber ausgerechnet die eigene Partei entzog dem Premier die
Unterstützung.
Die
islamistische Ennahda behauptete, sie sei nicht konsultiert worden.
Zehntausende von Parteianhängern demonstrierten im Zentrum von Tunis.
"Dschebali ist zwar stellvertretender Generalsekretär unserer Partei",
sagt Nabil, ein junger Student mit einer tunesischen Flagge in der Hand.
"Gerade jetzt in der Krise braucht das Land keine Technokraten, sondern
eine klare Führung."
Am 6. Februar
war der Oppositionspolitiker Schukri Belaid vor seinem Haus in Tunis von
Unbekannten mit vier Schüssen niedergestreckt worden. Seine Ermordung
löste landesweite Proteste aus. Die Gewerkschaften erklärten einen
Generalstreik. Der Ärger richtet sich hauptsächlich gegen Ennhada.
Belaid war bekannt für seine harsche Kritik an der Regierungspartei. Der
48-jährige hatte die zunehmende Gewalt angeprangert, die von den
Islamisten ausginge. "Mörder, Mörder" skandierten die Protestierenden
und meinten damit Ennhada-Führer Raschid Ghanuschi. Mindestens fünf
Ennahda-Büros wurden in Brand gesteckt.
Bundesregierung beobachtet Lage aufmerksam
Im Oktober 2011,
neun Monate nach dem Sturz des Diktators Sine al-Abidin Bin Ali, hatten
die Islamisten die ersten freien Wahlen gewonnen. Damals verbreiteten
sie das Image einer moderat islamistischen Partei. Doch Ennahda-Gründer
Ghanuschi unterhält gute Kontakte zu radikalen Salafisten. Bei einem
Treffen, das gefilmt wurde, verspricht der den Extremisten, "eure Zeit
wird kommen." Es sind Salafisten, die Journalisten, Politiker und
Künstler gewaltsam attackieren.
Die Bildung
einer technokratischen Regierung war der Versuch einer
Schadensbegrenzung. Dschebali hätte seine angeschlagene Partei aus der
Regierungsverantwortung und damit zum Teil auch aus der Schusslinie der
Öffentlichkeit gebracht. Mit seinem Rücktritt will er nach eigenem
Bekunden "der enttäuschten Bevölkerung Vertrauen wiedergeben". Doch das
fehlt der tunesischen Politik insgesamt. Bisher konnten sich die
Parteien nicht einmal auf einen Termin für die ersten freien
Parlamentswahlen einigen. Ebenso wenig existiert ein tragfähiger Entwurf
für die neue Verfassung. Die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich
rapide.
"Die
Bundesregierung beobachtet die Lage in Tunesien in diesen kritischen
Tagen sehr aufmerksam", sagte Außenminister Guido Westerwelle (FDP).
Dschebalis Schritt verdiene "Respekt".
Der ehemalige
Premierminister könnte auch wieder der neue sein. Er scheint die einzige
Integrationsfigur aus den Reihen von Ennahda zu sein, die einen
Kompromiss mit der Opposition zustande bringen kann. Doch Dschebali will
nur erneut Premier werden, wenn ein Termin für Parlamentswahlen und ein
Verfassungsentwurfs vorlägen. Sonst drohe Chaos.
Nach der
Ermordung Belaids forderten dessen Anhänger eine "zweite Revolution". So
friedlich wie die "Jasminrevolution" 2011 würde diese nicht verlaufen.
Einige der Salafisten sind bewaffnet und in Trainingslagern militärisch
ausgebildet. Sie werden versuchen, jedes Machtvakuum für sich zu nutzen.
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