Die Islamisten in Mali ziehen sich aus eroberten Städten
zurück, doch die Großoffensive im Norden muss noch warten. Die
Nachbarstaaten warnen: Fällt Mali, wären die Folgen unabsehbar. Von Alfred Hackensberger
Sie fahren in offenen
Jeeps durch die Stadt. Die Soldaten geben sich cool mit ihren dunklen
Sonnenbrillen, Tüchern über Nase und Mund gegen den Staub. Ein Monitor
im Wagen, Schutzwesten, Gewehre und die Pistole im Halfter am
Oberschenkel vermitteln: Diese Kerle verstehen keinen Spaß.
Einzig die
Menschen am Straßenrand, die ihnen freudig zuwinken und "Es lebe
Frankreich" rufen, zaubern ein kurzes Lächeln in ihre regungslosen
Gesichter.
Die
französischen Truppen sind in Markala (Mali) stationiert, darunter viele
Fremdenlegionäre. Sie bewachen eine strategisch wichtige Stahlbrücke,
die sich über den hier 500 Meter breiten Fluss Niger spannt und die
wichtige Straße beiderseits des Ufers in die 400 Kilometer entfernte
malische Hauptstadt Bamako im Süden verbindet.
Im Norden
beginnt nach 60 Kilometern das Gebiet der islamistischen Rebellen von
Ansar al-Din, der Bewegung für Einzigartigkeit und Dschihad (Mujao)
sowie al-Qaida im Maghreb (Aqim). Staatliche Strukturen greifen dort
nicht, es ist Niemandsland.
"Sonst gäbe es kein Mali mehr"
Rund 2000
Soldaten hat Frankreich bisher nach Mali geschickt. 500 weitere sollen
folgen, wie der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian
dem Fernsehsender France 3 sagte. Die Westafrikanische
Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) will zusätzlich 3300 Soldaten schicken.
Bisher sind von den 15 Ecowas-Mitgliedsstaaten aber nur 100 Soldaten
aus Togo und Nigeria angekommen.
Das stößt in
Paris auf Unverständnis. "Frankreich blieb nichts anderes übrig, als
sehr, sehr schnell zu intervenieren, sonst gäbe es kein Mali mehr",
erklärte Außenminister Laurent Fabius. "Aber nun ist es an der Zeit,
dass die Afrikaner die Initiative ergreifen."
Frankreich will
und kann Mali nicht im Alleingang befreien. Sein Ziel ist es, die
Islamisten aus dem Norden zu vertreiben, den sie seit vergangenen April
kontrollierten. Danach soll dem Land, das fast viermal so groß wie
Deutschland ist, Sicherheit, Frieden und Stabilität garantiert werden.
Das aber mögen dann die Afrikaner selbst regeln. Doch die Bereitstellung
der zugesagten afrikanischen Kontingente ist ein mühsamer Prozess.
Wer bezahlt, ist noch ungeklärt
Ungeklärt ist
noch immer die Frage, wer den Einsatz in Mali bezahlt. Die afrikanischen
Staaten warten auf Geldgeber und lassen sich Zeit, die sie nicht haben.
Denn bis zu 3000 international vernetzte, gut ausgerüstete und schwer
bewaffnete radikale Islamisten sind eine Gefahr für die ganze Region.
Frankreich
appelliert an die internationale Gemeinschaft, sich an den Kosten zu
beteiligen. "Wir müssen so schnell wie möglich die logistischen und
finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, die die malische Armee und
die gesamte afrikanische Mission benötigen", forderte Fabius. Am
29.Januar soll eine Sponsorenkonferenz in Äthiopien die notwenigen
Ressourcen heben.
Auf einem
Treffen der Ecowas-Staaten an der Elfenbeinküste versuchte Fabius, den
versammelten Staatsoberhäuptern die Dringlichkeit der Situation vor
Augen zu führen. Er forderte sie unmissverständlich auf, "so schnell wie
möglich" mit der Entsendung der versprochenen Truppen zu beginnen.
Nigeria sollte die Ecowas-Eingreiftruppe aus dem Tschad, Benin, Ghana,
dem Niger, dem Senegal, Burkina Faso und Togo anführen.
"Kein Gebiet der Welt ist mehr sicher"
Zumindest
verbale Unterstützung erhielt Fabius vom Präsidenten der Elfenbeinküste.
Alassane Ouattara behauptete mit Nachdruck, dass eine Intervention der
Ecowas unverzichtbar sei. "Die Region wird sich sonst wirtschaftlich
nicht erholen", meinte der Präsident. "Kein Gebiet der Welt ist mehr
sicher, wenn die Dinge in Mali in die falsche Richtung laufen."
Die sporadisch
eintreffenden afrikanischen Kontingente sollen sich zehn Tage lang
selbst versorgen können. Wer nach dieser Zeit die Verantwortung
übernimmt, ist offen. Aber es gibt noch andere Probleme. Die Verlegung
der Truppen des Senegal nach Mali verschiebt sich, weil die Armee
angeblich auf Munitionsnachschub für ihre Artillerie wartet.
"Zudem haben
wir derzeit ein grundsätzliches Problem mit der Logistik", erklärt der
französische Kommandant Renaud Vidal. "Unsere Transportkapazitäten sind
nicht ausreichend. Es fehlt einfach an Maschinen." Alles muss auf dem
Luftweg nach Mali gebracht werden: ob Waffen, Panzer, Munition,
Verpflegung oder Medizin. "Wir müssen entscheiden, was mitfliegt", meint
Vidal. "Munition oder Geräte zum Aufbau der Infrastruktur." Bisher
überwiegt die Munition.
Russische Transporthilfe
Russland hat
inzwischen Transporthilfe angeboten, ebenso wie Belgien, Großbritannien,
Kanada, Italien und die Niederlande. Deutschland hat zwei
Transall-Transportflugzeuge der Bundeswehr nach Mali geschickt.
Ein weiteres
Problem stellt die mangelnde Ausbildung der Afrikaner dar. Mit Ausnahme
von Nigeria und des Tschad, die über kampferprobte Armeen verfügen,
müssen die Truppen der anderen Länder ein zweiwöchiges Training
absolvieren. Französische Ausbilder nehmen sich der afrikanischen
Soldaten an. Dabei müsste man nach gut ausgebildeten und kampfwilligen
Soldaten nicht lange suchen. In Bamako warten 1000 Mann ungeduldig
darauf, für ihr Land in den Krieg zu ziehen.
Die sogenannten
Rotbarette bilden eine Eliteeinheit der malischen Armee. Sie waren als
Leibgarde für den Schutz von Präsident Amadou Toumani Touré
verantwortlich, bis er im März 2012 vom Militär gestürzt wurde.
Hauptverantwortlicher des Putsches war Hauptmann Amadou Sanogo.
"Am 1.Mai kamen
seine Truppen in unsere Kaserne", erzählt der Rotbarett-Kommandant Marc
Dongan. "Sanogo hatte Angst vor einer Konterrevolution und entwaffnete
uns." Dongan sitzt auf einem wackeligen Plastikstuhl und verscheucht mit
der Hand Moskitos.
Eine Präsidentengarde existiert nicht mehr
Der Offizier
ist umringt von seinen ehemaligen Soldaten. Uniform darf keiner mehr
tragen. Offiziell existiert die Präsidentengarde nicht mehr. Nur wenige
bekommen noch ihren Sold, der dann geteilt wird. Noch immer leben sie
mit ihren Familien auf dem Kasernengelände von Decorami.
"Wir haben erst
vor wenigen Tagen ein Gesuch an Interimspräsident Diouncounda Traore
gestellt, wir wollen unbedingt kämpfen", sagt Dongan. "Wir sind eine
Eliteeinheit", ruft sein Adjutant Suleiman Sidibi dazwischen. "Wir sind
Fallschirmspringer und haben Spezialisten für schwere Waffen, den
Nahkampf und auch Scharfschützen."
Sie seien von
Kanadiern, US-Amerikanern und Franzosen ausgebildet worden, erklärt er
aufgebracht. Die Truppe sei für die derangierte malische Armee eine
große Hilfe. "Aber Sanogo will uns keine Waffen geben", ergreift der
Kommandant Dongan erneut das Wort. Er runzelt die Stirn und fügt
verärgert an: "Was ist das für eine Armee, die von einem Hauptmann
befehligt wird? Er sagt Generälen, was sie zu tun haben."
Die Großoffensive gegen die Islamisten steht noch aus
So muss die
geplante Großoffensive gegen die Islamisten warten. Nach der
Rückeroberung der beiden Städte Konna und Diabali, die die Krieger im
Namen Allahs für kurze Zeit besetzt hielten, besteht keine
Dringlichkeit. Die Rebellen haben sich aus beiden Städten zurückgezogen.
Ihr gefürchteter Vorstoß auf die Hauptstadt wurde vereitelt. Die
französische Luftwaffe hat sie zum Rückzug gezwungen.
In Diabali sind
die Folgen der Bombardierung deutlich zu sehen. Die Kaserne, die die
Islamisten als Hauptquartier nutzten, ist völlig zerstört. Wagen, die
sie unter Mangobäumen versteckten, sind ausgebrannt.
Die Rebellen ließen Waffen zurück
Wohnhäuser, in
denen sie Quartier genommen hatten, sind unter dem massiven Beschuss
eingestürzt. "Sie sind in aller Eile abgezogen", erklärt Seydou Taore,
der Präfekt der nahe gelegenen Stadt Niono.
"Sie haben
sogar Waffen, darunter einige Mörser, zurückgelassen. Die malischen
Soldaten kämmen nun die Stadt Haus für Haus durch auf der Suche nach
versteckten Islamisten."
Seit Beginn der
Offensive am 11.Januar hatte es widersprüchliche Nachrichten über den
Einsatz französischer Bodentruppen gegeben. Französische Medien hatten
mehrfach gemeldet, es habe in Diabali Häuserkämpfe Mann gegen zu Mann
mit den Rebellen gegeben. Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian
räumte diese Gerüchte aus. "Ich glaube, da hat jemand halluziniert."
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