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"Kein Gebiet der Welt ist mehr sicher"

Die Islamisten in Mali ziehen sich aus eroberten Städten zurück, doch die Großoffensive im Norden muss noch warten. Die Nachbarstaaten warnen: Fällt Mali, wären die Folgen unabsehbar. Von

Französische Fremdenlegionäre in Niono, 400 Kilometer nördlich von Malis Hauptstadt Bamako
Foto: dapd Französische Fremdenlegionäre in Niono, 400 Kilometer nördlich von Malis Hauptstadt Bamako

Sie fahren in offenen Jeeps durch die Stadt. Die Soldaten geben sich cool mit ihren dunklen Sonnenbrillen, Tüchern über Nase und Mund gegen den Staub. Ein Monitor im Wagen, Schutzwesten, Gewehre und die Pistole im Halfter am Oberschenkel vermitteln: Diese Kerle verstehen keinen Spaß.
Einzig die Menschen am Straßenrand, die ihnen freudig zuwinken und "Es lebe Frankreich" rufen, zaubern ein kurzes Lächeln in ihre regungslosen Gesichter.
Die französischen Truppen sind in Markala (Mali) stationiert, darunter viele Fremdenlegionäre. Sie bewachen eine strategisch wichtige Stahlbrücke, die sich über den hier 500 Meter breiten Fluss Niger spannt und die wichtige Straße beiderseits des Ufers in die 400 Kilometer entfernte malische Hauptstadt Bamako im Süden verbindet.
Im Norden beginnt nach 60 Kilometern das Gebiet der islamistischen Rebellen von Ansar al-Din, der Bewegung für Einzigartigkeit und Dschihad (Mujao) sowie al-Qaida im Maghreb (Aqim). Staatliche Strukturen greifen dort nicht, es ist Niemandsland.

"Sonst gäbe es kein Mali mehr"

Rund 2000 Soldaten hat Frankreich bisher nach Mali geschickt. 500 weitere sollen folgen, wie der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian dem Fernsehsender France 3 sagte. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) will zusätzlich 3300 Soldaten schicken. Bisher sind von den 15 Ecowas-Mitgliedsstaaten aber nur 100 Soldaten aus Togo und Nigeria angekommen.
Das stößt in Paris auf Unverständnis. "Frankreich blieb nichts anderes übrig, als sehr, sehr schnell zu intervenieren, sonst gäbe es kein Mali mehr", erklärte Außenminister Laurent Fabius. "Aber nun ist es an der Zeit, dass die Afrikaner die Initiative ergreifen."

Mali und Algerien mit den Staaten der afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas
Foto: dpa-infografik Mali und Algerien mit den Staaten der afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas
Frankreich will und kann Mali nicht im Alleingang befreien. Sein Ziel ist es, die Islamisten aus dem Norden zu vertreiben, den sie seit vergangenen April kontrollierten. Danach soll dem Land, das fast viermal so groß wie Deutschland ist, Sicherheit, Frieden und Stabilität garantiert werden. Das aber mögen dann die Afrikaner selbst regeln. Doch die Bereitstellung der zugesagten afrikanischen Kontingente ist ein mühsamer Prozess.

Wer bezahlt, ist noch ungeklärt

Ungeklärt ist noch immer die Frage, wer den Einsatz in Mali bezahlt. Die afrikanischen Staaten warten auf Geldgeber und lassen sich Zeit, die sie nicht haben. Denn bis zu 3000 international vernetzte, gut ausgerüstete und schwer bewaffnete radikale Islamisten sind eine Gefahr für die ganze Region.
Frankreich appelliert an die internationale Gemeinschaft, sich an den Kosten zu beteiligen. "Wir müssen so schnell wie möglich die logistischen und finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, die die malische Armee und die gesamte afrikanische Mission benötigen", forderte Fabius. Am 29.Januar soll eine Sponsorenkonferenz in Äthiopien die notwenigen Ressourcen heben.
Auf einem Treffen der Ecowas-Staaten an der Elfenbeinküste versuchte Fabius, den versammelten Staatsoberhäuptern die Dringlichkeit der Situation vor Augen zu führen. Er forderte sie unmissverständlich auf, "so schnell wie möglich" mit der Entsendung der versprochenen Truppen zu beginnen. Nigeria sollte die Ecowas-Eingreiftruppe aus dem Tschad, Benin, Ghana, dem Niger, dem Senegal, Burkina Faso und Togo anführen.

"Kein Gebiet der Welt ist mehr sicher"

Zumindest verbale Unterstützung erhielt Fabius vom Präsidenten der Elfenbeinküste. Alassane Ouattara behauptete mit Nachdruck, dass eine Intervention der Ecowas unverzichtbar sei. "Die Region wird sich sonst wirtschaftlich nicht erholen", meinte der Präsident. "Kein Gebiet der Welt ist mehr sicher, wenn die Dinge in Mali in die falsche Richtung laufen."
Die sporadisch eintreffenden afrikanischen Kontingente sollen sich zehn Tage lang selbst versorgen können. Wer nach dieser Zeit die Verantwortung übernimmt, ist offen. Aber es gibt noch andere Probleme. Die Verlegung der Truppen des Senegal nach Mali verschiebt sich, weil die Armee angeblich auf Munitionsnachschub für ihre Artillerie wartet.
"Zudem haben wir derzeit ein grundsätzliches Problem mit der Logistik", erklärt der französische Kommandant Renaud Vidal. "Unsere Transportkapazitäten sind nicht ausreichend. Es fehlt einfach an Maschinen." Alles muss auf dem Luftweg nach Mali gebracht werden: ob Waffen, Panzer, Munition, Verpflegung oder Medizin. "Wir müssen entscheiden, was mitfliegt", meint Vidal. "Munition oder Geräte zum Aufbau der Infrastruktur." Bisher überwiegt die Munition.

Russische Transporthilfe

Russland hat inzwischen Transporthilfe angeboten, ebenso wie Belgien, Großbritannien, Kanada, Italien und die Niederlande. Deutschland hat zwei Transall-Transportflugzeuge der Bundeswehr nach Mali geschickt.
Ein weiteres Problem stellt die mangelnde Ausbildung der Afrikaner dar. Mit Ausnahme von Nigeria und des Tschad, die über kampferprobte Armeen verfügen, müssen die Truppen der anderen Länder ein zweiwöchiges Training absolvieren. Französische Ausbilder nehmen sich der afrikanischen Soldaten an. Dabei müsste man nach gut ausgebildeten und kampfwilligen Soldaten nicht lange suchen. In Bamako warten 1000 Mann ungeduldig darauf, für ihr Land in den Krieg zu ziehen.
Die sogenannten Rotbarette bilden eine Eliteeinheit der malischen Armee. Sie waren als Leibgarde für den Schutz von Präsident Amadou Toumani Touré verantwortlich, bis er im März 2012 vom Militär gestürzt wurde. Hauptverantwortlicher des Putsches war Hauptmann Amadou Sanogo.
"Am 1.Mai kamen seine Truppen in unsere Kaserne", erzählt der Rotbarett-Kommandant Marc Dongan. "Sanogo hatte Angst vor einer Konterrevolution und entwaffnete uns." Dongan sitzt auf einem wackeligen Plastikstuhl und verscheucht mit der Hand Moskitos.

Eine Präsidentengarde existiert nicht mehr

Der Offizier ist umringt von seinen ehemaligen Soldaten. Uniform darf keiner mehr tragen. Offiziell existiert die Präsidentengarde nicht mehr. Nur wenige bekommen noch ihren Sold, der dann geteilt wird. Noch immer leben sie mit ihren Familien auf dem Kasernengelände von Decorami.
"Wir haben erst vor wenigen Tagen ein Gesuch an Interimspräsident Diouncounda Traore gestellt, wir wollen unbedingt kämpfen", sagt Dongan. "Wir sind eine Eliteeinheit", ruft sein Adjutant Suleiman Sidibi dazwischen. "Wir sind Fallschirmspringer und haben Spezialisten für schwere Waffen, den Nahkampf und auch Scharfschützen."
Sie seien von Kanadiern, US-Amerikanern und Franzosen ausgebildet worden, erklärt er aufgebracht. Die Truppe sei für die derangierte malische Armee eine große Hilfe. "Aber Sanogo will uns keine Waffen geben", ergreift der Kommandant Dongan erneut das Wort. Er runzelt die Stirn und fügt verärgert an: "Was ist das für eine Armee, die von einem Hauptmann befehligt wird? Er sagt Generälen, was sie zu tun haben."

Die Großoffensive gegen die Islamisten steht noch aus

So muss die geplante Großoffensive gegen die Islamisten warten. Nach der Rückeroberung der beiden Städte Konna und Diabali, die die Krieger im Namen Allahs für kurze Zeit besetzt hielten, besteht keine Dringlichkeit. Die Rebellen haben sich aus beiden Städten zurückgezogen. Ihr gefürchteter Vorstoß auf die Hauptstadt wurde vereitelt. Die französische Luftwaffe hat sie zum Rückzug gezwungen.
In Diabali sind die Folgen der Bombardierung deutlich zu sehen. Die Kaserne, die die Islamisten als Hauptquartier nutzten, ist völlig zerstört. Wagen, die sie unter Mangobäumen versteckten, sind ausgebrannt.

Die Rebellen ließen Waffen zurück

Wohnhäuser, in denen sie Quartier genommen hatten, sind unter dem massiven Beschuss eingestürzt. "Sie sind in aller Eile abgezogen", erklärt Seydou Taore, der Präfekt der nahe gelegenen Stadt Niono.
"Sie haben sogar Waffen, darunter einige Mörser, zurückgelassen. Die malischen Soldaten kämmen nun die Stadt Haus für Haus durch auf der Suche nach versteckten Islamisten."
Seit Beginn der Offensive am 11.Januar hatte es widersprüchliche Nachrichten über den Einsatz französischer Bodentruppen gegeben. Französische Medien hatten mehrfach gemeldet, es habe in Diabali Häuserkämpfe Mann gegen zu Mann mit den Rebellen gegeben. Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian räumte diese Gerüchte aus. "Ich glaube, da hat jemand halluziniert."

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