In einem Interview hat sich Syriens Präsident Baschar
al-Assad kompromisslos gegeben. Das syrische Militär lässt Taten folgen
und erobert eine strategisch wichtige Stadt von den Rebellen zurück. Von Alfred Hackensberger
Die Hälfte des Landes ist nicht mehr unter seiner Kontrolle, aber Baschar al-Assad ist zuversichtlich. In einem seltenen Interview
mit internationalen Medien gab sich der syrische Präsident souverän und
denkt auch nach über zwei Jahren Bürgerkrieg nicht an einen Rücktritt.
"Ich stehe zu meiner Verantwortung wie ein Kapitän eines Schiffs im
Sturm", sagte Assad im Gespräch mit der argentinischen Zeitung "Clarín".
"Was würde man
über einen Kapitän denken, der in einer Notsituation Schiff und
Mannschaft im Stich lässt?" Der Präsident will unter allen Umständen bis
zu den Wahlen 2014 im Amt bleiben.
Assad machte
nicht den Eindruck, als würde er mit dem Rücken zur Wand stehen. Im
Gegenteil: Er zeigte sich als Staatsoberhaupt, dem noch alle Optionen
offenstünden. Mit Skepsis beurteilte er die für Juni in Genf geplante
internationale Friedenskonferenz. Man würde zwar alle Initiativen
begrüßen, aber Realismus sei angebracht. "Es kann keine unilaterale
Lösung in Syrien geben", meinte der Präsident, der 2000 das Amt nach dem
Tod seines Vaters übernommen hatte. "Man braucht mindestens zwei
Parteien dazu."
Bisher würde der
Westen nur die Rebellen als Partner akzeptieren, aber nicht ihn und die
syrische Regierung. Ohnehin sei klar, so Assad weiter, dass "nicht
viele westliche Staaten wirklich an einer Lösung in Syrien interessiert
sind". Wie sollte das auch gehen, wenn man Terroristen aus 29
verschiedenen Ländern unterstütze, die in Syrien als Teil der Rebellen
kämpften.
Assad fühlt Oberwasser
Man konnte es
Assad deutlich ansehen: Er fühlt, wie schon lange nicht mehr,
Oberwasser. Die Rebellen diskreditierten sich unlängst wieder mehrfach
selbst in der Weltöffentlichkeit. Sie drehten ein Kannibalismusvideo mit
dem Aufruf zu ethnischen Säuberungen. Die radikal-islamische Gruppe von
Dschabat al-Nusra exekutierte im Stadtzentrum von Ar-Rakka als Racheakt
drei vermeintliche Regimesoldaten. Sie firmierte dabei erstmals unter
dem neuen, von Al-Qaida-Chef Aiman al-Sawahiri gegebenen Namen des
"Islamischen Staats im Irak und Syrien".
Aber viel
wichtiger für Assad und sein Regime: Die vor zwei Monaten angekündigte
Offensive der syrischen Armee ist auf dem besten Wege, ein Erfolg zu
werden. Sie könnte die seit einem Jahr bestehende militärische
Pattsituation zwischen beiden Konfliktparteien zugunsten des Regimes
verändern. Es wäre eine entscheidende Trumpfkarte bei zukünftigen
Friedensverhandlungen, wie Assad selbst gegenüber einer Delegation von
libanesischen Politikern in Damaskus versichert haben soll.
"Das
Schlachtfeld entscheidet, wer eine starke Position bei Verhandlungen
hat", soll der Präsident den Besuchern gesagt und angefügt haben:
"Amerika ist pragmatisch. Wenn sie sehen, dass sie verloren haben und
das Regime der Gewinner ist, werden sie sich dieser Faktenlage
anpassen."
"50 Granaten pro Minute"
Wahrscheinlich
hat Assad damit nicht ganz unrecht. Selbst in Israel, wie vor Tagen
inoffiziell aus Regierungskreisen gemeldet wurde, würde man den noch
amtierenden Präsidenten gerne weiter im Amt sehen. Ein säkularer
Regierungschef, der die extremistischen Islamisten bekämpft, einen
Taliban-ähnlichen neuen Staat und Angriffe der Radikalen auf Israel
verhindert, scheint eine vermeintlich gute Option zu sein. Erst dachten
viele, die von den syrischen Staatsmedien verkündete Offensive sei nur
Propaganda. Die syrische Armee ist jedoch tatsächlich auf dem Vormarsch.
Sie hat die
Einkesselung von Daraa gebrochen und den Nachschubweg in die Grenzstadt
zu Jordanien wiederhergestellt. Von Daraa aus hätten die Rebellen einen
entscheidenden Vorstoß auf die nur 120 Kilometer entfernte Hauptstadt
von Damaskus unternehmen können. Von immenser strategischer Bedeutung
ist die Stadt Kusair, die nur wenige Kilometer von der libanesischen
Grenze entfernt liegt. Sie ist seit über einem Jahr umkämpft.
In der
vergangenen Woche wurden einige in der Umgebung von Kusair liegende
Dörfer, die von den Rebellen kontrolliert wurden, von der syrischen
Armee zurückerobert. In der Nacht zu Sonntag begann dann die große
Offensive mit Artilleriebeschuss auf die normalerweise 80.000 Einwohner
große Stadt. "50 Granaten pro Minute" sollen laut Medienaktivisten der
Rebellen stundenlang niedergegangen sein. Am Montag meldete
die syrische Nachrichtenagentur Sana, dass der Ort in der Hand des
Regimes sei und "die Armee wieder Sicherheit und Stabilität" hergestellt
habe. Rebellen behaupteten jedoch, rund 1000 Kämpfer würden weiterhin
Widerstand leisten.
Hisbollah ist im Straßenkampf erfahren
Es ist nur eine
Frage der Zeit, bis Kusair vom Regime vollständig eingenommen ist. Die
Rebellen sind dann von ihrem Nachschubweg aus dem benachbarten Libanon
abgeschlossen. Auch im 40 Kilometer entfernten Homs wird es eng für sie:
Seit fast einem Jahr sind die Rebellen in der Stadt eingeschlossen.
Ihnen wird sehr bald die Munition ausgehen, und sie werden sich
zurückziehen müssen. Die gesamte Provinz Homs wäre unter der Kontrolle
des Regimes, und die Zufahrtswege an die Mittelmeerküste nach Tartus und
Lattakia wären gesichert.
Die Erfolge der
syrischen Armee sind ohne Beteiligung der libanesischen Hisbollah nicht
denkbar. Elitetruppen der schiitischen Miliz kämpfen seit Januar Seite
an Seite mit der Armee in Kusair und Daraa. Die Hisbollah ist im
Straßenkampf erfahren. Ein entscheidendes Element, das der syrischen
Armee bisher fehlte und sie deshalb immer wieder scheitern ließ. Mehr
als 20 Kämpfer soll die Hisbollah allein am vergangenen Wochenende
verloren haben. Das zeigt, dass sie an vorderster Front kämpft.
Sehr
wahrscheinlich sind auch schiitische Milizen aus dem Irak beteiligt.
Mindestens 500 Mann sollen von der irakisch-schiitischen Asaib Ahl
al-Hak und der Hisbollah in Syrien sein, die vom Iran militärisch
ausgerüstet werden, berichtet der amerikanische Thinktank Institute for
the Study of War. Die Koordination übernehmen Offiziere der
Al-Kuds-Eliteeinheiten der iranischen Revolutionären Garden.
Kontrolle zentraler Regionen
Der Iran soll
auch für die neue Militärstrategie Syriens verantwortlich sein, wie der
neueste Bericht des Institute for the Study of War besagt. Etwa 50.000
Mann starke paramilitärische Einheiten kämpfen heute an der Seite der
syrischen Armee, die der Iran im Laufe des vergangenen Jahres
ausgebildet und bewaffnet haben soll.
Der
überwiegende Teil dieser Truppen sind nicht Sunniten wie die Rebellen,
sondern rekrutieren sich aus Schiiten oder Alawiten, zu denen auch
Präsident Assad gehört. Sie sind verlässlicher und motivierter als die
Armee mit einem hohen Anteil an Sunniten.
Die Strategie
des Regimes scheint die Kontrolle entscheidender zentraler Regionen. Wie
in Kusair oder Daraa wird mit höchstem militärischem Aufwand
vorgegangen, während man andere Gebiete vorerst vernachlässigt.
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