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Der Krieg der Kurden auf eigene Rechnung

Kurdische Milizen haben die Seite gewechselt und kämpfen jetzt gegen Diktator Assad, Frauen genauso wie Männer. Sie wollen Freiheit aber keinen eigenen Staat. Ein Besuch mitten im Kriegsgeschehen. Von meinem Kollegen
Sie kämpfen ohne Kopftuch und völlig gleichberechtigt, sagen sie – die Kurdinnen Amara (19, l.) und Rocan (27) in einer Feuerstellung in Aleppos Stadtteil Scheich Maksud
Foto: Victor Breiner Sie kämpfen ohne Kopftuch und völlig gleichberechtigt, sagen sie – die Kurdinnen Amara (19, l.) und Rocan (27) in einer Feuerstellung in Aleppos Stadtteil Scheich Maksud 
Die Räder drehen durch. Selbst der Jeep tut sich schwer auf der steilen Piste, die ein Regenschauer in tiefem Matsch ertränkt hat. Eile ist geboten, nichts wie raus aus dem offenen Gelände. Schüsse und Mörserfeuer sind zu hören. Nach Scheich Maksud kommt man nur auf Schleichwegen, will man nicht direkt durch die Schusslinie von Scharfschützen der syrischen Regierungstruppen fahren.
Endlich hat der Jeep den Hügel geschafft. Nach wenigen Minuten fährt man im Schutz der Häuserwände des größten kurdischen Stadtteils am nördlichen Rand Aleppos. Er ist strategisch besonders bedeutend. Von hier aus kann man die gesamte Industriemetropole überblicken und beschießen. Außerdem bekommt man von hier aus die Kontrolle über wichtige Nachschubwege.
Das Stadtviertel ist menschenleer. Wagen mit Kämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA) brausen unter "Gott ist groß"-Rufen durch die Straßen. Einige Minitransporter kommen entgegen, beladen mit den Habseligkeiten der letzten Flüchtlinge. Der Rest der rund 250.000 kurdischen Einwohner hat das bisher ruhige Viertel verlassen, als Ende März der Bürgerkrieg hier ankam.

Gemeinsamer Kampf gegen Regierungstruppen

Die Kurdische Demokratische Union (YPG), die seit Beginn des Konflikts im Februar 2011 das Regime von Präsident Baschar al-Assad unterstützte, hat überraschend die Seite gewechselt. Sie öffnete Scheich Maksud der FSA und kämpft nun mit ihr gemeinsam gegen die Regierungstruppen. Bisher kontrollieren diese etwa die Hälfte des Stadtteils. Im sich angrenzenden Aschrafieh soll die Lage nicht anders sein.
Nach 15 Minuten Fahrt erreicht man die Basis der FSA. Von Weitem erkennt man Duschkas und andere schwere Maschinengewehre, die auf den Ladeflächen der geparkten Pick-ups aufgebaut sind. Hier befinden sich die Stützpunkte der Milizen Ghorabaa al-Scham, Ahrar Syria und Araba al-Scham. Rund 150 Kämpfer sind draußen auf den Beinen. Ein Regime-Scharfschütze hatte auf sie geschossen. Von einer Seitenstraße aus überblickt er eine Kreuzung und beschränkt die Bewegungsfreiheit der Rebellen auf zwei von einander getrennte Teile.
Ein FSA-Kämpfer feuert in die Richtung, in der er den Scharfschützen vermutet. Danach wird vom Balkon im vierten Stock eines verlassenen Wohnhauses zurückgefeuert. Ob man den Feind getroffen hat, weiß niemand. Die Seitenstraße überqueren die Rebellen nur noch rennend. Wenig später geht eine Mörsergranate nieder. Die Mehrzahl der Kämpfer eilt plötzlich an die Front. "Die Schergen von Assad wollen vordringen", sagt einer von ihnen. "Aber sie haben keine Chance", fügt er lachend hinzu, bevor er losläuft.

Waffen aus den siebziger Jahren

Eine Gruppe von Rebellen steht rätselnd über eine Panzerabwehrgranate gebeugt. Vergeblich versuchen sie sich einen Reim auf die tschechische Gebrauchsanweisung zu machen, die auf der Metallhülse aufgeklebt ist. "Entfernen Sie zuerst die Plombe. Dann drehen Sie die Kammer und ziehen Sie sie zur Verlängerung nach hinten."
Es ist eine alte RPG-75, Baujahr 1975. Sie sieht aber nagelneu aus, als habe man sie zum ersten Mal aus der Box genommen. Sie könnte Teil der Waffenlieferung aus Kroatien sein. Zwischen November und Februar sollen 3000 Tonnen, bezahlt von Saudi-Arabien, transportiert von türkischen und jordanischen Flugzeugen unter logistischer Hilfe Großbritanniens, nach Syrien geschmuggelt worden sein.
"Wir haben sie von einer anderen Gruppe gekauft", sagt der Kämpfer, der für die Panzerfaust zuständig ist. "Insgesamt acht Stück, für je 10.000 Dollar." In diesem Fall ist die Waffenhilfe in die vom Westen gewünschten Hände gekommen. Die Kämpfer gehören zu Ghorabaa al-Scham. Sie sind keine Islamisten, sie wollen freie Wahlen und Demokratie. Andere Teile der kroatischen Waffen landeten jedoch bei den Radikalen von Ahrar al-Scham und der Nusra-Front, die zum Netzwerk von al-Qaida im Irak gehört.

Lauernde Scharfschützen an den Straßen

Obwohl die Rebellen noch immer nicht sicher sind, wie die RPG-75 funktioniert, wird sie mit an die 500 Meter nahe Front genommen. "Dort unten am Hügel stehen zwei, drei Panzer", erklärt der Verantwortliche der Gruppe. "Da kann man sie gut gebrauchen."
Zwei Querstraßen weiter, die man ebenfalls aufgrund der lauernden Scharfschützen nur im Rennen überqueren kann, befindet sich ein Stützpunkt der kurdischen YPG. Die mehr als 100 kurdischen Kämpfer haben ihr Hauptquartier in einem ehemaligen Friseursalon eingerichtet. Neben den Spiegeln hängt ein Bild Abdullah Öcalans, des Führers der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Die Türkei fasste ihn 1999 in Nairobi. Seitdem sitzt er in einem türkischen Gefängnis.
Einige der Milizionäre machen gerade Pause vom Krieg. Es gibt Wurst aus der Dose, Tomaten, Gurken und Tee. Unter ihnen sind zwei Mädchen: Chufna, 18, und Amara, 19. Bei der arabischen FSA sind weibliche Kämpfer unvorstellbar. Zumal ohne Kopftuch, wie die beiden Kurdinnen hier kämpfen.
"Wir sind völlig gleichberechtigt", versichert Chufna. "Niemand belächelt uns." Die umstehenden Männer der YPG nicken zustimmend. "Wir haben schon viele getötet", sagt Amara. Ihr macht das nicht viel aus. "Wir verteidigen uns nur", erklärt sie schulterzuckend. Die beiden Kämpferinnen gehören seit einem Jahr zu einer Brigade, die sich ausschließlich aus Frauen zusammensetzt. Etwa 700 seien es.

27-jährige kurdische Anführerin

Der Weg an die Front dauert nur zehn Minuten. Über Hinterhöfe, durch eingeschlagene Löcher in Wänden, durch Wohnungen, in denen völliges Durcheinander herrscht. Matratzen, Wäsche, Kleidung und Möbel sind wild verstreut. Auf einem Stapel liegt verlassen ein kleiner Teddybär. Im dritten Stock einer Wohnung bringt Chufna ihr russisches PK-Maschinengewehr an einer Tür in Position. Im Nebenraum legt sich auch Amara am Boden in Position.
Für die nächsten Stunden werden sie hier Ausschau nach Scharfschützen und möglichen Truppenbewegungen der syrischen Armee halten. Die beiden Mädchen bekommen letzte Anweisungen von ihrer Kommandeurin Rocan, bevor sie mit zwei weiteren Kämpfern allein gelassen werden. Die 27-jährige Rocan kämpft seit ihrem 13. Lebensjahr für die PKK und war im Iran, Irak und der Türkei. Ihre Befehle akzeptieren auch 40-jährige Männer ohne Murren. Nun ist Rocan in Syrien im Einsatz. Arabisch spricht sie nicht. Kein Wort.
Der Militärchef der YPG-Miliz in Scheich Maksud will von der PKK nichts wissen. Gemeinhin gilt die syrische YPG als Ableger der türkischen Organisation. Aber: "Wir sind unabhängig", behauptet Khalid. "Unser Führer ist PKK-Chef Öcalan, aber in Syrien bestehen spezifische Gegebenheiten, die nur wir lokal lösen können."

Kurdische Syrer wollen Anerkennung

Die YPG ließ sich mehr als zwei Jahre Zeit, bis sie sich im Bürgerkrieg auf die Seite der Rebellen schlug. Das war nur zehn Tage nach der Waffenstillstandserklärung Öcalans und der Einigung der Türkei mit der PKK, ernsthafte Friedensverhandlungen zu führen. Der YPG-Brigadenführer in Scheich Maksud bestreitet vehement, dass der Seitenwechsel der syrischen Kurden etwas mit den Friedensverhandlungen in der Türkei zu tun habe.
"Wir sprachen mit der FSA, ob sie bereit sind, die kurdische Identität anzuerkennen", erzählt Khalid. "Sie stimmten zu und garantierten, nach dem Fall Assads die Details in einer Konferenz zu besprechen und einen Vertrag zu schließen." Die YPG wolle keinen unabhängigen kurdischen Staat. "Wir sind über weite Teile Syriens verstreut, da ist so etwas unrealistisch", meint der 29-jährige Brigadenführer. "Ich bin ein kurdischer Syrer und möchte nur mein normales Recht auf Arbeit, Bildung und einen Pass." Dinge, die das Regime Assads den Kurden aberkannte. Die neue Vereinbarung zwischen YPG und der FSA ist für ganz Syrien gültig. "Die Übereinkunft gilt von Aleppo über Afrin bis Raqqa", versichert Khalid und fügt ernst hinzu: "Wir müssen unser Volk beschützen."
Auf dem Rückweg geht es wieder im Sprinttempo über zwei Scharfschützenstraßen. Das zweifache Panzerdonnern ist zu hören: erst Abschuss, dann Einschlag. Dazu das Wummern eines Mörsers in der Ferne. Den Abhang hinunter gerät der Jeep im Matsch ins Schleudern und kommt dem Geländer eines Abwasserkanals gefährlich nahe. Dann ist der Weg ins Zentrum von Aleppo frei.

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