Die prominente UN-Ermittlerin Carla del Ponte verlässt
sich auf Aussagen zu C-Waffeneinsätzen und beschuldigt kurzerhand
Syriens Rebellen. Ein leichtsinniger Fehltritt auf politisch vermintem
Gelände. Von Alfred Hackensberger
"Wir möchten klar stellen, dass wir keine eindeutigen Resultate zum Einsatz von chemischen Waffen jedweder Konfliktpartei in Syrien
haben." Mit einer eiligen Pressemitteilung richtet sich am
Montagnachmittag die unabhängige internationale Untersuchungskommission
der UN in Sachen Syrien an die Öffentlichkeit. Eine Erklärung, die nötig
geworden war, nachdem ein prominentes Mitglied der Kommission behauptet
hatte, es gebe stichhaltige Verdachtsmomente – die frühere
Chefanklägerin des internationalen Jugoslawien-Tribunals Carla del
Ponte.
Bisher waren Regimetruppen von Präsident Baschar al-Assad beschuldigt worden, verbotene Kampfstoffe
gegen die Rebellen der Freien syrischen Armee (FSA) und Zivilisten
einzusetzen. Am Sonntag behauptete nun del Ponte in einem Interview
eines Schweizer Fernsehsenders das Gegenteil. "Wir haben Zeugenaussagen
von Ärzten, Flüchtlingen in benachbarten Ländern und
Krankenhausmitarbeitern", erklärte die 66-Jährige, "dass chemische
Waffen verwendet wurden – nicht von der Regierung, aber von der
Opposition."
Die Rede ist von
Sarin, einem der tödlichsten chemischen Kampfstoffe überhaupt, der am
13. April in Scheich Maksud, einem überwiegend von Kurden bewohnten
Stadtteil der Wirtschaftsmetropole Aleppo eingesetzt worden sein soll.
Mindestens fünf Menschen starben, mehr als 20 wurden verletzt. Sarin ist
500 Mal toxischer als Blausäure. Nur ein Milligramm, über Haut und
Atemwege aufgenommen, kann binnen einer Minute zum Tode führen. Sarin
wurde 1991 von den Vereinten Nationen als Massenvernichtungswaffe
deklariert und ist seit 1993 gemäß der internationalen
Chemiewaffenkonvention weltweit verboten.
Internationales Ringen um Beweise
Del Ponte, der
ein Hang zur Selbstdarstellung nachgesagt wird, war mit ihrer Aussage
offenbar etwas voreilig. Obwohl sie versucht hatte zu relativieren und
von "keinen unumstößlichen Fakten" sprach, die sich aus der Untersuchung
der Kommission ergeben hätten. Trotzdem brachte sie noch mehr
Verwirrung in die Diskussion um den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien,
als sie die Rebellen als Verdächtige ins Spiel brachte.
Rebellen und
Regime beschuldigen sich gegenseitig, verbotene Kampfstoffe einzusetzen.
Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan gibt sich
beispielsweise überzeugt, dass die syrische Armee C-Waffen benutze. Die
französische und die britische Regierung behaupten, man habe Blut- und
Bodenproben, die dies belegten. Die USA, deren Präsident Barack Obama
den Einsatz von Chemiewaffen als "rote Linie" bezeichnete, die nicht
überschritten werden dürfe, fordern handfeste Beweise. Aber diese wurden
bisher noch von keiner Seite vorgelegt.
Es gibt bisher
nur Zeugenaussagen über solche Einsätze. Auch Del Ponte verweist in
ihrem Bericht auf Krankenhauspersonal. Aussagen über die Art der
Behandlung von betroffenen Patienten dürften als Beweise für bei
derartig schwere Vorwürfe aber kaum ausreichen. Zumal die wenigen
gesicherten Tatsachen nahelegen, dass der Einsatz von chemischen Waffen
eher unwahrscheinlich ist. Die Überreste der verwendeten Sprengsätze,
die an den Einsatzorten gefunden wurden, sind völlig untypisch für
Chemie-Kampfstoffe.
Tränengas statt Sarin?
Gewöhnlich
werden diese in Artilleriegranaten ans Ziel gebracht und dies in weitaus
größeren Mengen, um möglichst viele der gegnerischen Truppen
auszuschalten. In Syrien sind es ungewhnliche, kleine Behälter, in denen
nur geringe Mengen transportiert werden könnten. Diese Behälter
scheinen eher für CS-Gas oder andere Reizgase ausgelegt zu sein, wie sie
Sicherheitsbehörden bei gewalttätigen Demonstrationen einsetzen. Diese
Stoffe würden auch die Rauchentwicklung erklären, die bei den Angriffen
beobachtet wurde.
Bei den
Symptomen der Patienten nach vermeintlichen Chemieangriffen ist
ebenfalls Vorsicht angebracht. In Afghanistan erlitten die Schülerinnen
von Mädchenschulen reiheweise an Symptomen, die man mit Chemiewaffen in
Verbindung bringen würde. Wie sich aber in diesen Fällen herausstellte,
gab es keinerlei Spuren, die eine chemische Attacke der Taliban
nahegelegt hätten. In Syrien ist noch nichts bewiesen. Del Ponte hat mit
ihren vorschnellen Ahnungen gezeigt, wie einfach es ist, ohne
tatsächliche Beweise, einen "stichhaltigen Verdacht" zu konstruieren.
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