Von meinem Kollegen Peter Steinbach, in Aleppo und Antakya
Mehr als 1,2 Millionen
Syrer sind bislang vor dem Bürgerkrieg ins Ausland geflohen, meist
Frauen und Kinder – die Männer bleiben zurück und kämpfen. Aber viele
Frauen wollen ihren Beitrag für ihr Land leisten, an der Front, in
Medizin, Bildung oder Wirtschaft. Und manche planen schon für die Zeit
danach. Der Konflikt könnte bald in eine entscheidende Phase treten:
US-Präsident Barack Obama warnte erneut, mit dem Einsatz von
Chemiewaffen überschreite das Assad-Regime eine rote Linie, die USA würden darauf entschieden reagieren. Noch aber wisse er zu wenig, um eine aggressive Aktion der USA anzuordnen.
Sie ist erst 24 Jahre alt,
aber erstaunlich erwachsen und selbstbewusst. Als die Rebellen im Juli
2012 einen Teil von Aleppo eroberten, überlegte Muna nicht lange. Die
Pharmakologin meldete sich freiwillig im Krankenhaus Dar al-Scharifa.
Sie hatte bereits Monate zuvor in geheimen Kliniken Verletzte versorgt.
"Wir machten das in Privatwohnungen", erzählt Muna, die weder ihren
vollen Namen noch ihr Gesicht in der Zeitung sehen möchte. "Ich konnte
nicht anders. Wir behandelten Zivilisten, die bei Demonstrationen
verletzt wurden, aber auch Bewohner von Homs, die aus der bombardierten
Stadt geflüchtet waren." Ihr Verlobter wollte in die Türkei
und dort das Ende des Bürgerkriegs abwarten. "Das kam für mich nicht
infrage", sagt Muna. "Ich wollte meinem Land dienen und für Freiheit
kämpfen." Ihr Verlobter stellte sie vor die Wahl. "Ich sagte ihm, er
solle verschwinden", sagt sie kichernd. Heute versorgt sie Verletzte in
der Notaufnahme, aber auch an der Front. Ihre Familie ist stolz auf ihre
Tochter. "Sie wissen, ich rette viele Leben", merkt Muna ohne jede
Eitelkeit an. Angst vor dem Sterben habe sie keine, das wäre
kontraproduktiv. Vom Blut und den Grausamkeiten, die sie täglich sehe,
lasse sie sich nicht beeinflussen. "Ich muss weiterarbeiten und den
Menschen helfen." Von der Revolution erhofft sich Muna mehr Freiheit für
das weibliche Geschlecht. "Wir Frauen müssen mehr Macht bekommen. Dazu
trage ich jeden Tag etwas bei."
Nour Hak kümmert
sich schon lange nicht mehr um den Haushalt. "Meinem Mann fehlt
besonders mein Essen", sagt sie schmunzelnd. "Aber er hat volles
Verständnis." Die 35-Jährige war vor Beginn des Bürgerkriegs Dozentin an
der Universität, jetzt ist sie Schuldirektorin. Täglich 16 Stunden. "Ob
Krieg oder nicht, Bildung ist wichtig, die Kinder können nicht zwei
Jahre zu Hause sitzen." Vor fünf Monaten startete Hak mit vier Schülern.
Heute sind es 700 an drei Schulen. "Natürlich kann jederzeit eine Bombe
auf eine unserer Einrichtungen fallen", sagt die Direktorin. "Alle
Eltern schicken ihre Kinder, obwohl sie wissen, dass sie jeden Tag nicht
wieder nach Hause kommen können." Vom Unterrichtssystem des
Assad-Regimes ist nichts mehr übrig, alle Schulbücher mit
Regierungsideologie wurden entsorgt. Haks Schulen werden von der Brigade
Liwa Tawhid finanziell unterstützt. Sie gilt als größte und moderate
Rebellengruppe in Aleppo. "In unseren Schulen lernen Mädchen und Jungen
bis 14 Jahre gemeinsam", erklärt Hak. "Unsere Lehrerinnen sind nicht
verschleiert." In den von radikalen Islamisten gegründeten Schulen gebe
es männliche Lehrer für Jungen und weibliche für Mädchen. "Die
Lehrerinnen sind von Kopf bis Fuß verschleiert." Man merkt der Mutter
dreier Kinder an, dass ihr diese Kolleginnen nicht sympathisch sind.
Mehr will sie nicht dazu sagen. Wer es sich heutzutage in Aleppo mit den
Extremisten verscherzt, hat schlechte Karten.
Chufna, 18, (l.)
und Amara, 19, tragen eng anliegende Hosen, ihre langen Haare sind
unbedeckt. Im Zentrum von Aleppo würde man sie dafür auf offener Straße
beschimpfen. Aber hier, direkt an der Front, im Stadtteil Scheich
Maksud, sind die Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) tolerant,
auch wenn sie selbst keine Frauen in ihren Reihen haben. Die beiden
Mädchen gehören zur kurdischen Demokratischen Union (YPG) und kämpfen
zusammen mit der FSA gegen die Soldaten des Regimes. Insgesamt 700
Frauen gehören der kurdischen Miliz an. "Wir sind völlig
gleichberechtigt", versichert Chufna. "Niemand belächelt uns." Die
umstehenden Männer der YPG nicken. "Wir haben schon viele getötet", sagt
Amara. "Wir verteidigen nur unser kurdisches Volk", erklärt sie
schulterzuckend. Chufna nickt lachend, als wäre der Krieg eine
Alltäglichkeit. "Wir erfüllen nur unsere Aufgabe. Dafür wurden wir
ausgebildet." Beide haben sich der YPG vor zwei Jahren angeschlossen.
Von der Schulbank in die Armee, nach drei Monaten Training mussten sie
in den Krieg. "Nach dem Sturz Assads wollen wir Kurden als Volksgruppe
anerkannt werden", erklärt Amara bestimmt. "Das Regime hat uns nie
Rechte gegeben." Nach einer kurzen Pause im Hauptquartier ihrer Brigade,
einem verlassenen Frisörsalon, geht es zurück an die Front. Der Weg
führt über menschenleere Hinterhöfe, durch Löcher, die in Häuserwände
geschlagen wurden, über Kleider, Möbel und Matratzen. Als Chufna einen
Teddy im Durcheinander entdeckt, lächelt sie kurz. In einer Wohnung im
dritten Stock bringt sie dann ihr russisches PK-Maschinengewehr in
Stellung. Im Nebenraum liegt Amara bereits in Position. Sie halten
Ausschau nach Scharfschützen und Truppenbewegungen. Zum Abschied winken
die Frauen lachend. Draußen sind Schüsse und das Donnern eines Panzers
zu hören.
Der Salon im
ersten Stock eines Wohnhauses im türkischen Antakya ist zum Showroom
umfunktioniert, im Kinderzimmer stehen Nähmaschinen. Auf einem Tisch
liegen türkisfarbene Ballettkleidchen, rote Babyschuhe, moderne
Handtaschen, Gebetskappen für Muslime. "Über 100 Frauen stricken, häkeln
und nähen seit März bei uns", sagt die 24-jährige Rim (Foto, l.). "Man
kann Geld verdienen, nützlich sein, statt untätig zu Hause
herumzusitzen." Das sei ganz wichtig für das Selbstwertgefühl. Mit den
Erlösen des Projekts werden Hilfslieferungen nach Syrien finanziert.
"Die Männer kämpfen, und unsere Arbeit ist nicht minder ein Beitrag zum
Sturz des Diktators Assad", erklärt Rim stolz. Sie ist vor zwei Monaten
nach ihren Prüfungen an der Universität in Aleppo in die Türkei
geflüchtet. Viele ihrer Freunde starben während der Prüfung, als Bomben
einschlugen. "Ich habe unglaubliches Heimweh nach Syrien, aber man kann
es dort nicht mehr aushalten", sagt die junge Frau. Ihre Familie lebt in
dem von der Regierung kontrollierten Teil Aleppos. "Jeden Augenblick
kann man verhaftet werden und für immer verschwinden." Ihr Bruder sei in
Haft, ihr Vater geblieben, um seine Freilassung zu erwirken. Rim wendet
sich schluchzend ab. Syrian Woman at work habe Kunden in Saudi-Arabien,
dem Libanon, aber auch in Deutschland, versichert Rim, nachdem sie ihre Tränen getrocknet hat. "Unser Projekt wird auch nach der Revolution weitergehen."
Oum Fahdi konnte
nicht länger zu Hause sitzen, während ihr Mann und ihre Söhne gegen
Regierungssoldaten kämpften. "Ich habe zehn Kinder", erzählt die
45-Jährige, "und alle sind schon groß." Sie wollte aktiv etwas für die
Revolution tun. "Männer der FSA lassen Frauen nicht bei sich kämpfen,
also musste ich mir etwas einfallen lassen", sagt sie verschmitzt. Also
gründete sie eine Einheit weiblicher Polizisten, ihr Mann und dessen
Brigade unterstützten sie. Das war vor zweieinhalb Monaten. Heute
gehören 17 Frauen zur ihrer Einheit. Sie kontrollieren Autos, machen
aber auch Jagd auf die gefürchteten Schabiha, die Milizen des
Assad-Regimes, die für zahlreiche Massaker verantwortlich sein sollen.
"Wir haben schon viele von ihnen gefangen", berichtet Fahdi, oft mit
einer Falle. "Wir lassen sie junge Mädchen kennenlernen, und wenn sie
zum verabredeten Stelldichein kommen, schlagen wir zu", berichtet sie
und lacht. "Ja, wir arbeiten auch mit der Liebe, wofür ich allerdings
längst zu alt bin." Das müssten andere machen, sagt sie, und deutet auf
zwei Rekrutinnen an ihrem ersten Tag. Eine von ihnen ist Rehab, 30,
verheiratet. "Wir durchsuchen Fahrzeuge nach Waffen, eine wichtige
Aufgabe." Rabia, die zweite angehende Polizistin, nickt zustimmend. Die
20-Jährige hat im Bürgerkrieg ihren Ehemann verloren. Sie ist, wie alle
Frauen der Polizeieinheit, bewaffnet, nimmt den Gurt ihrer Kalaschnikow
fester in die Hand. "Ich bin hier, um ihn zu rächen."
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